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für Gewerbefreiheit auch im Handwerk - weg mit dem Meisterzwang
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BUH-Stellungnahmen, Argumente gegen den Meisterzwang, Studien zum Meisterzwang, Qualität, Ausbildungsleistung, Inländerdiskriminierung, Meisterzwang ist verfassungswidrig

XII. Hauptbericht der Monopolkomission der Bundesregierung - zur Deregulierung des Handwerks (Langfassung)

Die Monopolkommission erstellt regelmäßig Gutachten für die Bundesregierung. In ihrem 12. Hauptgutachten vom Juli 1998 hat die Monopolkommission eine deutliche Lockerung des Meisterzwangs empfohlen. Im Folgenden die Passagen zur Handwerksordnung (Langfassung):

5. Zur Deregulierung des Handwerks

5.1 Wirtschaftliche Ausgangslage

59.

Das gegenwärtig gravierendste wirtschaftspolitische Problem in Deutschland ist die hohe Arbeitslosigkeit: Nach Angaben der Bundesanstalt für Arbeit wurden im April 1998 bundesweit über 4,4 Millionen Arbeitlose gezählt; 22) nimmt man die verdeckte, in der Statistik nicht erfaßte Arbeitslosigkeit hinzu, 23) so liegt die entsprechende Zahl deutlich höher. 24) Die Arbeitslosigkeit ist die Folge einer strukturellen Fehlentwicklung in Wirtschaft und Gesellschaft, deren Ursachen vielfältig sind. Maßgeblich für die unerfreuliche Lage ist nicht nur der staatliche Rahmen in Form von fehlsteuernden Gesetzen und überkommenen Regulierungen; auch das Tarifkartell hat mit seinen Vertragsabschlüssen und seiner Überregulierung das gesamtwirtschaftliche Wachstum und die Anpassung an den Strukturwandel nachteilig beeinflußt. Die Situation wird verschärft durch die noch nicht bewältigten Herausforderungen der deutschen Wiedervereinigung sowie durch die europa- und weltweite Öffnung der Volkswirtschaften. Insbesondere die Konkurrenz der osteuropäischen Anbieter, aber auch die zunehmende Chancenwahrnehmung deutscher Unternehmen durch Outsourcing und Produktionsverlagerungen in ausländische Industrien decken eigene Standortschwächen und wirtschaftspolitische Fehler schonungslos auf.

60.

Ein Patentrezept zur Bekämpfung der gegenwärtigen Arbeitslosigkeit gibt es nicht. Angesichts der bestehenden Lage müssen alle Optionen für ein verstärktes Wirtschafts- und Beschäftigungswachstum genutzt werden, um einen dauerhaften Erfolg zu erzielen. Ein Ansatzpunkt ist dabei insbesondere der tertiäre Sektor (Dienstleistungen). In diesem Bereich, der in Deutschland wie auch in allen anderen modernen Volkswirtschaften stetig an Bedeutung zugenommen hat (Tabelle 1), liegt ein erhebliches Beschäftigungspotential. Notwendig wären vor allem Maßnahmen, die innovatives unternehmerisches Potential ausschöpfen und insgesamt die Angebotsbedingungen verbessern. Dabei kommt den Neugründungen von Unternehmen besondere Bedeutung zu. Im Marktzutritt von kleinen und mittelgroßen Dienstleistungsunternehmen liegt vermutlich das größte Potential für eine Beschäftigungszunahme; dafür spricht jedenfalls, daß in derartigen Unternehmen in den letzten Jahren der Personalbestand erheblich aufgestockt wurde.

Tabelle 1
Anteil der Sektoren (in %) an der nominalen Bruttowertschöpfung
(ohne Staat und private Haushalte) in Deutschland*)
Jahr Dienstleistungen

(inkl. Handel und Verkehr)

Produzierendes

Gewerbe

Land- und

Forstwirtschaft,

Fischerei

Insgesamt
1960 35,23 58,36 6,41 100
1965 36,59 58,60 4,81 100
1970 38,00 58,20 3,80 100
1975 43,55 53,09 3,36 100
1980 44,89 52,40 2,71 100
1985 49,34 48,56 2,10 100
1990 51,21 46,79 2,00 100
1992 51,93 46,26 1,81 100
1994 55,00 43,73 1,27 100
1996 59,75 38,98 1,27 100


*) Bis 1993 nur früheres Bundesgebiet.

Quelle: Institut für Wirtschaftspolitik an der Universität zu Köln

61.

Ein wesentlicher Beitrag zur Entfaltung von Marktkräften und damit zur Behebung der Arbeitslosigkeit liegt in der Rücknahme staatlicher Regulierungen; die jüngste Entwicklung auf dem Telekommunikationssektor bietet hierfür ein anschauliches Beispiel. Regulierungen verringern die Innovationsdynamik und lähmen die Wachstumskräfte; durch Erschwerung des Marktzutritts verhindern sie zudem die Entstehung neuer Arbeitsplätze. In den letzten Jahrzehnten hatte die Regulierungsdichte in Deutschland insgesamt zugenommen, letztlich auch bedingt durch den Bedeutungszuwachs des besonders hoch regulierten Dienstleistungsbereichs. Dabei ist die Notwendigkeit zur Deregulierung und Entbürokratisierung der Wirtschaft allgemein anerkannt. Beispielsweise wurde Ende 1987 eine "Deregulierungskommission" eingerichtet, die ihren Bericht im Jahre 1991 veröffentlicht hat. 25) Dennoch sind die von diesem Gutachten ausgehenden Anstöße zum Abbau marktwidriger Regulierungen weitgehend ins Leere gelaufen. Ein stärkerer Druck zur Deregulierung einzelner Wirtschaftsbereiche - etwa in der Telekommunikation, in der Versicherungswirtschaft oder zuletzt in der Energiewirtschaft - ging dagegen von der europäischen Rechtsprechung bzw. den EU-Richtlinien aus. Die - bisher bescheidenen - Erfolge bei der Korrektur ordnungspolitischer Fehlentwicklungen beruhen insoweit mehr auf äußerem Zwang als auf innerer Einsicht. Dies ist um so bemerkenswerter, als vielfältige ausländische Erfahrungen mit ordnungspolitischen Korrekturen vorliegen. Deren Ergebnisse werden hierzulande lediglich zur Kenntnis genommen; eine Übertragung der Ansätze auf die deutschen Verhältnisse stößt jedoch regelmäßig auf den erfolgreichen Widerstand von Gruppeninteressen.

Tabelle 2
Verteilung der Handwerksunternehmen auf Beschäftigtengrößenklassen*)

Beschäftigte

Anteil an den

gesamten Unternehmen (%)

1

13,7

2 bis 4

32,9

5 bis 9

27,4

10 bis 19

15,9

20 bis 49

7,5

50 bis 99

1,7

über 100

0,9



*) Ohne handwerksähnliches Gewerbe.

Quelle: Institut für Wirtschaftspolitik an der Universität zu Köln

62.

Innerhalb des Dienstleistungssektors ist das Handwerk von erheblicher Bedeutung. 26) Neben seinem wirtschaftlichen Gewicht bei Produktion und Dienstleistung sowie Beschäftigung spielt es auch eine wichtige Rolle als Träger der beruflichen Ausbildung; über den Eigenbedarf hinaus versorgt das Handwerk Industrie und Verwaltung mit von ihm ausgebildeten Fachkräften. Es handelt sich um einen außerordentlich stark regulierten Wirtschaftsbereich, dessen Regelungen zur Berufszulassung und -ausübung eine lange Tradition aufweisen, und der sich gegenüber bisherigen Deregulierungsanstößen als äußerst resistent erwiesen hat. Eine Analyse der Beschäftigtengrößenklassen stützt die Auffassung, daß im Handwerkssektor ein hohes Beschäftigungspotential durch Neugründungen zu vermuten ist: 74 % aller Unternehmen des Handwerks beschäftigen weniger als zehn Mitarbeiter (Tabelle 2).

63.

Im internationalen Vergleich zeigt sich, daß die selbständige Erwerbstätigkeit in Deutschland vergleichsweise gering ausgeprägt ist (Abbildung 1). Mit Ausnahme von Dänemark ist die Selbständigenquote in allen übrigen Staaten der Europäischen Union (z.T. wesentlich) höher als in Deutschland. Ungeachtet der national unterschiedlichen wirtschaftlichen Bedingungen (wie etwa dem größeren Tourismus-Anteil in südeuropäischen Ländern) läßt der internationale Vergleich vermuten, daß die Gründungsdynamik in Deutschland wesentlich geringer ausgeprägt ist als im europäischen Durchschnitt. Die Ursachen hierfür lassen sich nicht eindeutig festmachen; zu ihnen zählen jedenfalls die Marktzugangsregulierungen, die im deutschen Handwerkswesen besonders ausgeprägt sind.

Abbildung 1

Anteil der Selbständigen (in %) an den Erwerbspersonen in der Europäischen Union 1994

[fehlt leider...]

Quelle: Institut für Wirtschaftspolitik an der Universität zu Köln

5.2 Umfang und Begründung der Regulierung des Handwerks

64.

Der Ursprung der handwerklichen Regulierung geht auf das Zunftwesen des Mittelalters zurück. Am Ende einer wechselvollen Geschichte 27) der (Selbst-) Ordnung des Handwerks stand die vom Bundestag 1953 verabschiedete Handwerksordnung (HwO), die zuletzt in den Jahren 1994 und 1998 mit dem "Ziel einer behutsamen Novellierung" (Bundeswirtschaftsministerium) reformiert wurde. 28)

65.

Rechtliche Grundlage für die Gründung oder den Betrieb eines Unternehmens ist in Deutschland die Gewerbeordnung, die in allgemeiner Form die Zulassungsregeln und die Pflichten für die Ausübung eines Gewerbes vorschreibt. Daneben gibt es spezielle gesetzliche Vorschriften für die Ausübung ganz bestimmter Gewerbe. Die HwO reguliert die Berufszulassung, die Berufsausübung und die Berufsbildung im Handwerk sowie die Aufgaben der handwerklichen Organisationen. Für die in Anlage A der HwO aufgeführten Berufe ist der selbständige Betrieb eines Handwerks nur einer natürlichen oder juristischen Person gestattet, die in der Handwerksrolle eingetragen ist (ß 1 Abs. 1 Satz 1 HwO). Voraussetzung zur Eintragung in die Handwerksrolle ist nach ß 7 Abs. 1 Satz 1 HwO eine bestandene Meisterprüfung. Zulassungsvoraussetzung für diese Prüfung sind eine Gesellenprüfung und die mehrjährige Tätigkeit als Geselle (ß 49 HwO). Mit dem Bestehen einer Meisterprüfung ist ein Handwerker nicht nur zum selbständigen Betrieb eines Handwerks, sondern auch zur Lehrlingsausbildung berechtigt. Mit diesem "Großen Befähigungsnachweis" wird für den Inhaber eines Handwerksbetriebs ein "Junktim" hergestellt zwischen dem Recht zur Gewerbeausübung und dem Recht zur Lehrlingsausbildung. Juristische Personen können sich nach ß 7 Abs. 4 Satz 1 HwO in die Handwerksrolle eintragen lassen, sofern sie einen Betriebsleiter anstellen, der die Voraussetzungen für die Eintragung in die Handwerksrolle erfüllt; gleiches gilt für eine Personengesellschaft (in bezug auf einen persönlich haftenden Gesellschafter).

66.

In begrenztem Umfang ist nach den Novellen von 1994 und 1998 die Betätigung eines Handwerksmeisters in Teilbereichen anderer Handwerke zulässig, für die er nicht in die Handwerksrolle eingetragen ist. Das gilt unter der Voraussetzung, daß es sich um Arbeiten aus dem Bereich anderer Handwerke handelt, die mit dem eigenen Handwerk technisch oder fachlich zusammenhängen oder es wirtschaftlich ergänzen (ß 5 HwO). Außerdem kann eine Eintragung in die Handwerksrolle erfolgen, sofern Gewerbe zu "verwandten Handwerken" erklärt werden, 29) wenn "die Beherrschung des einen Handwerks die fachgerechte Ausübung wesentlicher Tätigkeiten des anderen Handwerks ermöglicht" (ß 7 Abs. 1 Satz 2 HwO). Ein Handwerksmeister erhält eine Ausübungsberechtigung für ein anderes Handwerk auch dann, wenn er (unter Berücksichtigung seiner bisherigen beruflichen Erfahrungen und Tätigkeiten) die hierfür erforderlichen Kenntnisse und Fähigkeiten nachweist (ß 7a HwO).

In Ausnahmefällen kann eine Eintragung in die Handwerksrolle auch ohne abgelegte Meisterprüfung erfolgen. Das gilt bei

Keine Eintragung in die Handwerksrolle benötigen

Handwerkliche Neben- und Hilfsbetriebe.

Tabelle 3
Ausnahmegenehmigungen zur Eintragung in die Handwerksrolle
Jahr

HwO

1992

1993

1994

1995

1996

 
ß 7 a     268 223 230  
ß 7 Abs. 2   2 802 3 173 2 688 2 486  
ß 8 4 445 3 569 3 731 3 766 3 575  
ß 9 62 227 238  


Quelle: Institut für Wirtschaftspolitik an der Universität zu Köln

Eine Übersicht über die verschiedenen Ausnahmegenehmigungen zur Eintragung in die Handwerksrolle ist in Tabelle 3 zusammengestellt.

67.

Die Beibehaltung des Status Quo stützt sich im wesentlichen auf drei Argumente 32):

68.

Dem Argument der Qualitätssicherung liegt offenbar die Vorstellung des Marktversagens durch "asymmetrische Information" zugrunde. Da der Nachfrager von Handwerksleistungen die Qualität der zu erbringenden Leistung im voraus kaum abschätzen kann, besteht die Gefahr einer "adversen Selektion: Der Kunde wird sich bei seiner Nachfrageentscheidung vornehmlich am Preis orientieren; daher können besser befähigte Anbieter gegebenenfalls von schlechter qualifizierten Konkurrenten verdrängt werden, zumal diese - ohne die hohen Ausbildungskosten - günstigere Startvoraussetzungen haben. Verfolgt man das Argument weiter, so könnte sich eine Situation ergeben, in der die fehlenden Qualitätsanreize für die Kunden auch den besser qualifizierten Anbieter zwingen, tendenziell immer schlechtere Leistungen zu geringeren Preisen anzubieten, womit letztlich auch - insbesondere im sog. "Gefahrenhandwerk" - Risiken für Gesundheit und Leben verbunden sind. Das Marktversagen besteht demzufolge darin, daß sich - infolge der Reduktion des Wettbewerbs auf den Parameter Preis - - besser qualifizierte Handwerksleistungen auf dem Markt nicht durchsetzen. Aus dieser Argumentation wird das Erfordernis regulierender staatlicher Eingriffe abgeleitet. Eine abgeschlossene Berufsausbildung mit anschließender Gesellentätigkeit und Meisterprüfung könnte demnach die Kunden vor den skizzierten Fehlentwicklungen schützen. Der Große Befähigungsnachweis sei insoweit ein Gütesiegel für die zu erbringende handwerkliche Leistung. Zudem erspare er Transaktionskosten, weil die Nachfrager weniger Zeit für die Überprüfung der Leistungsqualität aufwenden müßten.

69.

Das vermutete Marktversagen im Handwerk und die damit verbundenen Fehlentwicklungen bewirken nach den Befürwortern der Regulierung ebenfalls das Entstehen einer ruinösen Konkurrenz. Dieses Ergebnis könnte selbst dann eintreten, wenn die qualitativ schlechteren Billiganbieter sich letzten Endes am Markt nicht durchsetzen sollten. Die bereits erwähnte Tendenz von Qualitätsrückgang und Preisverfall mündet in eine "Abwärtsspirale", weil die wirtschaftliche Existenz von qualifizierten Handwerksbetrieben ruiniert wird. Die Folge ist eine Verengung und Destabilisierung der Handwerksmärkte.

70.

Der Große Befähigungsnachweis gilt außerdem als Anreiz und zugleich als Qualifikationsnachweis für die Ausbildung von Fachkräften. Dadurch werden gleichzeitig bedeutende positive externe Effekte realisiert, da die Ausbildungsleistungen in erheblichem Maße auch den anderen Wirtschaftsbereichen zugute kommen, für welche das Handwerk ebenfalls eine Ausbildungsfunktion ausübt. Erst durch die Verknüpfung des Rechts zur Lehrlingsausbildung mit dem Recht zur Gewerbeausübung wird nach

Auffassung der Regulierungsbefürworter der wirtschaftliche Anreiz gegeben, mit der Übernahme von Ausbildungsleistungen auch die damit verbundenen Kosten zu tragen; das funktioniere aber nur mit einem ausreichenden Schutz vor ruinöser Konkurrenz. Neben dieser mittelbaren Kompensation werden auch berufsständische Überlegungen (Bindung der Ausgebildeten an ihre Ausbildungsbetriebe, Stärkung des Pflichtgefühls zur Übernahme von Ausbildungstätigkeiten, Wertbewußtsein der Berufsausbildung) angeführt.

5.3 Deregulierungserfordernisse

71.

Die hohe Regulierungsintensität des deutschen Handwerks wird von keinem anderen Staat der Europäischen Union erreicht (Tabelle 4); auch die Schweiz kommt mit relativ geringen Zugangsvoraussetzungen für die Handwerksmärkte aus. Nur in Österreich und Luxemburg werden die Berufszulassungen vergleichsweise restriktiv gehandhabt. In den anderen Ländern der Europäischen Union wird der Marktzugang überhaupt nicht reguliert (Großbritannien), oder es gelten einfache Zulassungsvorschriften für bestimmte Handwerke (z. B. Niederlande).

72.

Die Regulierung des Handwerks in Deutschland hat einen massiven Eingriff in individuelle Freiheitsrechte derjenigen zur Folge, die durch die administrativen Marktzutrittsschranken daran gehindert werden, selbständig ein Gewerbe auszuüben oder eine qualitative Ausweitung ihrer bestehenden betrieblichen Handwerkstätigkeit vorzunehmen. Im Ergebnis bedeutet das die Unterlassung der Neuschaffung von Arbeitsplätzen. Insofern müssen die Argumente, die für eine Regulierung vorgetragen werden, kritisch hinterfragt werden. Die Gründe für die Schaffung einer wettbewerbspolitischen Ausnahmesituation sind aber nicht nur ins Verhältnis zum Gewicht der Freiheitsbeschränkungen zu setzen; außerdem ist zu prüfen ob die Regulierung Fehlentwicklungen zur Folge hat. Das gilt nicht nur in sektoraler Sicht, sondern zugleich auch im Kontext der europäischen Integration.

73.

Das Argument der Qualitätssicherung (im Sinne einer Verbesserung des Verbraucherschutzes) durch den Großen Befähigungsnachweis erfaßt sehr heterogene Sachverhalte. In vielen handwerklichen Bereichen liegt keine "asymmetrische Information" vor. Der Kunde ist hier sehr wohl in der Lage, durch eigene Erfahrung oder durch Beschaffung von Informationen die Qualität der Handwerksleistung zu prüfen und die Angemessenheit des Kaufpreises zu beurteilen. Ein Großer Befähigungsnachweis kann in diesen Fällen also keinen zusätzlichen Schutz vor Übervorteilung bieten. Gleiches gilt für alle Qualitätserrungenschaften, die nicht von den fachlichen Kenntnissen des Handwerkers abhängen. Auch in anderen Fällen kann der Große Befähigungsnachweis keine Garantie für fachgerechte Ausübung oder unternehmerische Verantwortung liefern.

Gerade bei sich schnell ändernden wirtschaftlichen und technischen Anforderungen an Handwerkstätigkeiten ist das in der Vergangenheit erworbene Wissen immer weniger relevant. Von vergleichsweise wesentlich größerer Bedeutung wäre eine Fort- und Weiterbildung im Beruf, die jedoch durch den Meisterbrief nicht nachgewiesen wird.

Eine besondere Problematik stellt das "Gefahrenhandwerk" dar. Der besondere Verbraucherschutz in diesem Bereich läßt sich aber in solchen Fällen gar nicht durch den Großen Befähigungsnachweis erreichen, in denen die Schadensursache nicht mangelnde Fachkenntnis, sondern fehlerhafte Ausführung ist.

Im übrigen reichen nach Auffassung der Monopolkommission die Gewerbeaufsicht, die vorhandenen Haftungsregeln sowie die bereits bestehenden Sondervorschriften und speziellen Aufsichtsbefugnisse für die Qualitätssicherung der sich im Wettbewerb herausbildenden, vom Verbraucher gewünschten Standards aus. Darüber hinaus werden viele Handwerker die Meisterqualifikation von sich aus anstreben, um - insbesondere beim Angebot von "Vertrauensgütern" - ihre unternehmerische Reputation zu erhöhen und somit ihre Stellung im Wettbewerb zu verbessern. Wer jedoch durch die hohen Kosten oder sonstigen Belastungen (entgangenes Einkommen, abschreckende Prüfungsanforderungen) vom Erwerb der Meisterqualifikation abgehalten wird, dem kann deshalb nicht eine ausreichende, fachliche und unternehmerische Qualität abgesprochen werden, um sich auf dem Markt zu behaupten.

Tabelle 4
Marktzutrittsregulierung im Handwerk in den Mitgliedstaaten der europäischen Union
Mitgliedstaat

Rechtliche
Grundlagen
des Marktzutritts

Gesetzliche
Festlegung
des Handwerks

Zulassungs-
vorschriften

Betroffene
Handwerksberufe

Handwerks-
kammern

Deutschland Gewerbeordnung; Eintragung in die Handwerksrolle Gesetzlich definiert Großer Befähigungsnachweis 94 in Anlage A der Handwerksordnung aufgeführte Berufe Pflichtmitgliedschaft

Aufgaben: Überwachung der Berufsausbildung; Erlaß von

Prüfungsvorschriften; Gutachtertätigkeit

Niederlande Gewerbeordnung;

Registrierung erforderlich

Allgemeiner Konsens, was als Handwerk angesehen wird Zulassung nach 4 Kategorien:

kein Nachweis

Nachweis allgemeiner Unternehmenskenntnisse

zusätzliche spezielle Kenntnisse

zusätzliche branchenspezifische Kenntnisse

Je nach Kategorie bestimmte Handwerke Pflichtmitgliedschaft

Aufgaben: Interessenvertretung; Ansprechpartner des Gesetzgebers;

freiwillige Qualitätsstandards

Großbritannien Gewerbefreiheit (Registrierung für KGs und einzelne Gewerbe) Keine Festlegung Freier Marktzutritt Keine Keine Pflichtmitgliedschaft

Aufgaben: Beratung; Interessenvertretung; freiwillige

Qualitätsstandards

Frankreich Im allgemeinen Gewerbefreiheit; Registrierung Gesetzlich definiert über die Art der Tätigkeit

< 10 Beschäftigte

 

Freier Marktzutritt

Ausnahmen: Sonderprüfungen, Nachweis praktischer Tätigkeit, Sondergenehmigungen

Augenoptiker, Friseure,

Kfz-Mechaniker

Pflichtmitgliedschaft Aufgaben: Interessenvertretung; Berufsausbildung; Beratung
Spanien

 

Freiwillige Eintragung ins Handwerksregister

(steuerliche Vorteile)

Klassifikation von Handwerksberufen

< 6

 

Beschäftigte

Nachweis über ausreichende technische Mittel; Kenntnis der Sicherheitsvorschriften; Berufsausbildungsnachweis

Bestimmte Gefahrenhandwerke Keine Pflichtmitgliedschaft Aufgaben: Interessenvertretung
Irland

 

Völlige Gewerbefreiheit

 

Keine Festlegung

 

Freier Marktzutritt

 

Keine

 

Keine Pflichtmitgliedschaft Aufgaben: Interessenvertretung;

Qualitätskontrollen; Aus- und Weiterbildung

Italien

 

Grundsätzlich Gewerbefreiheit

 

Gesetzlich definiert

 

Allgemein: freier Marktzutritt

Ausnahmen: Befähigungsnachweis (entspricht der deutschen

Gesellenprüfung)

Friseure,

Installateure

 

Keine Pflichtmitgliedschaft Aufgaben: Interessenvertretung;

Berufsausbildung; Beratung/Unterstützung

Österreich

 

Gewerbeordnung; Registrierung Gesetzlich definiert Meisterprüfung oder Berufsausbildende Schule 96 Handwerksberufe Pflichtmitgliedschaft

Aufgaben: Interessenvertretung; Beratungsleistungen

Portugal Gewerbefreiheit; Registrierung Keine Festlegung Freier Marktzutritt Keine Handwerkskammern existieren nicht; Mitgliedschaft bei Industrie- und

Handelskammern

Dänemark Gewerbeordnung

 

Keine Festlegung Allgemein: freier Marktzutritt

Ausnahmen: Gesellenprüfung nach der Lehre

Bestimmte Gefahrenhandwerke Keine Pflichtmitgliedschaft

Aufgaben: Interessenvertretung

Belgien Gewerbeordnung; Registrierung Keine gesetzliche Festlegung; Abgrenzung nach allgemeinen Merkmalen Nachweis von Fach- und Betriebskenntnissen 23 Berufe Keine Pflichtmitgliedschaft Aufgaben: Interessenvertretung; Beratung

der Regierung

Griechenland Grundsätzlich Gewerbefreiheit Keine Festlegung Allgemein: freier Marktzutritt

Ausnahmen: Betriebserlaubnis

Bäcker, Getränkeabfüller, u. a. Keine Pflichtmitgliedschaft Aufgaben: Interessenvertretung;

Beratung/Unterstützung

Schweden

 

Grundsätzlich Gewerbefreiheit Keine Festlegung Allgemein: freier Marktzutritt

Ausnahmen: Meisterprüfung

 

Elektro- und Sanitärhandwerk Handwerkskammern existieren nicht; handwerkliche Berufe gehören den

Industrieverbänden an

Finnland Grundsätzlich Gewerbefreiheit Keine Festlegung Allgemein: freier Marktzutritt Besondere Qualifikationen Gefahrenhand-werke Handwerkskammern existieren nicht; Interessen vertreten die

Arbeitgeberverbände

Luxemburg Gewerbeordnung; Registrierung Keine gesetzliche Festlegung Großer Befähigungsnachweis oder technischer Unterricht und

Berufserfahrung

Insgesamt 151 Handwerksberufe und handwerksähnliche Berufe Pflichtmitgliedschaft

Aufgaben: Ansprechpartner des Gesetzgebers; Einbindung in die

Gesetzgebung

Schweiz

 

 

 

Grundsätzlich Gewerbefreiheit Keine Festlegung Allgemein: freier Marktzutritt

Ausnahmen: Befähigungsnachweis

Gefahrenhand-werke

(Elektro- und Installationsberufe)

Berufsverbände statt Kammern; keine Pflichtmitgliedschaft

Aufgaben:

Mitwirkung an beruflicher Ausbildung



Quelle: Institut für Wirtschaftspolitik an der Universität zu Köln

74.

Die These von der ruinösen Konkurrenz läßt sich nach Überzeugung der Monopolkommission nicht aufrecht erhalten. Sie beruht im Kern auf der richtigen Erkenntnis, daß sich der Wettbewerb intensivieren wird, sofern die Märkte des Handwerks auch für Nicht-Meisterbetriebe geöffnet werden, insbesondere in Bereichen, in denen durch die Meisterausbildung eine Überqualifikation erzwungen wird. Die Wettbewerbsbelebung wird bei einzelnen Anbietern zu Einkommenseinbußen oder im Einzelfall auch zu einem Ausscheiden aus dem Markt führen. Diese vom Wettbewerb erwartete Selektionsfunktion belastet aber typischerweise gerade nicht den Anbieter mit der höheren Qualität oder generell die Meisterbetriebe, sondern den am Markt weniger Leistungsfähigen.

75.

Für die handwerkliche Aus- und Fortbildung ist der Meisterbrief weiterhin als fachliche Voraussetzung beizubehalten (im Sinne eines "Kleinen Befähigungsnachweises"). Einer Verknüpfung mit der Gewerbezulassung als besonderem Ausbildungsanreiz bedarf es dabei jedoch nicht. Das Ausbildungsinteresse besteht bereits aufgrund des Eigenbedarfs an handwerklichem Nachwuchs. Zudem ist davon auszugehen, daß die Kosten der Lehrlingsausbildung gerade im Handwerk in etwa dem Nutzen für die Betriebe entsprechen, da die Lehrlinge während der Arbeit ausgebildet und dabei zugleich als Handlanger eingesetzt werden. Der Handwerksmeister hat zudem die Chance, die Ausbildungsbesten in seinem Betrieb weiterzubeschäftigen und dadurch Such- und Einarbeitungskosten einzusparen.

76

Ein Deregulierungserfordernis für das Handwerk sieht die Monopolkommission auch in Verbindung mit der Fortentwicklung der europäischen Integration. Hierbei stellt die Handwerksregulierung einen zweifachen Standortnachteil für das deutsche Handwerk dar: Einmal erhöht sie die Markteintrittskosten für selbständige Anbieter im Handwerk; zum anderen führt sie zu Preiserhöhungen bei den zu erbringenden Leistungen. Ein Handwerker aus einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union benötigt keinen Meisterbrief, um sich in Deutschland selbständig zu machen. Das führt zu einer Inländerdiskriminierung. Die unterschiedlichen Marktzugangsvoraussetzungen erschweren einerseits die Angebotsausweitung für Dienstleistungen des deutschen Handwerks in andere EU-Staaten und begünstigen zum anderen das Angebot ausländischer Handwerksleistungen in Deutschland. Bei einer Ost-Erweiterung der Europäischen Union, die in den kommenden Jahren ansteht, werden die regulierungsbedingten Nachteile einer geringeren Wettbewerbsfähigkeit des deutschen Handwerks noch stärker hervortreten, und der Konkurrenzdruck wird sich - zusätzlich bedingt durch hohe Lohnkostenunterschiede - weiter verstärken.

77.

Das Ergebnis der Wettbewerbseinflüsse des europäischen Umfelds zeigt aber nur eine Facette der Fehlentwicklungen, die von der Regulierung des deutschen Handwerks ausgehen. Fehlender Konkurrenzdruck durch Außenseiterwettbewerb führt bei gleichzeitiger Angebotsverknappung als Folge administrativer Marktzutrittsschranken zur Verteuerung der angebotenen Leistung, ohne daß deshalb mehr Qualität geboten wird.

Zugleich ergibt sich damit ein negativer Anreiz auf den Leistungsumfang durch Expansion der Schattenwirtschaft. Das Handwerk ist in besonderem Maße von deren illegaler Form, der Schwarzarbeit, wie auch von Eigenarbeit und Selbstversorgung betroffen. Neben den Absichten der Abgabenhinterziehung (Steuern und Sozialversicherungen) spielt auch das durch Regulierung künstlich angehobene Preisniveau eine Rolle für die Zunahme 33): Der schwarzarbeitende Geselle kann bei seiner illegalen Gewerbeausübung einen niedrigeren Preis kalkulieren als der zugelassene Handwerksmeister, dessen Ausbildungskosten sich in der Preisgestaltung niederschlagen müssen. 34) Die Selbstversorgung bedeutet im Ergebnis eine Rückverlagerung wirtschaftlicher Tätigkeiten, die zuvor über den Markt koordiniert wurden, in die Privathaushalte.

78.

Durch die Handwerksordnung wird die Flexibilität der Gewerbeausübung eingeschränkt. Bei Nachfrageänderungen ist ein Wechsel des Betriebsschwerpunktes nicht ohne weiteres möglich, und auch die Kombination mehrerer handwerklicher Leistungen unterliegt der ordnenden Hand der Regulierung. Dadurch verfestigen sich vorhandene Strukturen, und der wachstumsnotwendige Strukturwandel, der letztlich auch mit der zunehmenden Tertiarisierung der Wirtschaft verbunden ist, wird aufgehalten, womit sich die Erwerbschancen insgesamt verschlechtern. Eine Ausdehnung der Handwerksordnung auf weitere Industrie- und Dienstleistungsberufe, die vorher nicht Bestandteil der Anlage A waren, würde weitere negative Wirkungen mit sich bringen. Existenzgründungen werden erschwert, und bestehende Betriebe müssen sich um nachträgliche Einstellung eines Meisters bemühen, wenn sie in den bisher nicht zugangsbeschränkten Gewerbezweigen (weiterhin) tätig sein wollen.

79.

In der Summe ergeben sich aus der Handwerksregulierung negative Beschäftigungseffekte. Die Insider, die ein Handwerksunternehmen der Anlage A HwO führen, werden vor Preis- und Qualitätswettbewerb geschützt mit den entsprechenden negativen Anreizen für ein innovatives Angebot; die Teuerung der Handwerksleistungen hat Mengeneffekte (und damit zugleich Beschäftigungseffekte) zur Folge, was nicht zuletzt in der ausgeprägten Schattenwirtschaft zum Ausdruck kommt, 35) durch die legale Arbeitsplätze vernichtet oder in ihrer Entstehung verhindert werden. Die Beschränkung der Ausweitung handwerklicher Betätigung in andere Handwerksbereiche, für die kein Großer Befähigungsnachweis vorhanden ist, führt zu weiterer Angebotsreduktion. Durch den Marktausschluß der Outsider, die bislang kein (legales) selbständiges Gewerbe betreiben, werden bedeutende Potentiale für Kosten- und Preissenkungen von Marktleistungen nicht genutzt. Unternehmensgründungen, die mit positiven Beschäftigungseffekten verbunden sind, unterbleiben. Wie sich die Regulierung auf die Gründungsdynamik von Unternehmen auswirkt, läßt sich aus der Entwicklung der Betriebszahlen des handwerklichen Sektors ablesen: Während die Zahl der Handwerksunternehmen im Jahre 1996 gegenüber 1970 stark abgenommen hat und seit den 80er Jahren stagniert, hat sich im gesamten Zeitraum die Zahl der Unternehmen des handwerksähnlichen Gewerbes, für das uneingeschränkte Gewerbefreiheit gilt, vervierfacht (Tabelle 5).

Tabelle 5
Anzahl der Unternehmen im Handwerk und im handwerksähnlichen Gewerbe (in 1 000)
Jahr Handwerksunternehmen Unternehmen des handwerksähnlichen Gewerbes
1970 585,1 29,4
1980 496,2 51,1
1990 489,2 77,9
1992 489,2 86,7
1994 482,7 105,5
1996 485,1 119,7


Quelle: Institut für Wirtschaftspolitik an der Universität zu Köln

5.4 Ergebnis der Novellierungen der Handwerksordnung

80.

Mit der Novelle der Handwerksordnung aus dem Jahre 1994 36) sollte das Handwerk in die Lage versetzt werden, sich einfacher und schneller an wirtschaftliche und technologische Entwicklungen anzupassen. Vor allem die Möglichkeiten für handwerksübergreifende Tätigkeiten sollten verbessert werden. Ein greifbarer Erfolg war damit jedoch nicht verbunden, weil eine Deregulierungsabsicht letztlich gar nicht vorlag.

81.

Die Novelle von 1998 37) bezweckt entsprechend dem interfraktionellen Entwurf von CDU/CSU, SPD und F.D.P., "Handwerke mit einem breiten Leistungsangebot aus einer Hand zu schaffen". 38) Mit dem Inkrafttreten der Novelle am 1. April 1998 wurden die vormals 127 Handwerke der Anlage A HwO auf 94 reduziert. Dies wurde überwiegend durch die Zusammenlegung einzelner Handwerksberufe erreicht; davon sind insgesamt 69 Handwerke betroffen. Als neues Handwerk wurde der Gerüstbauer in die Anlage A aufgenommen. Sechs Handwerke wurden als "handwerksähnlich" in die Anlage B überführt und können nunmehr ohne Meisterqualifikation ausgeübt werden. 39) Erleichtert wird für Industriemeister, eine Ausnahmebewilligung nach ß 8 HwO zu erhalten, sofern ihre Fachrichtung "in wesentlichen fachlichen Punkten mit der Meisterprüfung für ein Gewerbe der Anlage A übereinstimmt". Bei 14 Handwerken wird zusätzlich die Möglichkeit einer Betätigung im Bereich anderer Handwerke geschaffen, indem diese zu "verwandten Handwerken" erklärt werden.

Schließlich werden bestimmte "wesentliche Tätigkeiten", die bisher einem Handwerk vorbehalten waren, auch anderen Handwerken zugeordnet. 40)

82.

Im Ergebnis ist somit auch mit der Novelle der Handwerksordnung von 1998 keine entscheidende Marktöffnung verbunden; grundsätzlich gilt nach wie vor die Meisterprüfung als Zulassungsvoraussetzung für die selbständige Ausübung eines Handwerks. Damit werden insbesondere wegen der hohen Ausbildungskosten Existenzgründungen im Übermaß erschwert und der unregulierte Marktzugang durch Außenseiter weiterhin auf den Randbereich des handwerksähnlichen Gewerbes beschränkt, bzw. die Existenzgründer werden auf den Weg über das europäische Ausland verwiesen.

Die Novelle hat dagegen eine begrenzte Insider-Liberalisierung hervorgebracht. Vor allem die Zusammenlegung verschiedener Handwerke kann in Zukunft zu größerer Flexibilität beim Leistungsangebot aus einer Hand führen. Von der Auflockerung der Ausnahmebescheinigungen (ßß 7, 7a, 8 HwO) sind indessen nur begrenzte quantitative Effekte für die Neugründung von Handwerksunternehmen zu erwarten; letztlich hängt der Liberalisierungserfolg auch davon ab, wie restriktiv die Ausnahmebestimmungen ausgelegt werden.

5.5 Empfehlungen

83.

"Die Regulierungsdichte unseres öffentlichen, wirtschaftlichen und privaten Lebens ... ist nur einer der Gründe für unsere hohe Arbeitslosigkeit, aber sie ist ein wichtiger Grund." Dieser vom ehemaligen Bundeskanzler Helmut Schmidt geäußerte Sachzusammenhang 41) gilt nach Auffassung der Monopolkommission uneingeschränkt für die deutsche Handwerksordnung. Dabei ist die für das Handwerk reklamierte Ausnahmesituation nicht schlüssig begründbar; die von den Befürwortern der Regulierung befürchteten Auswirkungen einer Marktöffnung sind nicht (empirisch) belegt und ökonomisch auch nicht stichhaltig. Vergleiche mit stärker wettbewerblich organisierten Wirtschaftsbereichen, aber auch ausländische Erfahrungen legen vielmehr die Vermutung nahe, daß die Handwerksregulierung im Hinblick auf die angestrebten Ziele in jedem Falle unverhältnismäßig ist und darüber hinaus Fehlentwicklungen generiert, die sich in erheblichen gesamtwirtschaftlichen Wohlfahrtsverlusten niederschlagen. Im Grunde besteht (quer durch alle politischen Parteien und gesellschaftlichen Gruppierungen) ein breiter Konsens darüber, daß die (soziale) Marktwirtschaft mit offenen Märkten und individuellen Freiheitsrechten als Grundprinzip der Ordnung von Wirtschaft und Gesellschaft nützlich und notwendig ist. 42) Damit gerät eine davon abweichende Ordnung, die sich auf umfassende bereichsspezifische Regulierungen stützt, unter starken Legitimationszwang.

84.

Der Abbau der Regulierung des Handwerks ist notwendig, um die Märkte für Neugründungen zu öffnen 43) und das vorhandene Wachstums- und Beschäftigungspotential zu nutzen. Hierzu bieten sich unterschiedliche Optionen an, da die gesamtwirtschaftlichen Auswirkungen alternativer Maßnahmen oder Szenarien nicht immer unstrittig zu antizipieren bzw. abzuwägen sind und Widerstände von seiten der unmittelbar Betroffenen überwunden werden müssen. Dabei kann es nicht darum gehen, aus Prinzip die gewachsenen Ordnungsstrukturen abzuschaffen oder anerkannte Regeln in Frage zu stellen. Generell abzulehnen ist aber in jedem Falle eine Ausweitung der Handwerksordnung auf weitere Industrie- und Dienstleistungsberufe, wie sie etwa im Falle des sich dynamisch entwickelnden Computerbereichs in Erwägung gezogen wurde. Gerade die hohe Anzahl von Existenzgründungen in diesem Markt offenbart die Chancen, die in einem unbeschränkten Marktzutritt liegen.

85.

Die Monopolkommission empfiehlt die Abschaffung des Großen Befähigungsnachweises als Voraussetzung für den Marktzutritt im Handwerk. 44) Es würde ausreichen, wenn als Zulassungskriterium die Anforderungen an ausländische Anbieter von Handwerksleistungen 45) innerhalb des Bundesgebietes herangezogen werden. Demnach sollten auch Gesellen mit mehrjähriger Berufserfahrung als Selbständige ein Handwerk betreiben dürfen. Damit würde zugleich die bestehende Inländerdiskriminierung bei der Zulassung aufgehoben. Die Meisterprüfung kann aber freiwillig abgelegt werden. Der Meistertitel ist für den Kunden ein Qualitätssignal der zu erwartenden Handwerksleistung; er berechtigt außerdem den Anbieter zur Ausbildung des handwerklichen Nachwuchses. Beides scheint nach Auffassung der Monopolkommission ein hinreichender Anreiz für die Weiterqualifikation von Handwerksgesellen, ohne daß sie dabei als Marktzutrittsschranke bestehen bleibt.

Für das "Gefahrenhandwerk" könnten ergänzende Vorschriften (z. B. in Form eines zusätzlichen Sachkundenachweises) zur Gefahrenreduzierung verlangt werden. Die Monopolkommission hält eine solche ergänzende Regelung jedoch nicht für zwingend erforderlich. Die allgemeine Gewerbeaufsicht, das gegenwärtige Haftungsrecht und bestehende präventive Schutzvorschriften sind als Verbraucherschutz ausreichend. Es gibt keine Erkenntnisse darüber, daß in anderen europäischen Ländern, in denen der Marktzutritt zum Handwerk nicht oder weniger beschränkt ist, die Qualität der Handwerksleistungen erkennbar geringer oder das Risiko für den Verbraucher höher als in Deutschland wären.

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Die Meisterprüfung könnte auch als Ergebnis abgestufter Qualifikationsschritte organisiert werden. Die Höherqualifikation in Zwischenschritten könnte die Kosten senken und die Fortbildungsanreize für Gesellen erhöhen. Zugleich böte sich die Chance, den differenzierten Anforderungen von Märkten mit Zwischenqualifikationen Rechnung zu tragen.

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Weiterhin sollte die Abgrenzung der Berufsbilder gelockert werden, damit in stärkerem Maße Leistungen "aus einer Hand" angeboten werden können; damit würde der in der Handwerksnovelle 1998 eingeschlagene Weg fortgesetzt. Die Realisierung dieses Vorschlages erleichtert vor allem den kleineren Handwerksbetrieben die Übernahme von Aufträgen mit unterschiedlichen Gewerken. Gleichzeitig könnte die Liste verwandter Handwerke erweitert werden, um das Angebot des einzelnen Handwerksunternehmens flexibler und umfangreicher zu gestalten.

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Die Monopolkommission hält auch einen noch stärkeren Einschnitt in die Regulierungsdichte für möglich, als ihn die voranstehenden Empfehlungen darstellen. Zur Verwirklichung der vollständigen Gewerbefreiheit wäre (im Rahmen der fortgeltenden Gewerbeordnung) der Marktzutritt ohne handwerksspezifische Einschränkung jedem Interessenten möglich. Eine derartige Marktorganisation des Handwerks führt nicht zur Anarchie, wie in anderen nichtregulierten Wirtschaftsbereichen zu sehen ist oder ausländische Beispiele (z.B. Großbritannien) lehren. Man muß daran erinnern, daß auch die sog. "freie" Marktwirtschaft nicht ohne Spielregeln auskommt und kein ungeordneter Zustand ist. Vielmehr gibt es einen Rahmen konstituierender Regeln (in Form von allgemein gültigen Gesetzen), welche die Freiheiten des Anbieters auf ein sozial verträgliches Maß begrenzen und den Konsumenten vor Übervorteilung und Gefahren schützen. Ein empirischer Nachweis für die Überlegenheit alternativer Ordnungsvorstellungen mit unterschiedlicher Regulierungsintensität läßt sich nicht liefern; es können aber mehr oder weniger starke Indizien herangezogen werden. Alle bisherigen Erfahrungen (auch im Vergleich mit ausländischen Systemen) zeigen jedenfalls, daß in einer Organisation des Wirtschaftens, die auf freie persönliche Entfaltung und minimale staatliche Vorschrift setzt, das erfolgreichere Konzept bei der notwendigen Anpassung an dynamische Entwicklung und strukturelle Veränderung zu finden ist.

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Am Beispiel der Handwerksregulierung wird deutlich, daß sich innerhalb der Wirtschaftspolitik die Problemlösungskapazität des Wettbewerbs nicht hinreichend niederschlägt. Dies mag auf Erkenntnislücken beruhen oder fehlende ordnungspolitische Durchsetzungsfähigkeit reflektieren. Die absehbare Entwicklung, insbesondere die Ost-Erweiterung der Europäischen Union, wird die wirtschaftliche Situation des Handwerksstandortes Deutschland (weiter) verschlechtern. Die gegenwärtigen Bedingungen verhindern das Entstehen eines wachstumsfördernden Innovationsklimas: Neue gewerbliche Initiativen werden behindert; damit wird zugleich kreatives unternehmerisches Potential unterdrückt, das sich positiv auf das Angebot im volkswirtschaftlich wichtigen Dienstleistungssektor auswirken könnte. Die Politik ist aufgefordert, den wirtschaftlichen Ordnungsrahmen für eine freie, selbständige Gewerbetätigkeit antizipierend zu gestalten, und auch das Handwerk selbst sollte die Deregulierung mehr als Chance denn als Bedrohung begreifen.

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