Brüder BUH – Die Bremer Böhnhasikanten

"Ei was, du Rotkopf", sagte der Esel, "zieh lieber mit uns fort, etwas Besseres als den Tod findest du überall; du hast eine gute Stimme, und wenn wir zusammen musizieren, so muß es eine Art haben."

Es hatte ein Meister einen Gesellen, der schon lange Jahre die Säcke unverdrossen zur Mühle getragen hatte, dessen Kräfte aber nun zu Ende gingen, so dass er zur Arbeit immer untauglicher ward. Da dachte der Meister daran, ihn aus dem Lohn zu schaffen, aber der Geselle merkte, dass kein guter Wind wehte, lief fort und machte sich auf den Weg nach Bremen. Dort, meinte er, könnte er ja Böhnhase werden. Als er ein Weilchen fortgegangen war, fand er einen Hartz IV-Empfänger auf dem Wege liegen. Der japste wie einer, der sich müde gelaufen hat. "Nun, was japst du so?", fragte der Geselle. "Ach", sagte der Hartz IV-Empfänger, "weil ich arbeits-los bin und jeden Tag genervter werde von ARGE-Drangsale und trotzdem zu wenig zum Leben habe, da hab ich Reißaus genommen. Aber womit soll ich nun mein Brot verdienen?"

"Weißt du was, mit der eigenen Hände Arbeit", sprach der Geselle. "Ich gehe nach Bremen und werde dort Böhnhasi- kant, geh mit und werde doch im Handwerk selbstständig. Ich werde Bäcker, und du Tischler." Der Hartz IV-Empfänger war zufrieden, und sie gingen weiter. Es dauerte nicht lange, so saß da eine Frisörin an dem Weg und machte ein Gesicht wie drei Tage Regenwetter.

"Nun, was ist dir in die Quere gekommen, alter Haarputzer?", sprach der Geselle. "Wer kann da lustig sein, wenn‘s einem an den Kragen geht, obwohl man Steuern und Sozialabgaben zahlt?", antwortete die Frisörin und weiter: "Weil ich gerne selbstständig arbeiten wollte, meldete ich ein Gewerbe an. Doch überall legt man mir ohne Meisterbrief Steine in den Weg. Nun hat mich meine ehemalige Meisterin angeschwärzt. Ich habe mich zwar noch fortgemacht, aber nun ist guter Rat teuer. Wo soll ich hin, und wer kann mir helfen?"

"Geh mit uns nach Bremen. Du verstehst dich doch auf das Frisörhandwerk, da kannst du eine Böhnhasikantin werden!", sprach der Geselle. Die Frisörin hielt das für gut und ging mit. Daraufhin kamen die drei Flüchtigen an einer Stadt namens Verden vorbei und lernten dort einen echten Böhnhasen kennen, der schrie aus Leibeskräften für die Gewerbefreiheit im Handwerk. "Du schreist einem durch Mark und Bein", sprach der Geselle, "was hast du vor?"

"Da hab ich die Freiheit der Arbeit prophezeit", sprach der Böhnhase, "weil unser Tag der Gewerbefreiheit ist, wo sie jedem das Recht ausgesprochen haben, mit der eigenen Hände Arbeit sein Geld zu verdienen. Weil aber die Alten Meister auf ihre Pfründe setzen und sie mit allerlei Mittel verteidigen, hatte ich eine Hausdurchsuchung und ein fettes Bußgeld am Hals. Nun schreie ich aus vollem Hals, solang ich noch kann."

"Ei was, du Rotkopf", sagte der Ge-selle, "zieh lieber mit uns fort. Wir gehen nach Bremen. Etwas Besseres als den Meister findest du überall. Du hast eine gute Stimme, und wenn wir zusammen gehen, so wäre dies wohl fantastisch." Der Böhnhase ließ sich den Vorschlag gefallen, und sie gingen alle zusammen fort. Sie konnten aber die Stadt Bremen in einem Tag nicht erreichen und kamen abends in einen Ort, wo sie übernachten wollten.

Der Geselle und der Hartz IV- Empfänger legten sich unter einen großen Baum, die Frisörin und der Böhnhase machten sich in die Äste. Die Frisörin aber kletterte bis in die Spitze, wo sie sich sicher fühlte. Ehe sie einschlief, sah sie sich noch einmal nach allen vier Winden um. Da dachte sie, sie sähe in der Ferne ein Fünkchen brennen, und rief ihren Gesellen zu, es müsste nicht gar weit ein Haus sein, denn es scheine ein Licht. Sprach der Esel: "So müssen wir uns aufmachen und noch hingehen, denn hier ist die Herberge schlecht."

Der Hartz IVler meinte, ein Süppchen und etwas Brot dran täten auch ihm gut. Also machten sie sich auf den Weg nach der Gegend, wo das Licht war, und sahen es bald heller schimmern. Es wurde immer größer, bis sie vor ein hell erleuchtetes Handwerkskammergebäude kamen. Der Geselle näherte sich dem Fenster und schaute hinein. "Was siehst du, Getreidemörder?", fragte der Böhnhase. "Was ich sehe?", antwortete der Müllergeselle, "einen gedeckten Tisch mit schönem Essen und Trinken, und die Meister sitzen daran und lassen es sich wohl sein."

"Das wäre was für uns", sprach die Frisörin. "Ja, ja, ach, wären wir da!", sagte der Geselle. Da ratschlagten die fantastischen Vier, wie sie es anfangen könnten, um die Meister hinauszujagen, und fanden endlich ein Mittel. Der Müllergeselle musste sich mit den Händen auf das Fenster stützen, der Hartz IVler auf den Rücken des Gesellen springen, die Frisörin auf den Hartz IVler klettern und endlich kletterte der Böhnhase hinauf und setzte sich der Frisörin auf den Kopf. Darüber stülpten sie ein altes Leinensegel.

Wie das geschehen war, fingen sie auf ein Zeichen an, ihr Geschrei zu machen. Der Geselle schrie "BUH", der Hartz IV-ler "BÄH", die Frisörin schnatterte und der Böhnhase zitierte aus der Gewerbeordnung. Dann stürzten sie durch das Fenster in die Stube hinein, dass die Scheiben klirrten. Die Handwerksmeister fuhren bei dem entsetzlichen Geschrei in die Höhe, meinten, ein Gespenst käme herein und flohen in größter Furcht in den freien Markt hinaus.

Nun setzten sich die vier Gesellen an den Tisch, nahmen mit dem vorlieb, was übrig geblieben war und aßen, als wenn sie vier Wochen hungern sollten. Wie die vier Handwerker fertig waren, löschten sie das Licht aus und suchten sich eine Schlafstätte, jeder nach seiner Natur und Bequemlichkeit. Der Müllergeselle legte sich auf den Boden, der HartzIVler ins Bett, die Frisörin schlief vorm Computer und der Böhnhase setzte sich in den Sessel. Und weil sie müde waren von ihrem langen Weg, schliefen sie auch bald ein.

Als Mitternacht vorbei war und die Handwerksmeister sahen, dass kein Licht mehr im Haus brannte, auch alles ruhig schien, sprach der Obermeister:

"Wir hätten uns doch nicht sollen ins Bockshorn jagen lassen!" Er hieß einen hingehen und das Haus untersuchen. Der Abgeschickte fand alles still, ging in die Küche, ein Licht anzuzünden und weil er die glühenden, feurigen Augen der Frisörin für lebendige Kohlen ansah, hielt er ein Schwefelhölzchen daran, dass es Feuer fangen sollte. Aber die Frisörin verstand keinen Spaß, sprang ihm ins Gesicht, spie und kratzte. Da erschrak er gewaltig, lief und wollte zur Hintertüre hinaus, aber der Hartz IVler, der da lag, sprang auf und biss ihn ins Bein.

Als der Meister durch den Flur an dem Sessel vorbei rannte, gab ihm der Böhnhase noch einen tüchtigen Schlag auf den Hinterkopf. Der Müller aber, der vom Lärmen aus dem Schlaf geweckt und munter geworden war, rief vom Schreibtisch: "Gewerbefreiheit!" Da lief der Meister zu seinem Hauptgeschäftsführer der Kammer zurück und sprach: "Ach, in dem Haus sitzt eine gräuliche Hexe, die hat mich angehaucht und mit ihren langen Fingern mir das Gesicht zerkratzt. Vor der Türe steht ein Mann mit einem Messer, der hat mich ins Bein gestochen!

Auf dem Sessel liegt ein Schwarzarbeiter, der hat mit einer Holzkeule auf mich losgeschlagen und oben auf dem Dache, da sitzt der Richter, der rief: "Mach was du willst!" Da machte ich, dass ich fortkam. Von nun an getrauten sich die Meister nicht weiter auf den Markt. Den vier Bremer Böhnhasen gefiel es aber so gut darin, dass sie nie wieder über schlechte Chefs, Vorgesetzte oder Sachbearbeiter stöhnen mussten.

Jonas Kuckuk