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für Gewerbefreiheit auch im Handwerk - weg mit dem Meisterzwang
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BUH-Stellungnahmen, Argumente gegen den Meisterzwang, Studien zum Meisterzwang, Qualität, Ausbildungsleistung, Inländerdiskriminierung, Meisterzwang ist verfassungswidrig

Schreiben wegen dem Meisterzwang an den Bundespräsidenten

Herrn Bundespräsident Roman Herzog
Bundespräsidialamt
Kaiser-Friedrich-Straße 16

D-53105 Bonn


Sehr verehrter Herr Bundespräsident,

ich wenden mich wegen der geplanten Änderung der Handwerksordnung und den damit verbundenen Grundrechtsbeschränkungen an Sie.

Meine Frau ist Klavierbaugesellin mit 15 Jahren Berufserfahrung. Ständig kann ich bei ihr beobachten, was es für das Selbstwertgefühl eines Menschen bedeutet, wenn er die Arbeit, die er viele Jahre ausgeführt hat, nicht selbständig ausüben darf.

Die freie Berufswahl ist durch Artikel 12 Abs. 1 GG geschützt. Vom 17.7.1961 stammt die Bundesverfassungsgerichtsentscheidung (BVerfGE - 1 BvL 44/55) zur Handwerksordnung.

Sicherlich hat sich seit 1961 einiges am äußeren Umfeld des Handwerks sowie an den politischen Begründungen für die Handwerksordnung und den Großen Befähigungsnachweis geändert. Die in der BVerfGE formulierten Prinzipen werden jedoch wohl weiterhin gültig sein:
- Einschränkungen der freien Berufswahl braucht der Einzelne nur hinzunehmen, wenn und soweit sie der Schutz wichtiger Gemeinschaftsinteressen erfordert.
- Auch für sich betrachtet darf den betroffenen Einzelnen die Zulassungsvoraussetzung nicht übermäßig und unzumutbar beschweren.
- Zulassungsvoraussetzungen sind nur so lange gerechtfertigt, wie einfachere Möglichkeiten zur Sicherung eines besonders wichtigen Gemeinschaftsgutes nicht bestehen, nicht geschaffen werden können oder zu seiner Sicherung nicht ausreichen.

Der Einzelnen ist unter anderem durch eine hohe Durchfallquote und hohe Kosten übermäßig beschwert. Die Durchfallquote bei den Meisterprüfungen liegt heute im Gesamtdurchschnitt des Handwerks bei 25% - in einzelnen Gewerken wie z.B. dem Klavierbau bei 50%. Im Gegensatz dazu wird die Durchfallquote in den Jahren 1951-1954 in der BVerfGE mit 13% angegeben.
Für das Ablegen der Meisterprüfung muß man heute mit Kosten von bis zu DM 100.000,- für Prüfungs- und Lehrgangsgebühren, Fahrt- und Unterbringungskosten am Lehrgangsort, Material und Verdienstausfall rechnen.
Diese Kosten sind in vielen Fällen nicht vertretbar - gerade für eine Frau, die sich Kinder wünscht und es deswegen fraglich ist, ob den Ausgaben entsprechende zukünftige Einnahmen gegenüber stehen werden.

Im Rahmen der ersten Lesung des Gesetzes zur Neuordnung der Handwerksordnung wurden folgende Begründungen für das Festhalten am Großen Befähigungsnachweis gegeben (Zitate in der Anlage):
- Die Ausbildungsleistung des Handwerks ist hoch (Karl-Heinz Scherhag MdB, Ernst Schwanhold MdB, Jürgen Türk MdB, Dr. Heinrich L. Kolb MdB, Ernst Hinsken MdB)
- Die Qualität der Handwerklichen Leistungen (Ernst Schwanhold MdB, Jürgen Türk MdB)
- Die betriebswirtschaftliche Ausbildung ist notwendig (Jürgen Türk MdB)
- Der Schwierigkeitsgrad und die zunehmenden sicherheitstechnischen Anforderungen im Gerüstbau (Ernst Hinsken MdB)

Die Deregulierungskommission der Bundesregierung hat sich intensiv mit dem Großen Befähigungsnachweis auseinander gesetzt und in ihrem Bericht von 1991 stellt sie zur Ausbildungsleistung unter Punkt 63. fest:
"Im Hinblick auf die unbestreitbaren Ausbildungsüberschüsse des Handwerks muß weitgehend bezweifelt werden, ob es sich überhaupt um einen externen Effekt handelt. Denn diese Ausbildungsleistung läßt sich als Ergebnis von Anreizen erklären, die wenigermit dem Großen Befähigungsnachweis zu tun haben, als mit den besonderen Vorteilen einer Ausbildung im Handwerksbetrieb. Zwar muß eingeräumt werden, daß der Große Befähigungsnachweis die positiven Anreize für ein hohes Niveau handwerklicher Ausbildungsaktivitäten noch verstärkt. Aber es gibt keinen Grund anzunehmen, daß ohne den Großen Befähigungsnachweis die Ausbildungsleistung im Handwerk beträchtlich sinken müßte. Auch die Handwerksgeschichte liefert keine Anhaltspunkte hierfür."

Zum Qualitätsschutzfür den Kunden schreibt die Deregulierungskommission unter Punkt 61:
"Als Mittel der Qualitätssicherung ist der Große Befähigungsnachweis entbehrlich. Zum Teil schützt er die Handwerkskunden dort, wo sie gar nicht schutzbedürftig sind. Zum Teil ist der durch ihn vermittelte Schutz zu gering, so daß der Handwerkskunde sich durch individuelle Maßnahmen zusätzlich schützen muß. In beiden Fällen werden dem Verbraucher durch den Großen Befähigungsnachweis überflüssige Kosten aufgebürdet. Dort schließlich, wodas Gütesiegel der Meisterprüfung nützlich ist, wird dieser Qualitätsnachweis auch spontan angestrebt werden ohne das Erfordernis des Großen Befähigungsnachweises."

Die betriebswirtschaftliche Ausbildung kann einfacher nachgewiesen werden.

Wenn es bei dem Gerüstbau um den Schutz von Gemeinschaftsinteressen vor Bedrohungen geht, die aus dem Schwierigkeitsgrad und den zunehmenden sicherheitstechnischen Anforderungen resultieren, frage ich mich, wie dieser Schutz gewährleistet ist, wenn andere Gewerke ihre Arbeitsgerüste bauen dürfen. Gibt es hier überhaupt Bedrohungen, die den Großen Befähigungsnachweis rechtfertigen?

Alle gegebenen Argumente für den Großen Befähigungsnachweis werden also in ihrer Stichhaltigkeit von Fachleuten angezweifelt, sind offensichtlich ungenügend oder sehr zweifelhaft.

Wenn man die Bundestagsdebatte vom 11.12.1997 zur Änderung der Handwerksordnung liest, entsteht der Eindruck, daß kein Interessenausgleich statt gefunden hat zwischen den Gemeinschaftsinteressen, die für den Großen Befähigungsnachweis sprechen, den Gemeinschaftsinteressen, die gegen ihn sprechen und den Interessen der betroffenen Einzelnen.

Die von Bundeskanzler Helmut Kohl propagierte "Neue Kultur der Selbständigkeit", der geforderte "Mut zur Selbständigkeit" und die geforderte "Eigenverantwortung von Beschäftigungslosen" wurden in der Debatte nicht angesprochen, obwohl diese Tugenden durch die Handwerksordnung behindert werden.

Trotz des großen Problems der Arbeitslosigkeit, wird nur von Frau Margareta Wolf MdB - (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) angesprochen, daß bei der Abschaffung des Großen Befähigungsnachweises nach einer OECD-Studie 500.000 neue Selbständige möglich wären. (Frau Wolf tritt für die Abschaffung des Großen Befähigungsnachweises ein.)

Eine größtmögliche europäische Harmonisierung von Gesetzen, Verordnungen und auch vom Gewerberecht wird nicht erreicht (Margareta Wolf MdB). Statt sie voran zu bringen entfernt sich Deutschland weiter von dem, was an Marktzugangsbeschränkungen in den meisten EU - Staaten üblich ist.

Herr Hinsken hebt hervor, daß die Gesetzesänderung mit den Handwerkskammern, dem DGB, dem DIHT und auch Industrieverbänden abgesprochen sei. Soweit ich sehen kann, wurde also mit den Nutznießern des Großen Befähigungsnachweises geredet, nicht aber mit denen, deren Grundrecht auf freie Berufswahl durch die Handwerksordnung und ihre geplante Änderung beschnitten wird.

Zahlreiche Formulierungen aus der Debatte geben Anlaß zur Vermutung, daß es den Bundestagsabgeordneten,von denen einige als Repräsentanten von Handwerksorganisationen ihre Standesinteressen vertreten (Karl-Heinz Scherhag Präsident der Handwerkskammer Koblenz, Mitglied des Zentralverbandes des Deutschen Handwerks (Präsidium ZDH), Ernst Hinsken Stellvertretender Obermeister der Bäckerinnung Straubing), nicht um einen Interessenausgleich geht, sondern darum, den Geltungsbereich der Handwerksordnung möglichst weit auszudehnen.

Die in dem Bericht der Deregulierungskommission offenen Fragen zum Nutzen des Großen Befähigungsnachweises wurden nicht einmal angesprochen geschweige denn beantwortet.

Ich zitieren einige Fragen aus dem Bericht der Deregulierungskommission von 1991:
"65 . Während der Nutzen des Großen Befähigungsnachweises zweifelhaft erscheint,sind die Kosten erheblich.
...
Die Marktzutrittsbeschränkung durch den Großen Befähigungsnachweis führt zu Verzerrungen bei den Preisen und der Qualität von Handwerksleistungen.
...
Wo der Zugang zum offiziellen Markt für Handwerksleistungen beschränkt wird, nehmen die Versuche zu, die Regulierungen zu umgehen oder gar völlig zu mißachten. Es gibt viel handwerkliche Tätigkeit in der Schattenwirschaft. Von der illegalen Handwerkertätigkeit einmal abgesehen, ist es heutzutage durchaus üblich, dort, woein Handwerksmeister als Inhaber oder Betriebsleiter erforderlich ist, Handwerker mit Meistertitel anzustellen, ohne daß diese im Betrieb immer präsent sind. ...
68. ... Dem neuen Verständnis der Dienstleistungsfreiheit wird das deutsche Handwerksrecht einschließlich der VO Handwerk EWG nicht mehr gerecht. Danach werden Beschränkungen im Aufnahmestaat nur noch durch das Allgemeinwohl gerechtfertigt. Die Eintragung in die Handwerksrolle kann, wenn überhaupt, so doch keineswegs für alle 125 Handwerksberufe unterschiedslos durch das Allgemeinwohl gefordert sein. Die Verwirklichung der Dienstleistungsfreiheit lockert den Zugang zum Handwerk für ausländische Handwerker. Sie wirft damit die Frage auf, ob die Einhaltung der Handwerksordnung für deutsche Gewerbetreibende eigentlich noch zumutbar ist. Die Diskriminierung von Inländern wirft sowohl in verfassungsrechtlicher wie in europarechtlicher Sicht schwierige Fragen auf. Anstöße zur Deregulierung des Handwerks sind am ehesten vom EuGH zu erwarten."

Es wundert mich als juristischen Laien sehr, daß zum einen das Festhalten am Großen Befähigungsnachweis mit der hohen Ausbildungsleistung des Handwerks und zum anderen auch die Aufnahme des Gerüstbaus in die Anlage A mit der bestehenden hohen Ausbildungsleistung im Gerüstbau begründet wird. Wenn die Ausbildungsleistung im Gerüstbau schon jetzt hoch ist, warum ist dann eine Aufnahme des Gerüstbaus in die Anlage A geboten? Ist nicht gerade der Gerüstbau der Beweis dafür, daß der Große Befähigungsnachweis zur Sicherung der Ausbildungsleistung des Handwerks entbehrlich ist?

Herr Bundespräsident, in Anbetracht der Mehrheitsverhältnisse im Bundestag, muß man davon ausgehen, daß CDU/CSU, SPD und FDP ihren Gesetzentwurf zur Änderung der Handwerksordnung verabschieden werden. Mit diesem Gesetz wird das Recht auf die freie Berufswahl des Gerüstbaus eingeschränkt. Deswegen wende ich mich schon heute an Sie mit der Bitte, zu prüfen, ob der Gesetzentwurf mit der Verfassung vereinbar ist. Bitte verweigern Sie dem GesetzIhre Unterschrift. Über eine Antwort würde ich mich sehr freuen.

Mit vorzüglicher Hochachtung


Anlage: Zitate aus der Bundestagsdebatte vom 11.12.1997:

Karl-Heinz Scherhag MdB (CDU/CSU) Präsident der Handwerkskammer Koblenz, Mitglied des Zentralverbandes des Deutschen Handwerks (Präsidium ZDH):
Das Handwerk wird auch 1997 seiner Verantwortung gerecht, junge Menschen für die Zukunft auszubilden und ihnen sichere Arbeitsplätze zu garantieren.

Ernst Schwanhold MdB (SPD):
Wir werden am Großen Befähigungsnachweis festhalten, weil damit die Zahl der Ausbildungsleistungen, eine qualitativ hochstehende Dienstleistung oder qualitativ hochstehende Produkte und in besonderem Maße auch Gesamtverantwortung für die regionale Wertschöpfung, die durch das Handwerk viel besser gewährleistet ist als durch alle anderen Bereiche, untrennbar verbunden sind.

Jürgen Türk MdB (F.D.P.):
Ansonsten steht die F.D.P. zum Großen Befähigungsnachweis. Begründet wurde das heute schon genug. Warum soll abgeschafft werden, was sich zur Qualitätssicherung und Lehrausbildung bestens bewährt hat?

Auf keinen Fall darf die betriebswirtschaftliche Ausbildung unter die Räder kommen, denn ohne diese wird die gerade gegründete Existenz wenig Chancen haben. Ich nenne hier das Stichwort Insolvenzrate.

Dr. Heinrich L. Kolb MdB,
Der Vorschlag, der auf dem Tisch liegt, verbindet das Anliegen, mehr Liberalisierung zu bekommen, mit dem Erhalt der traditionell bewährten Qualifikations- und Ausbildungsstrukturen im Handwerk. Es muß hier noch einmal gesagt werden: Das Handwerk trägt die Hauptlast der Ausbildung in Deutschland.

Ich will nur noch einmal darauf hinweisen, daß das Handwerk in den letzten zehn Jahren den Bestand an Ausbildungsplätzen um 100 000 erhöht hat. Es hat in dieser Beziehung, obwohl es schon eine große Last trug, weiter zugelegt. Gerade die Tatsache, daß das Handwerk so ausbildungsbereit ist, ist ein starkes Argument dafür, in diesem Bereich auch in Zukunft die bewährte Struktur beizubehalten.

Die Prüfung der vorliegenden Vorschläge für neue Handwerke -- auch das muß ich hier noch einmal deutlich sagen -- wie auch die Frage, ob und wie wir bei bestimmten Handwerken den Vorbehaltsbereich erweitern sollten, waren ein besonders schwieriges Feld unserer Arbeiten. Die Arbeitsgruppe hat sich hierbei an die verfassungsrechtlichen Vorgaben gehalten, die wir bereits vor anderthalb Jahren in unseren Eckwerten dargestellt haben.
Das aus wohlerwogenen Gründen durchgehaltene Konsensprinzip in der Arbeitsgruppe hat auf Grund der verfassungsrechtlichen Vorgaben und der wirtschaftspolitischen Erfordernisse keine weiterreichenden Schritte zugelassen. Es mußten viele Kompromisse gemacht werden. Unter dem Strich kann man sagen, daß dieGruppe eine recht hohe Hürde angelegt hat, die nur der Gerüstbauer überspringen konnte, und das nicht zuletzt wegen seiner Beispielhaften Ausbildungsleistung.

Nein, meine Damen und Herren, Bündnis 90/Die Grünen gefährden mit ihrem Entwurf, so liberal er bei oberflächlicher Betrachtung auch sein mag, das Ziel der Sicherung des qualifizierten Nachwuchses für die gesamte gewerbliche Wirtschaft und damit auch ein ganz wichtiges Ziel im Interesse der Allgemeinheit.

Ernst Hinsken MdB (CDU/CSU) Stellvertretender Obermeister der Bäckerinnung Straubing:
Ich glaube, daß wir richtig gehandelt haben, nur einen Beruf in die Anlage A aufzunehmen, nämlich den des Gerüstbauers. Hierfür spricht die starke Aufwärtsentwicklung, insbesondere bei der Ausbildungsleistung, aber auch die erhöhten Schwierigkeitsgrade und die zunehmenden sicherheitstechnischen Anforderungen.

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