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für Gewerbefreiheit auch im Handwerk - weg mit dem Meisterzwang
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Deutschland beharrt auf seinem Sonderweg

Das Bundesverwaltungsgericht hat den Meisterzwang bestätigt und sich damit in Widerspruch zu seiner eigenen Rechtsprechung gesetzt.

von Dr. Simon Bulla

Ausbildungsrahmenplan zur gesetzlichen Norm erhoben

Mit zwei Urteilen vom 31.8.2011 (Az. 8 C 9.10 und 8 C 8.10) hat das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) den Meisterzwang der deutschen Hand- werksordnung ein weiteres Mal als verfassungskonform bestätigt.

Geklagt hatten zwei Handwerker, eine Friseurin und ein Dachdecker, die festgestellt wissen wollten, dass sie einzelne Tätigkeiten ihres Gewerks auch ohne Eintragung in die Handwerksrolle ausüben dürfen. Ihre Anwälte hatten die auszuübenden Tätigkeiten in ihren Klageanträgen im Einzelnen detailliert aufgeführt.

Nach Auffassung des BVerwG, das damit die Ansicht des OVG Münster als Berufungsgericht bestätigt hat, ist eine solche Klage dahingehend auszulegen, dass die Kläger das Handwerk mit allen im Klageantrag aufgeführten Tätigkeiten ohne Eintragung in die Handwerksrolle betreiben wollen. Es genügte den Gerichten somit, eine einzige Tätigkeit aus dem Klageantrag herauszusuchen, die sie dem sogenannten Kernbereich des betreffenden Handwerks zuordneten, um die Klage abzulehnen. Der Dachdecker hatte etwa beantragt, auch Dachziegel und Dachsteine verlegen zu dürfen.

Dies betreffe - so urteilte das BVerwG unter (unzulässigem!) Rückgriff auf die Verordnung über die Berufsausbildung zum Dachdecker nebst Ausbildungsrahmenplan - "geradezu den Kernbereich dieses Handwerks".

Das BVerwG setzt sich damit in Widerspruch zu seiner eigenen Rechtsprechung. Schon mit Urteil vom 21.12.1993 (Az. 1 C 1/92 = GewArch 1994, 199) - das Handwerksrecht diente damals noch dem Erhalt von Leistungsstand und Leistungsfähigkeit des deutschen Handwerks - hatte es festgestellt, dass der Vorbehaltsbereich der Handwerksordnung und des Meisterzwangs nicht anhand der Meister(berufsbild)verord- nungen bestimmt werden kann. Erst recht muss dies für die (denknotwendig wesentlich breiter angelegten) Ausbildungsverordnungen gelten. Sie enthalten neben fachbezogenen gefahrgeneigten Fertigkeiten selbstverständlich auch Grundfertigkeiten und sind - im Interesse einer umfassenden Ausbildung der Lehrlinge - im Zweifel eher breiter und teilweise sogar gewerksübergreifend denn schmaler angelegt. Aus pädagogischen und didaktischen Gründen sind in den Ausbildungszeiten längere Zeiten eingeplant, als dies für einen "erwachsenen" Handwerker erforderlich wäre.

Vor allem widerspricht das BVerwG dem eindeutigen Willen des Gesetzgebers der HwO-Novelle 1998 (BT-Drs. 13/9388, S. 20 f.): "In der täglichen Praxis der Behörden, unteren Gerichte und Handwerksorganisationen werden die für die einzelnen Handwerke erlassenen Meisterprüfungsverordnungen vielfach wie folgt mißverstanden: Mit den in den Berufsbildern genannten Tätigkeiten sei zugleich festgelegt oder es könne aus ihnen unmittelbar abgeleitet werden, daß diese Tätigkeiten dem jeweiligen Handwerk 'vorbehalten sind'. Damit wird die Bedeutung der 'Berufsbilder' überbewertet."

Effektiver Rechtsschutz für Nicht-Eingetragene verkürzt

Nebenbei verkürzt das BVerwG mit seiner Kernbereichsrechtsprechung und "Auslegung" der Klageanträge den verfassungsrechtlich verbürgten Anspruch auf effektiven Rechtsschutz (Art. 19 Abs. 4 GG) der nicht-eingetragenen Handwerker in bedenklicher Weise. Es hielt die - ebenfalls mögliche - Auslegung, dass die klagenden Handwerker die Ausübung ihres Gewerks mit zumindest möglichst vielen der eingeklagten einzelnen Tätigkeiten festgestellt haben wollen, für unzulässig: "Eine Auslegung dahin, dass auch die Zulassungsfreiheit jeder einzelnen Tätigkeit festgestellt oder gar geklärt werden sollte, inwieweit einzelne benannte Tätigkeiten zulassungsfrei miteinander kombiniert werden können, wäre nicht sachgerecht; denn eine solche Klage wäre unzulässig" (Rn. 15 der Dachdeckerentscheidung). Jeweils ist nur der konkrete Betrieb zu beurteilen, den der Gewerbetreibende aufzunehmen beabsichtigt; er muss entscheiden, welche einzelnen Tätigkeiten er hierbei ausüben will [...] Diese - nicht zuletzt wirtschaftliche - Entscheidung kann das Gericht dem Kl. nicht abnehmen." (Rn. 16 und 17 der Dachdeckerentscheidung)

Standesrecht höhlt Berufsfreiheit aus

Aus den Urteilen des BVerwG lassen sich zwei Schlussfolgerungen ziehen:

Zum Ersten wird zukünftig besondere Sorgfalt auf die Formulierung der Klageanträge zu verwenden sein; zum Zweiten stellt die verwaltungsgerichtliche Rechtsprechung weiterhin die Interessen des organisierten Handwerks über das Grundrecht auf Freiheit der Berufswahl der betroffenen Handwerker.

Zum ersten Punkt: In zukünftigen Feststellungsklagen sollte jede einzelne Tätigkeit, die ein Handwerker ohne Handwerksrolleneintragung ausüben will, in einem gesonderten Klageantrag aufgeführt werden. Für den Fall, dass Tätigkeit A zulassungsfrei erbracht werden kann, wird beantragt, auch Tätigkeit B zulassungsfrei zu erbringen.

Für den Fall, dass Tätigkeiten A und B zulassungsfrei erbracht werden dürfen, wird beantragt, auch Tätigkeit C ohne Eintragung in die Handwerksrolle zu erbringen. Und so weiter! Zum zweiten Punkt: Der sogenannte Große Befähigungsnachweis ist und bleibt verfassungswidrig. Im Jahr 2004 wollte der Reformgesetzgeber den Meisterzwang auf eine belastbarere Grundlage stellen und rechtfertigt ihn seither mit der Abwehr von Gefahren für Leben und Gesundheit Dritter (insbesondere also der Kunden) und nachrangig auch mit der vorgeblich besonderen Ausbildungs- leistung des Handwerks. Für kein einziges der weiterhin zulassungspflichtigen Handwerke hat der Gesetzgeber aber ermittelt, ob es tatsächlich gefahrgeneigt ist oder ob es tatsächlich eine überdurchschnittliche Ausbildungsleistung aufweist. In ganz Europa - mit Ausnahme Luxemburgs - wurde der Meisterzwang inzwischen abgeschafft. In keinem der anderen EU-Staaten kommt es deshalb zu mehr oder schlimmeren Schadensfällen als in Deutschland.

Abwehr von Konkurrenz statt von ­ Gefahren

Die gesetzgeberische Grundannahme überzeugt schon nicht: Wie soll der Meisterzwang eine Gefahr abwehren, wenn der Meister überhaupt nicht anwesend ist, wenn seine Gesellen und Lehrlinge eine Leistung ausführen (keine Präsenzpflicht)? Was bringt die beste Ausbildung, die zwanzig Jahre zurückliegt, wenn sich ein Meister nicht fortbildet? Was trägt die fachliche Qualifikation zur Gefahrenabwehr bei, wenn jemand persönlich unzuverlässig ist (z.B. Alkoholsucht, Einsatz minderwertiger Materialien, um den Gewinn zu maximie- ren, etc.)? Warum soll ein Architekt mitHochschulabschluss § 7 Abs. 2 HwO), der noch nie in seinem Le-ben einen Ziegelstein in der Hand gehalten hat, gefahrfrei hand-werken können, nicht aber ein erfahrenerMaurergeselle? Warum sollen nur von einem stehenden Gewerbe, nicht aber von einem Reisegewerbetreibenden (der nach der Rechtsprechung des BVerfG ebenfalls das Handwerk in seiner vollen Kunstfertigkeit ausüben und z.B. einen Dachstuhl errichten darf) Gefahren ausgehen? Warum darf ein Handwerk im unerheblichen Nebenbetrieb, im Hilfsbetrieb (§ 3 HwO) oder im Kleinhandwerk (§ 1 Abs. 2 HwO) ohne Großen Befähigungsnachweis ausgeübt werden - gehen vom Feierabendhandwerker geringere Gefahren aus als vom Vollzeithandwerker? Was unterscheidet Handwerk und Industrie? Der Gesetzgeber und die Handwerkskammern haben auf alle diese Fragen keine Antwort parat. Können sie auch nicht, denn die Handwerksordnung dient mehr oder minder unverhohlen weiterhin dem Interesse des organisierten Handwerks als Berufsstand. Nur, wer in ernsthafte Konkurrenz zu einem handwerklichen Vollbetrieb tritt, soll nach dem System der Handwerksordnung auch dem Vorbehaltsbereich der Handwerksordnung unterliegen. Mit Gefahrenabwehr hat dies wenig zu tun.

Der Erkenntnishorizont endet an der Landesgrenze

Der Vergleich mit den anderen EU-Mitgliedstaaten zeigt, dass der Sonderweg des deutschen Handwerks und sein striktes Berufszulassungsregime längst überholt sind. Zuletzt wurden in den Niederlanden und in Österreich der Meisterzwang abgeschafft. Evaluationen ihrer Gewerberechtsreformen haben keine Anzeichen für eine schlechtere Qualität handwerklicher Leistungen oder gar eine erhöhte Anzahl von Schadensfällen ergeben. Die Liberalisierungen zeitigten freilich deutlich positive Auswirkungen auf die Anzahl der Betriebsgründungen und die Entwicklung des Handwerks insgesamt.

Für den deutschen Handwerker ist dies doppelt ungerecht. Nicht nur wird ihm der Berufszugang in Deutschland ohne Eintragung in die Handwerksrolle (und damit ohne Meistertitel als gesetzliche Regelvoraussetzung) verwehrt.

Hinzu kommt, dass sich Handwerker aus den anderen EU- und EWR- Mitgliedstaaten und der Schweiz auf die europarechtliche Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit berufen können und unter deutlich geringeren Anforderungen in Deutschland ihr Handwerk selbständig ausüben dürfen. Deutsche Handwerker werden gegenüber ihren europäischen Kollegen benachteiligt. Gesetzgeber und Rechtsprechung haben diese sogenannte Inländerdiskriminierung zwar erkannt, erklären sie aber für alternativlos. Diese Ungleichbehandlung ist nicht nur ungerecht, sie verstößt meines Erachtens auch gegen den allgemeinen Gleichheitsgrundsatz (Art. 3 Abs. 1 GG: "Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.").

Großer Befähigungsnachweis bleibt ein Anachronismus

Längst ist der Große Befähigungsnachweis der deutschen Handwerksordnung angezählt. Es bedarf nun noch eines mutigen Richters, der dieses Relikt überkommenen Standesrechts dem Bundesverfassungsgericht (BVerfG) in Karlsruhe vorlegt, oder eines Bundestagsabgeordneten, der eine weitere - diesmal echte - Reform der Handwerksordnung einleitet. Die Zukunft wird weisen, ob die Handwerkskammern und der Zentralverband des Deutschen Handwerks dies auf Dauer verhindern können. Zuletzt hat das BVerfG zwei Verfassungsbeschwerden gegen den Meisterzwang nicht zur Entscheidung angenommen. Die Karlsruher Richter haben damit eine Chance verpasst, dem Grundrecht auf freie Berufswahl auch im Handwerk wieder Geltung zu verschaffen.

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Der Autor

Rechtsanwalt Dr. Simon BullaDr. Simon Bulla, geboren 1981, lebt und arbeitet in Augsburg. Er studierte Rechtswissenschaften an der Universität Augsburg und legte 2009 mit seiner Dissertation über die verfassungs- und gemeinschaftsrechtlichen Determinanten des Berufszugangs am Beispiel des Handwerksrechts ein vielbeachtetes Werk über die Sonderrolle des deutschen Handwerks im europäischen Gewerberecht und innerhalb der grundgesetzlich garantieren Freiheit der Berufswahl vor. 2010 erhielt er dafür den Dissertationspreis der Juristischen Gesellschaft Augsburg.

Die Dissertation ist unter dem Titel "Freiheit der Berufswahl" in der Nomos Verlagsgesellschaft erschienen. Simon Bulla arbeitet als Rechtsanwalt bei Scheidle & Partner (Augsburg), ist Dozent der Verwaltungs- und Wirtschaftsakademie Schwaben sowie Lehrbeauftragter der Universität Augsburg für Öffentliches Bau- und Kommunalrecht.

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