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Handwerksnovelle 2004, Gesetzgebungsverfahren Handwerksnovelle 2004, Argumente gegen Meisterzwang, Probleme mit Behörden?

Rede von Herr Minister Reinholz (Thüringen) zum Meisterzwang im Bundesrat am 28.11.03

Jürgen Reinholz (Thüringen):

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Auf der Grundlage der Handwerksordnung ist das Handwerk ausgerechnet im Industriezeitalter des 20. Jahrhunderts zum stärksten Wirtschaftsbereich in Deutschland geworden. Es hat sich durch Flexibilität ausgezeichnet wie kaum ein anderer Wirtschaftsbereich; es hatte über die Zeiten mehrfach strukturelle Umwälzungen zu meistern, und es hat sie erfolgreich und kontinuierlich bewältigt. Dabei haben sich die Betriebe des Handwerks auf individuelle Produktion und Dienstleistung konzentriert: auf die Umsetzung industrieller Produkte, Installation, Instandhaltung und Wartung. Das Handwerk hat sich mit seinen Produkten und Leistungen auf die Anforderungen der Dienstleistungsgesellschaft vorbereitet, und es hat dabei mehr Arbeit geschaffen als die Industrie.

Es ist sicherlich unbestritten, dass die enorme Aufbauleistung in den jungen Ländern nach der politischen Wende 1989 ohne die Flexibilität des Handwerks nicht möglich gewesen wäre. Unkompliziert wurden Unternehmen gegründet, Arbeitsplätze und sehr schnell auch Ausbildungsplätze sowie Fortbildungsmöglichkeiten geschaffen. In Thüringen hat sich die Zahl der Handwerksunternehmen innerhalb von nur vier bis fünf Jahren von ca. 13 000 auf nahezu 30 000 erhöht, und das bei einem sich parallel vollziehenden teils dramatischen Strukturwandel.

Dies alles ist auf der Grundlage der Handwerksordnung gelungen. Die Handwerksordnung hat in der damals ungleich schwierigeren Lage weder die Aufbauleistung noch den notwendigen enormen Umstrukturierungsprozess behindert, wie uns die Bundesregierung mit Blick auf die Überwindung der gegenwärtigen Probleme glauben machen will. Das Handwerk steht permanent vor Herausforderungen, die mit Strukturveränderungen verbunden sein werden. Märkte ändern sich, sind neu zu erobern, und es gibt neue Marktteilnehmer. Dies macht auch vor der Handwerksordnung nicht Halt. Der Rechtsrahmen des Handwerks muss – wie in der Vergangenheit auch – diesen Wandel zuverlässig begleiten. Doch den Wandel sollte die Politik gemeinsam mit dem Handwerk, nicht gegen das Handwerk gestalten.

Die Bundesregierung ruft nach dem Handwerk nur dann, wenn sie es selbst braucht. Wenn es um die Zukunft des Handwerks geht, wird mit den Betroffenen nicht gesprochen. In einem bin ich mir sicher: Die neuen Herausforderungen an das Handwerk werden auf jeden Fall mit einem Mehr an Qualifikation verbunden sein. Die hohe Qualifikation von Handwerkern – nicht nur die Qualifikation der Meister, aber diese natürlich ganz besonders – ist die Voraussetzung dafür, dass die Handwerksbetriebe immer neuen Anforderungen der Kunden gerecht werden, technische Innovationen aufnehmen, weiterentwickeln, neue Dienstleistungen anbieten können und sich durch besondere Stabilität, Bestandsfestigkeit sowie wirtschaftliche Nachhaltigkeit auszeichnen.

Die Bundesregierung irrt deshalb, wenn sie glaubt, die Probleme des Handwerks mit Novellen des Handwerksrechts lösen zu können, die – beide – im Kern auf weniger Qualifikation und Ausbildung setzen. Die Reduzierung der Zahl der Vollhandwerke von 94 auf 29 ist sicherlich kein Signal für mehr Qualifikation.

Dies sehen die Vizepräsidenten der Arbeitnehmerseite der deutschen Handwerkskammern genauso. In ihrer Resolution vom 18. Oktober 2003 fordern sie von der Politik – ich zitiere –:

Eine Modernisierung der Handwerksordnung ist notwendig. Sie wird von den Arbeitnehmervizepräsidenten ausdrücklich unterstützt. Wir müssen mehr und nicht weniger in Bildung und Qualifizierung investieren. Wir können in Deutschland nur mit höchster Qualität und bestmöglicher Qualifizierung bestehen. Es macht deshalb keinen Sinn, die Meisterprüfung nur noch für 29 Gewerke vorzusehen, sie an ein verfassungsrechtlich umstrittenes Kriterium der Gefahrgeneigtheit zu koppeln und im Allgemeininteresse liegende weitere Kriterien wie die Ausbildungsleistung der Gewerke und etwa den Umwelt- und Verbraucherschutz völlig zu vernachlässigen.

Treffender kann man es wohl kaum formulieren. Bei einer um das Dreifache über dem Bundesdurchschnitt liegenden Ausbildungsleistung des Handwerks gilt noch heute uneingeschränkt das, was das Bundesverfassungsgericht bereits 1961 zur Verfassungskonformität des großen Befähigungsnachweises feststellte.

Es ist geradezu paradox, dass die Bundesregierung mit ihren Gesetzesinitiativen zur Handwerksordnung den großen Befähigungsnachweis aushöhlen will, wodurch die Voraussetzungen der dualen Ausbildung geschwächt werden, und zugleich die SPDBundestagsfraktion – gegen jede Vernunft und Ratschläge auch aus den eigenen Reihen – Eckpunkte zur Einführung einer Ausbildungsplatzabgabe beschließt. Eine Zwangsabgabe mag einem oberflächlichen Denken in „Lastengleichheit“ genügen, aber zusätzliche Lehrstellen werden dadurch nicht geschaffen. Im Gegenteil, es entstehen neue bürokratische Belastungen. Allein die Verwaltungskosten werden vom Institut der deutschen Wirtschaft auf 690 Millionen Euro geschätzt.

Nach Einschätzung der Thüringer Kammern können wir ungeachtet aller wirtschaftlichen Probleme davon ausgehen, dass die Zahl der abgeschlossenen Ausbildungsverträge Ende dieses Jahres die Zahl des Vorjahres wieder erreichen wird. Das ist zwar immer noch zu wenig, aber im Vergleich der übrigen jungen Länder haben wir in Thüringen den höchsten Anteil an betrieblichen Ausbildungsplätzen.

Wir lehnen deshalb eine Ausbildungsplatzabgabe ab. Auch hier gilt: Gemeinsam mit Wirtschaft und Handwerk werden Probleme gelöst, nicht gegen sie.

Wir setzen stattdessen auf vernünftige Rahmenbedingungen. Im Handwerksrecht sollen sie auf der Grundlage der von uns gemeinsam mit Bayern und Hessen eingebrachten maßvollen Novelle der Handwerksordnung gestaltet werden. Zugleich enthält unser Entwurf einen praktikablen Vorschlag, wie so genannte nicht wesentliche handwerkliche Tätigkeiten im Organisationsbereich des Handwerks aufgefangen werden können. Es hat keinen Sinn, über die gefestigte Rechtsprechung zur Abgrenzung wesentlicher handwerklicher Tätigkeiten von nicht wesentlichen Tätigkeiten hinaus eine gesetzliche Lösung zu schaffen.

Die als Klarstellung bezeichnete „kleine Handwerksrechtsnovelle“ – so wie sie vorliegt – entzieht handwerkliche Teiltätigkeiten dem Organisationsbereich des Handwerks. Damit führt sie zur Zerstückelung des Handwerks in beliebig viele Einzelteile. Letztlich trägt dies dazu bei, dass die Ausbildungsbereitschaft weiter sinkt.

Wir halten aus den genannten Gründen die Aufspaltung der Novelle des Handwerksrechts in zwei getrennte Gesetze nicht für sinnvoll und sehen mit Blick auf eine Gesamtnovelle dringenden Beratungsbedarf.

Thüringen unterstützt daher die Anrufung des Vermittlungsausschusses.

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