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für Gewerbefreiheit auch im Handwerk - weg mit dem Meisterzwang
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Österreich hat sich vom Meisterzwang befreit

Der grundlegenden Reform des Gewerberechts in Österreich 2002 schenkte die deutsche Öffentlichkeit wenig Beachtung. Zu Unrecht, wie die Überprüfung ihrer Ergebnisse belegt.

Österreichs Verfassungsgerichtshof hat Interessen der Bürger im Auge

Den Befreiungsschlag haben die österreichischen HandwerkerInnen ganz wesentlich ihrem Verfassungsgerichtshof zu verdanken, der keine "sachliche Rechtfertigung" dafür fand, warum "österreichische Staatsbürger mit einer einschlägigen fachlichen Tätigkeit im Ausland" vom Meisterzwang befreit wurden, während die Befreiung denjenigen verweigert wurde, die diese Berufserfahrung in Österreich gesammelt hatten.

Eine Unterscheidung, wie sie das deutsche Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie in der EU/EWR-Handwerk-Verordnung (EU/EWR HwV) 2007 getroffen hat und in der von Berufserfahrung die Rede ist, die in "einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union, einem anderen Vertragsstaat des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum oder in der Schweiz" erworben wurde, schloss der österreichische Verfassungsgerichtshof hingegen aus. Die österreichische Bundesregierung argumentierte seinerzeit, das hohe Niveau gewerblicher Tätigkeit schützen zu wollen. Die Verfassungsrichter hielten dem entgegen, dass gerade in Österreich erworbene Berufserfahrung und damit die bessere Kenntnis der Gegebenheiten geeignet sei, ein hohes Niveau sicherzustellen. Damit wurde die Inländerdiskriminierung für verfassungswidrig erklärt, und der Gesetzgeber bekam den Auftrag, entsprechende Anpassungen vorzunehmen.


Republik Österreich

Das Handwerk, ein Gewerbe unter vielen

Freiheit der Berufswahl wird konsequent als hohes verfassungsrechtliches Gut verstanden. Die Ausübung eines Handwerks darf dabei durchaus strengen Sicherheitsauflagen unterworfen werden, nicht aber der generelle Zugang zu diesem Handwerk, so die Prämisse. Das Gewerberecht musste also dergestalt überarbeitet werden, dass es die Verbraucher weiterhin vor gesundheitlichen Gefahren schützt, aber die Beschränkungen des Zugangs zu gewerblicher Tätigkeit auf ein unverzichtbares Maß reduziert, in Anpassung an europäische Standards.

Die österreichische Gewerbeordnung unterscheidet zwischen freien und reglementierten Gewerben. Frei sind zunächst alle Gewerbe, die nicht zu den 80 in der Gewerbeordnung aufgezählten reglementierten gehören. Hier genügt die Geschäftsfähigkeit, so dass mit erfolgter Anmeldung das Gewerbe sofort aufgenommen werden kann. Für die Ausübung der reglementierten Gewerbe, darunter 42 Handwerke wie Bäcker, Bodenleger, Dachdecker, Fleischer, Friseur und Perückenmacher (Stylist), Konditor und Rauchfangkehrer muss dagegen ein Nachweis der Befähigung (siehe Box) vorhanden sein. Liegt dieser vor, genügt auch hier die Gewerbeanzeige, um umgehend das Gewerbe aufnehmen zu können.

Die Bezirksverwaltungsbehörde kann die Ausübung nur ausdrücklich untersagen, sofern die Befähigung nicht nachgewiesen ist. Unter den reglementierten Gewerben gibt es jedoch eine Untergruppe, für die von der Behörde zunächst die Zuverlässigkeit des Bewerbers anhand ihr zugänglicher Quellen überprüft wird. Diese sogenannten sensiblen Gewerbe dürfen erst nach erfolgter behördlicher Genehmigung ausübt werden. Als unzuverlässig gilt, wer in dem betreffenden Gewerbe schwerwiegend gegen Rechtsvorschriften und Schutzinteressen verstoßen hat, sich in einem offenen Insolvenzverfahren befindet oder anderweitig strafrechtich aufgefallen ist. Umfang und Art der Überprüfung richete sich nach dem jeweiligen Gewerbe. Das Verfahren wird von der Wirtschaftskammer als wenig transparent kritisiert. Zu diesen "Zuverlässigkeitsgewerben" zählen Bau- und Brunnenmeister, Elektrotechnik, Feuerwerksherstellung und -handel, Gas- und Sanitärtechnik sowie der Zimmermeister.

Konsequente Umsetzung mit kleinem Schönheitsfehler

Das Handwerk unterscheidet sich von den anderen Gewerben lediglich dadurch, dass hier die Möglichkeit besteht, die Befähigung auch durch eine Meisterprüfung nachzuweisen. Der Titel "Meisterwerkstatt" oder "Meisterbetrieb" reduziert sich in Österreich also nunmehr auf ein werbewirksames Qualitätssiegel. Kritisch ist hingegen die Ermächtigung der jeweiligen Fachorganisation der Wirtschaftskammer, "den Stoff der Zusatzprüfung [...] sowie den Entfall einzelner Module oder Teile von solchen im Fall einer bestandenen einschlägigen Lehrabschlussprüfung durch Verordnung festzulegen." Andere Stellen sind lediglich anzuhören. Hierin versteckt sich wieder die Möglichkeit einer Unternehmerorganisation (Wirtschaftskammer), den Marktzugang nach eigenem Gutdünken zu bestimmen. Umgekehrt müsste ein Schuh daraus werden: Die Wirtschaftskammer wird angehört, aber eine demokratisch legitimierte Instanz träfe die Festlegung.

Interessant ist jedoch die Zulassung zur bekannten Meisterprüfung. Hier muss keine abgeschlossene Berufsausbildung oder zweijährige Berufspraxis mehr nachgewiesen werden. Volljährig, geschäftsfähig und mündig zu sein, reicht vollkommen aus.

Ergebnisse nach dreieinhalb Jahren

2006 veröffentlichte das österreichische Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit einen Abschlussbericht. Die Zahl der Unternehmensneugründungen in Gewerbe und Handwerk stieg bis 2005 um 149 %. Die Neugründungen erwiesen sich zudem als nachhaltig. Auf die Zahl der Beschäftigten hatten die zunehmenden Gründungen hingegen kaum Einfluss. Es ist zu vermuten, dass es sich überwiegend um Klein- und Kleinstunternehmen gehandelt hat.

Diese volkswirtschaftliche Betrachtung sagt jedoch nichts über den qualitativen Gewinn der Novelle aus. Gerade BUH- Mitgliedern wird bewusst sein, dass der Wechsel vom Angestelltenverhältnis in die Selbstständigkeit sehr wohl einen Gewinn in Hinblick auf Unabhängigkeit und Ansehen bedeutet. Es ist schließlich unser Ziel, dem Kunden als verantwortungsbewusster Partner mit hohem Qualitätsanspruch gegenübertreten zu können und nicht als weisungsgebunde ner, lohnabhängiger Lakai. Die Chance beruflicher Selbstverwirklichung und damit die Ausgestaltung des Rechts der freien Berufswahl sind ein hohes Gut, welches bei dieser Art quantitativer Betrachtung außen vor bleibt. Erstaunlicherweise kam es nicht zu einer Zunahme von Eintragungen aufgrund des individuellen Befähigungsnachweises (siehe Box). Im Gegenteil, die Quote dieser spezifischen Anmeldungsvariante sank von 10,4 % in 2002 auf 8,6 % in 2004. Zwar war die Zahl der Auszubildenden insgesamt rückläufig, dies wurde im Bericht jedoch auf mangelndes Interesse und dem ersatzweisen Streben nach höherer Schulbildung zurückgeführt. Die Autoren ziehen insgesamt eine positive Bilanz und sehen eine Stärkung des selbstständigen Unternehmertums in Österreich.

Ein Gewinn auch für die Verbraucher

Der Abschlussbericht weist aber noch auf einen weiteren, positiven Effekt der Novelle hin. Der Verbraucher profitiere von Wettbewerbseffekten wie der Durchsetzung von leistungsfähigeren Betrieben, verbesserter Angebotsqualität, Service und Kundenorientierung. Für den BUH keine Überraschung, verlangt der BUH doch seit Jahren die Aufhebung des Meisterzwangs in Deutschland mit genau diesen Argumenten. Der deutsche Gesetzgeber bleibt weiterhin gefordert, endlich eine konsequente Anpassung an europäische Ausbildungsstandards zu vollziehen und die deutsche Sonderwirtschaftszone "Handwerk" von überkommenen und entwicklungshemmenden ständischen Zwängen zu befreien. Österreichs Gewerbeordnung könnte da Vorbild sein.

Mario Simeunovic (erschienen im FREIBRIEF, dem Mitgliedermagazin des BUH, im September 2010)

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