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Evolution in Handwerkskammervollversammlungen ?

Dr. Jürgen D. Berndt, Kiel

Handwerksbetriebe mit Meisterbrief sind nach der Novellierung der Handwerksordnung in Vollversammlungen von Handwerkskammern über- und Handwerksbetriebe ohne Meisterbrief unterrepräsentiert. Bisher bekannt gewordene Zahlen geben zu Bedenken Anlass.

Auch nach der Novellierung der Handwerksordnung (HwO) schreibt der Gesetzgeber zur Struktur der Vollversammlungen von Handwerkskammern - dem "Parlament" des Handwerks im jeweiligen Kammerbezirk - lediglich vor: Ein Drittel der Mitglieder dieser Versammlung muss Arbeitnehmer sein - mit einer abgeschlossenen Berufsausbildung und beschäftigt in dem Betrieb eines Gewerbes der Anlage A oder der Anlage B.

Wie sich aber die zwei Drittel arbeitgebenden Mitglieder der Vollversammlung auf die seit als dem 1.1.2004 existierenden HwO-Anlagen A, B1 und B2 verteilen, lässt der Gesetzgeber offen.

Die Festlegung der absoluten Anzahl der Mitglieder einer Handwerkskammervollversammlung und die Verteilung dieser Anzahl auf die meisterbriefpflichtigen Handwerke (Anlage A der HwO), auf die meisterbrieffreien Handwerke (Anlage B 1 der HwO) und auf die handwerksähnlichen Gewerbe (Anlage B 2 der HwO) ist daher der Satzung einer Handwerkskammer vorbehalten. Die Satzung und deren Änderungen werden zwar von der Vollversammlung beschlossen, bedürfen aber zu ihrer Wirksamkeit der Genehmigung durch die zuständige oberste Landesbehörde.

Eine am 17.1.2005 - also nach der Novellierung der HwO - beschlossene, genehmigte und daher dem geltenden Recht entsprechende Satzung einer Handwerkskammer sieht - ein Beispiel für viele - daher vor: Anzahl der Mitglieder der Vollversammlung: 27 Personen; Verteilung wie folgt:

Satzungen anderer Handwerkskammern unterscheiden sich zwar in der Anzahl der Vollversammlungsmitglieder, aber kaum in der Verteilungsstruktur - wenn sie denn überhaupt schon berücksichtigen, dass viele Handwerke von Anlage A in Anlage B überführt wurden und Anlage B in die Anlagen B 1 und B 2 gegliedert worden ist. Gemeinsam jedoch ist allen Handwerkskammersatzungen, dass stets die arbeitgebenden Meister aus den Anlage A-Handwerken in der Vollversammlung mit mindestens einer Stimme die Mehrheit haben.

Wird jedoch dieser Soll-Struktur einer Vollversammlung die Ist-Verteilung der Betriebe auf die HwO-Anlagen A, B 1 und B 2 gegenübergestellt, dann zeigt sich Erstaunliches (am Beispiel einer Handwerkskammer, die diese Zahlen aufbereitet und veröffentlicht hat):

Ist-Stand am 31.12.2003:

Ergebnis: Die handwerksähnlichen Betriebe (Anl. B 2) machen zwar 22% aller Betriebe bzw. Betriebsinhaber aus, sollen aber nur 11% der Mitglieder der Vollversammlung stellen. Die "richtigen" Handwerksmeister sind nur zwei Drittel aller Betriebe, besetzen aber zusammen mit ihren Arbeitnehmern mehr als drei Viertel der Plätze in der Vollversammlung.

Wird nun das Jahr 2004 einbezogen - das erste Jahr nach Novellierung der Handwerksordnung - dann zeigt sich bei der gleichen Handwerkskammer:

Ist-Stand am 31.12.2004:

Ergebnis: Die Anzahl der meisterpflichtigen Anlage A-Handwerke ist zwar um 110 Betriebe (+ 1,2%) gestiegen, aber ihr Anteil an allen handwerklichen Betrieben ist von 68,7% auf 66,1%, also um 2,6 Prozentpunkte gesunken. Dennoch sind sie immer noch mit 77,8% an den Mitgliedern der Vollversammlung beteiligt. Deutlicher: Würde die Kammerversammlung aus 100 Personen bestehen, dann müssten - wenn die Vollversammlung ein jedenfalls annäherndes Spiegelbild der Handwerkswirtschaft des Kammerbezirks sein soll - 11 Anlage A-Handwerker ihre Plätze in der Vollversammlung zu Gunsten von Anlage B-Handwerkern freimachen.

Umgekehrt ist der Anteil der nicht-meisterpflichtigen Handwerke (Anlagen B 1 und B 2) an allen handwerklichen Betrieben bei einem absoluten Wachstum von 579 Betrieben (+ 14,0%) von 31,3% auf 33,9%, also um 2,6 Prozentpunkte gestiegen, während ihr Anteil an den Mitgliedern der Vollversammlung gleichbleibend 22,2 % beträgt.

Soll im Beispielsfall die Zusammensetzung der Vollversammlung der tatsächlichen Zusammensetzung der dieser Handwerkskammer zugehörigen Betriebe entsprechen, dann müsste sie wie folgt aussehen (Mitgliederanzahl ist gerundet, weil sie ganzzahlig sein muss):

Während die Satzung bei Abstimmungen dem "Block" der arbeitgebenden Handwerksmeister (Anlage A) - sogar ohne deren Arbeitnehmer - mit 14 Mitgliedern immer die Mehrheit von 27 Vollversammlungsmitgliedern sichert, würde bei einer Anpassung der Zusammensetzung der Vollversammlung an die Wirklichkeit die Mehrheit bei den meisterfreien B-Handwerken und den Arbeitnehmern mit insgesamt 15 Vollversammlungsmitgliedern liegen. Das Heft des Handelns läge nicht mehr bei den Meistern, sondern bei den Nicht-Meistern.

Wird der im Jahre 2004 beobachtete Rückgang des Anteils der Anlage A-Betriebe an allen handwerkskammerpflichtigen Betrieben für die nächsten Jahre fortgeschrieben, dann wird in der Zusammensetzung der Handwerkskammervollversammlung der Unterschied zwischen dem Soll der Satzung und dem Ist der Wirklichkeit immer größer. Geht bei diesem Beispiel aus der Praxis die beobachtete Entwicklung in den A- und in den B-Handwerken so wie bisher weiter, dann gibt es in 8-9 Jahren zwar mehr kammerzugehörige B-Handwerker als A-Handwerker, aber in der Vollversammlung haben die B-Leute mangels Mehrheit nichts zu sagen - es sei denn, die Satzung würde angepasst.

Dann sollte eine Spiegelung der handwerklichen Auszubildenden in den Handwerkskammervollversammlungen gleich mitangepasst werden: Zwischen 10% und 15% aller im Handwerk Beschäftigten sind auch als Azubis gemäß Definition im Berufsbildungsgesetz immerhin "Arbeitnehmer in besonderem Status". Die meisten dieser knapp 500.000 jungen Leute sind bei Antritt ihrer Berufsausbildung deutlich über 18 Jahre alt und mithin volljährig. Dennoch dürfen sie selbst als volljährige Erwachsene erst nach der Gesellenprüfung an der Wahl der Mitglieder der Vollversammlung "ihrer" Handwerkskammer teilnehmen. Jedoch schreibt der Gesetzgeber in § 90 Abs. 2 HwO sehr deutlich vor, dass die Lehrlinge zu den Handwerkskammern gehören. Es erscheint daher durchaus erklärungsbedürftig, warum volljährige Handwerkslehrlinge zwar Abgeordnete für die Parlamente von Bund, Ländern, Kreisen und Gemeinden wählen sollen, aber von der Wahl der Abgeordneten für die Parlamente des Handwerks ausgeschlossen sind.

Das alles führt zu zwei Erkenntnissen:

Bei derartigen strukturellen Verschiebungen zwischen A- und B-Handwerken - auf Grund knappsten Materials an diesbezüglich veröffentlichten Zahlen möglicherweise nur die Spitze eines Eisbergs - stellt sich die Frage, ob Handwerkskammersatzungen, die starre Strukturen ohne Berücksichtigung dieser Veränderungen bei der Zusammensetzung der Vollversammlung festschreiben, noch genehmigungsfähig oder bei Anlegung rechtsstaatlicher Maßstäbe im Hinblick auf die sog. "Zwangszugehörigkeit" zu Handwerkskammern schon von Amts wegen revisionsbedürftig sind. Immerhin verpflichtet der Gesetzgeber die Handwerkskammern und die über diese die Rechtsaufsicht führenden obersten Landesbehörden, bei der Aufteilung der Mitglieder der Vollversammlung auf die in den Anlagen der HwO aufgeführten Gewerbe die wirtschaftlichen Besonderheiten und die wirtschaftliche Bedeutung der einzelnen Gewerbe zu berücksichtigen. Hier mangelt es offensichtlich an verbindlichen Orientierungsmaßstäben.

Der gesetzlichen Pflicht der in der HwO bezeichneten Gewerbe, einer Handwerkskammer zugehörig zu sein, steht das Recht dieser Pflichtigen darauf gegenüber, dass die Sitz- und Stimmverteilung in dem Willensbildungsorgan der Handwerkskammer jedenfalls ungefähr sowohl der Wirklichkeit als auch guten demokratischen Tugenden entspricht. Wie mag die Judikative entscheiden, wenn ein pfiffiger Mensch aus der HwO-Anlage B 2 dieses Recht einfordert ?

Die zweite Erkenntnis betrifft das Verhalten von Handwerkskammern: Sie sind bedacht, jede noch so kleine, nur ein wenig nach Handwerk aus HwO-Anlage B 1 oder B 2 riechende gewerbliche Tätigkeit als in ihren Zuständigkeitsbereich fallend anzusehen. Das erhöht zwar - wie das Beispiel zeigt - die Anzahl der Handwerksbetriebe und die Kammereinnahmen, vermindert aber den Anteil der Handwerksbetriebe aus Anlage A der HwO an allen kammerzugehörigen Betrieben und somit den traditionell großen Einfluss der "wahren" Meister: Wenn Kleine schneller als Große wachsen, ist es nur eine Frage der Zeit und keine der Meinung, wann die Kleinen größer als die Großen sind. Es ist eine noch unbeantwortete Frage, ob solche Politik dem Handwerk dienlich oder nicht dienlich sein kann.

Wie weit die hier nur skizzierte und sicherlich fortschreibungswürdige Entwicklung gediehen ist, zeigt der Bund-Länder-Ausschuss "Handwerksrecht": Auf der letzten Sitzung konnte man sich nicht einigen, ob "Reinigung nach Hausfrauenart" eine handwerkliche Tätigkeit, die die Zugehörigkeit zu einer Handwerkskammer begründet, oder eine nicht-handwerkliche Tätigkeit ist, die die Zugehörigkeit zu einer Industrie- und Handelskammer auslöst.

Solche Uneinigkeit vor dem Hintergrund struktureller Veränderungen könnte zur Folge haben, dass in einigen Jahren eine Handwerkskammervollversammlung eine das Gewerbe "Reinigung nach Hausfrauenart" selbständig ausübende gesellenbrieflose Hausfrau und Mutter zur Präsidentin der Handwerkskammer wählt. Das wäre vielleicht kein Meisterstück im Sinne bisheriger handwerklicher Traditionen, könnte aber im Sinne einer auch dem Handwerk zu gönnenden dynamischen Entwicklung ein Meisterstück ganz besonderer, weil zukunftsweisender Art werden.

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