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für Gewerbefreiheit auch im Handwerk - weg mit dem Meisterzwang
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Karlsruhe hat keinen Gerichtsvollzieher

Urteile des Bundesverfassungsgerichts werden missachtet

Von Ulf G. Stuberger

Wesentlicher Bestandteil der demokratischen Staatsordnung nach dem Zweiten Weltkrieg in Deutschland ist bis heute die Gewaltenteilung zwischen Legislative, Exekutive und Judikative. Politiker schaffen die Gesetze, Beamte setzen sie in den Verwaltungen um und die Rechtsprechung wacht darüber.

In manchen Fällen wären Politiker gut beraten, sich an zunächst meist zarte Hinweise aus Karlsruhe rasch zu halten. Das betrifft zum Beispiel die Beschlüsse im Zusammenhang mit der alten Handwerksordnung (HwO), vor allem den Meisterbrief betreffend.

Die Warnungen des Bundesverfassungsgerichts scheinen die Vertreter der politischen Parteien nicht zur Kenntnis zu nehme. Sonst wäre der Meisterbrief schon längst abgeschafft.

Höchste Instanz zur Kontrolle des Staates ist das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe. In den letzten Jahren sind hier viele Beschlüsse gefasst worden, die sich gegen die jeweils aktuelle Politik gerichtet haben. Nicht selten gelang es einzelnen Bürgern oder Verbänden, sich durchzusetzen. Zunehmend war zu beobachten, dass die Betroffenen Entscheidungen aus der "Residenz des Rechts" am Oberrhein nicht fristgemäß oder gar nicht umsetzten. Das hat einen wichtigen Teil der demokratischen Kultur in unserem Land beschädigt.

Das Bundesverfassungsgericht ist eine einzigartige Einrichtung, die unserer dunklen Geschichte Rechnung trägt. Durch die Nazidiktatur mussten wir lernen, dass die Mehrheit eines Volkes sich für menschenverachtende staatlich begangene Verbrechen entscheiden kann. Darum haben die Verfasser des Grundgesetzes Notbremsen eingebaut. Eine ist das Bundesverfassungsgericht. Es kann Gesetze für null und nichtig erklären und sogar neue Regelungen von Politikern fordern. Eigentlich ist das ein Bruch mit den demokratischen Gepflogenheiten, die bekanntlich vorsehen, dass Mehrheitsentscheidungen für alle Bürger verbindlich sind und respektiert werden müssen. Selbst Mehrheitsentscheidungen des Bundestages kann Karlsruhe kippen. Dann gilt die Entscheidung von acht Juristen mehr als die von mehr als zweihundert demokratisch gewählten Volksvertretern.

Im Mai 2000 haben die höchsten deutschen Richter entschieden, dass die Verurteilung eines Elektroeinzelhändlers wegen Verstoß gegen die Handwerksordnung verfassungswidrig sei. Der Mann hatte seinen Laden an fünf Tagen in der Woche je drei Stunden geöffnet, vor allem Satellitenempfangsanlagen und Leuchtkörper angeboten, die den Käufern geliefert und vor Ort montiert wurden. Da er keinen Meisterbrief hatte, meinte das zuständige Amtsgericht, er verstoße gegen die HwO. Karlsruhe schützte den Selbständigen dagegen und warf den Gerichten vor, gegen das Grundrecht auf Berufsfreiheit verstoßen zu haben (Aktenzeichen: 1 BvR 608/99).

Aufmerksame Politiker hätten schon zu jenem Zeitpunkt erkennen können, dass der altbackene Meisterbrief nicht mit der Verfassung übereinstimmt. Im Bundestag wird man offenbar nur dann tätig, wenn es sich nicht mehr vermeiden lässt. Die nächste Entscheidung aus Karlsruhe ließ nicht lange auf sich warten. Im Oktober 2000 beschloss das Bundesverfassungsgericht, die Verurteilung eines Steinmetzes wegen angeblicher "Schwarzarbeit" verstoße gegen Artikel 12 des Grundgesetzes, der die Freiheit der Berufsausübung garantiert. Der Geselle arbeitete mit einer Reisegewerbekarte am Bau, nahm Aufträge vor Ort an, führte sie aber erst später aus. Das sei ein "stehendes Gewerbe" behaupteten die Gerichte. Schon wieder warfen ihnen die höchsten deutschen Juristen vor, sich nicht ausreichend mit dem Grundgesetz beschäftigt zu haben. Wie üblich rührte sich in der Politik nichts. An den alten Zöpfen hielt man fest. Im Dezember 2005 fuhr das Bundesverfassungsgericht das nächste Geschütz auf gegen die altmodischen überkommenen Regelungen für Handwerk und Gewerbe in Deutschland.

Da man in Berlin keine Anstalten machte, sich um eine Modernisierung zu kümmern, erklärten die Verfassungshüter jetzt deutlicher: Wir haben Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der alten Handwerksordnung.

Der Meisterzwang könne gegen das Grundrecht auf Freiheit der Berufsausübung verstoßen. Karlsruhe erinnerte die offenbar leicht vergesslichen Politiker an eine Entscheidung, die bereits im Jahr 1961 gefällt worden war. Schon vor über vierzig Jahren hatte das höchste Gericht darauf hingewiesen, dass sich die Zeiten seit der Einführung der altmodischen "Handwerksrolle" geändert hätten.Zudem gebe es eine wachsende Konkurrenz aus dem europäischen Ausland für deutsche Handwerker. Ausländer könnten hier ohne Meistertitel arbeiten, Deutsche würden also benachteiligt. Die Benachteiligung von Deutschen ist im Grundgesetz nicht vorgesehen...

Selbst nach diesem höchstrichterlichen Beschluss herrscht beharrliches Schweigen im politischen Wald. Offenbar will man in Berlin wieder einmal versuchen, Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts auszusitzen. Diese scheinbar zur Methode gewordene Praxis ist in Karlsruhe bekannt. Darum wenden die höchsten Richter immer schärfere Mittel an, die übrige deutsche Justiz und vor allem Politiker dazu zu bringen, verfassungsgemäß zu handeln.

Einer der unglaublichsten Fälle von Missachtung des Bundesverfassungsgerichts zog sich über viele Jahre hin. Ein Türke war mit einer deutschen Frau verheiratet. Als die ein gemeinsames Kind zur Welt brachte, trennte sie sich. Im Streit benutzte sie ihr Baby, um den moslemischen Vater zu provozieren. Sie gab dem Sohn schnell einen christlichen Namen. Sie selbst wollte das Kind nicht und gab es zur Adoption frei. Zuerst bestritt sie, dass der Türke Vater sei. Der musste in einem Gerichtsverfahren und Labortests erst einmal nachweisen, dass seine Ex-Frau log. Dann beantragte er vergeblich, ihm das Erziehungsrecht zu geben, weil die Mutter das Kind ablehne. Die streitbare Frau wollte sogar verhindern, dass der leibliche Vater sein eigenes Kind sehen darf. Die offensichtlich nicht ausländerfreundlichen Richter stellten sich auf die Seite der Rabenmutter. Der türkische Vater verlor in allen Instanzen, zuerst auch vor dem Bundesverfassungsgericht. Erst der Europäische Gerichtshof verhalf dem Mann zu dem unveräußerlichen Menschenrecht, sein Kind sehen zu dürfen. Das kümmerte die deutsche Justiz nicht. So zog der Vater erneut nach Karlsruhe, bekam dieses Mal Recht. Landrichter und Behörden scherten sich auch um dieses Urteil nicht. Er durfte sein Kind nicht sehen. Noch einmal beschwerte er sich bei den höchsten Richtern. Die erließen eine einstweilige Verfügung gegen Behörden und untere Justiz, damit der Mann seinen Sohn sehen konnte. Wieder zeigten sich die staatlichen Stellen renitent. Die Karlsruher Richter entschieden auch in der Hauptsache für den Vater, warfen deutscher Justiz und den Behörden Verfassungsbruch und Menschenrechtsverletzung vor. Auch das ignorierten die betreffenden Stellen. Karlsruhe entschied, die renitenten Richter seien nicht mehr befugt, sich mit der Sache zu befassen. Sie hätten sich zweifellos von "rechtsfremden" Erwägungen leiten lassen. Schließlich durfte der türkische Vater seinen inzwischen mehrjährigen Sohn sehen.

Die hier nur kurz gefasst dargestellte Odyssee macht deutlich, wie wenig Macht das Bundesverfassungsgericht tatsächlich hat.

Jeder kleine Amtsrichter in einem Dorf kann einen Gerichtsvollzieher damit beauftragen, seine Entscheidung notfalls mit Polizeigewalt durchzusetzen. Die höchsten Richter sind fast machtlos, wenn ihre Entscheidungen von der Justiz, den Behörden oder Politikern ignoriert werden.

Das weiß man in Berlin. Darauf setzt man immer öfter und immer mehr.

In zahlreichen Fällen warfen die Karlsruher Richter ihren Kollegen unterer Instanzen Verfassungsbruch vor, weil sie Beschuldigte zu lange in Haft gehalten haben, ohne sie vor Gericht zu bringen. Immer wieder mussten sie Polizei, Staatsanwaltschaften und Gerichten vorwerfen, gegen das Grundgesetz verstoßen zu haben, weil Beschuldigte zu lange festgehalten wurden. Den Politikern warfen sie hart und deutlich vor, sie hätten gegenüber der Bevölkerung die Verantwortung dafür zu tragen, dass möglicherweise gefährliche Sexualverbrecher und Terroristen auf freien Fuß kommen, wenn sie den Strafverfolgungsbehörden nicht genügend Geld zur Verfügung stellen, Straftaten rasch aufzuklären und die Gerichte personell nicht ausreichend ausstatten. Das scheint in Berlin wieder niemanden zu kümmern. Darum werden wir ganz sicher in den nächsten Jahren noch mehr Entscheidungen lesen müssen, durch die Verdächtige aus der Haft entlassen werden. Inzwischen mussten sogar des internationalen Terrorismus verdächtigte Personen aus dem Untersuchungsgefängnis freigelassen werden. Statt die Justiz personell besser auszustatten, entscheiden Berliner Politiker lieber, bessere technische Ausrüstungen zum Ausforschen von Bürgern zu kaufen, obwohl das bisher keinen einzigen Erfolg mehr in der Verfolgung von terroristischen Verbrechen gegeben hat.

Schon vor vielen Jahren hat das Bundesverfassungsgericht entschieden, die vielfach kritisierte Massenhaltung von Geflügel in Deutschland verstoße gegen die Verfassung. Die Politiker kümmerten sich nicht darum. Erst kürzlich wurde eine neue Haltungsverordnung beschlossen, die am alten System im Prinzip festhält. Sobald diese vom Bundeslandwirtschaftsminister in Kraft gesetzt ist, werden Verfassungsbeschwerden eingereicht, die schon versandfertig formuliert sind. Dann wird sich das höchste Gericht mit demselben Problem noch einmal beschäftigen müssen und ganz sicher dieselbe Entscheidung wie vor Jahren fällen.

In einem der neuesten Urteile wurde die Werbung für private Sportwetten für illegal erklärt. Die Politik reagierte nicht. Wegen finanzieller Interessen bei der Vermarktung der Fußballweltmeisterschaft bedient man sich wie fast schon gewohnt der Methode "Renitentes Aussitzen". An den Banden der Fußballstadien wird unbekümmert weiter für illegale private Wettbüros geworben.

Das Bundesverfassungsgericht ist nach schlechten Erfahrungen dazu übergegangen, den untätigen Politikern in Urteilen Fristen für neue Gesetze oder Veränderungen zu setzen. Aber auch das scheint nicht zu wirken. Die Regierung der Großen Koalition ließ von Karlsruhe gesetzte Fristen einfach verstreichen. Man weiß ja:

"Die in Karlsruhe" haben keinen Gerichtsvollzieher.

Intelligent und erfinderisch mussten die Verfassungshüter jetzt gegen Politiker werden.

Sie haben ein neues Druckmittel in ein Urteil über die Anerkennung von Mutterschutzzeiten für die Berechnung von Arbeitslosengeld eingefügt:

Falls die gesetzte Frist für eine gesetzliche Neuregelung nicht eingehalten wird, bestimmen sie selbst eine Neuregelung, die automatisch dann gültig ist, wenn man in Berlin wieder einmal versuchen sollte, ein Problem auszusitzen. Man darf gespannt sein, wie diese Geschichte ausgeht. Die Politiker sollten sich hüten, darüber zu jammern, dass "Karlsruhe Politik macht". Wenn sie selbst verfassungsrechtliche Probleme ignorieren, sind die höchsten Richter gezwungen, zum Wohl der gesamten Bevölkerung zu handeln.

Karlsruhe handelt nicht für die eine oder eine andere politische Partei, sondern für das gesamte Volk. Die Parteien in Deutschland erhalten immer weniger Zustimmung, das Ansehen des Bundesverfassungsgerichts nimmt weiter zu. Das sollte man sich in Berlin merken. Inzwischen wird in einem Bundesland nach den letzten Landtagswahlen die Regierung von der CDU gestellt, für die nur eine kleine Minderheit von etwa 15% der Wahlberechtigten gestimmt hat - das Stimmenzählsystem, das die politischen Parteien für sich erfunden haben, macht es möglich. Die Verfassung sieht das nicht vor.

Die Spitze der Unverfrorenheit leistete sich die unter Kanzlerin Angela Merkel jetzt amtierende Bundesregierung. Sie kündigte dreist an, einen verfassungswidrigen Bundeshaushalt verabschieden zu wollen. Gegen diese bewusste und geplante Missachtung unseres Grundgesetzes wird man in der "Residenz des Rechts" ein Recht Heilmittel finden, das ist sicher.

Die Abschaffung des altmodischen Meisterbriefes in Deutschland können die Karlsruher Richter erst dann erzwingen, wenn eine Verfassungsbeschwerde dazu von einem Senat entschieden werden kann. Das wird kommen. Es ist nicht damit zu rechnen, dass Politiker einmal eine Gesetzesänderung nach dem Willen der Richter durchführen, bevor sie dazu gezwungen worden sind.

Eine persönliche Bemerkung zum Schluss: Der frühere Präsident des Bundesverfassungsgerichts, der konservative Politiker Ernst Benda, sagte mir einmal in einem langen Gespräch über Macht und Ohnmacht des höchsten Gerichts in Deutschland, das Prinzip der Gewaltenteilung in unserer Demokratie habe zur Folge, dass die Legislative (Politik) die Judikative (Gericht) respektieren muss. Sei das nicht der Fall, handele es sich juristisch um einen Staatsstreich.

Ulf G. Stuberger ist seit mehr als 30 Jahren Korrespondent bei den Obersten Bundesgerichten, Mitbegründer der "Justizpressekonferenz Karlsruhe", Autor mehrerer Bücher und Filme.

Aus: FREIBRIEF II/2006

Ulf G. Stuberger in der Wikipedia


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