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BUH-Stellungnahmen, Argumente gegen den Meisterzwang, Studien zum Meisterzwang, Qualität, Ausbildungsleistung, Inländerdiskriminierung, Meisterzwang ist verfassungswidrig

Das Orginal dieses Textes hat die Monopolkommission selbst auf auf ihrer Website veröffentlicht.

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Sondergutachten der Monopolkommission: Reform der Handwerksordnung

Reform der Handwerksordnung

Sondergutachten der Monopolkommission
gemäß § 44 Abs. 1 Satz 4 GWB

Vorwort

In seinem Urteil vom 3. Oktober 2000 (Rs.C-58/98-Josef Corsten, EuZW 2000, 763 Anm. Früh) hat der Europäische Gerichtshof festgestellt, dass gewisse Vorschriften der deutschen Handwerksordnung nicht mit europäischem Recht vereinbar sind, da sie dem Grundsatz der Dienstleistungsfreiheit (Art. 49 EG-Vertrag) widersprechen. Der deutsche Gesetzgeber ist aufgefordert, die Handwerksordnung entsprechend anzupassen. Zu der erforderlichen Reform der Handwerksordnung legt die Monopolkommission ein Sondergutachten gemäß § 44 Abs. 1 GWB vor. Darin behandelt sie Konsequenzen des Urteils für die Regulierung der selbständigen Gewerbeausübung im Handwerk, die nach deutschem Recht die Meisterqualifikation als „Großen Befähigungsnachweis“ voraussetzt. Für die Regulierung der Lehrlingsausbildung im Handwerk („Kleiner Befähigungsnachweis“) ist das EuGH-Urteil ohne Bedeutung.

Nach Auffassung der Monopolkommission sollte der Gesetzgeber sich nicht auf eine Minimallösung beschränken, die lediglich die Vorgaben des Europäischen Gerichtshofs bezüglich der Tätigkeit ausländischer Handwerksbetriebe in Deutschland erfüllt. Die Bundesregierung und der Gesetzgeber sollten vielmehr eine umfassende Deregulierung des Handwerksrechts anstreben, wie sie die Monopolkommission bereits in ihrem Zwölften Hauptgutachten 1996/1997 empfohlen hatte. Das Urteil des Europäischen Gerichtshofs lässt eine solche Reform noch dringlicher erscheinen: Jetzt gilt es auch, die Inländerdiskriminierung zu vermeiden, die entsteht, wenn in Deutschland niedergelassene Handwerker stärker reguliert werden als z.B. in den Niederlanden ansässige Handwerker, die aufgrund europäischen Rechts ohne den Nachweis einer Meisterprüfung in Deutschland tätig werden können.

Zur Vorbereitung dieses Gutachtens hat die Monopolkommission dem Zentralverband des Deutschen Handwerks Gelegenheit zu einer schriftlichen Stellungnahme insbesondere im Hinblick auf die Konsequenzen des EuGH-Urteils und das Problem der Inländerdiskriminierung gegeben. Der Verband hat hiervon keinen Gebrauch gemacht.

Bonn, im Mai 2001

M. Hellwig

J. Basedow W. Haastert S. Röver K. Trebitsch

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

  1. Beurteilung der Handwerksregulierung im Zwölften Hauptgutachten der Monopolkommission
    1. Wirtschaftliche und rechtliche Rahmenbedingungen
    2. Vorschläge der Monopolkommission
    3. Stellungnahme der Bundesregierung
    4. Aktuelle Entwicklung
  2. Deregulierungsanstöße des EuGH-Urteils vom 3. Oktober 2000
    1. Sachverhalt
    2. Urteilstenor und normativer Zusammenhang
    3. Folgen für den deutschen Gesetzgeber
  3. Ungleichbehandlung beim Marktzugang
    1. Problematik der Inländerdiskriminierung
    2. Urteil des österreichischen Verfassungsgerichtshofs vom 9. Dezember 1999
    3. Bewertung
  4. Deregulierungserfordernisse und internationaler Vergleich
    1. Wettbewerbs- und beschäftigungspolitische Bedeutung einer Reform
    2. Qualitätssicherung, Gefahrenhandwerk und Verbraucherschutz
    3. Handwerksregulierung im europäischen Umfeld
  5. Empfehlungen

I. Beurteilung der Handwerksregulierung im Zwölften Hauptgutachten der Monopolkommission

1. Wirtschaftliche und rechtliche Rahmenbedingungen

1. Nach wie vor stellt die hohe und auf hohem Niveau verfestigte Arbeitslosigkeit in Deutschland die größte wirtschaftspolitische Herausforderung dar. Um so wichtiger ist es, staatliche Regulierungen, die die Schaffung neuer Arbeitsplätze behindern, infrage zu stellen und gegebenenfalls aufzuheben. „Die Regulierungsdichte unseres öffentlichen, wirtschaftlichen und privaten Lebens ... ist nur einer der Gründe für unsere hohe Arbeitslosigkeit, aber sie ist ein wichtiger Grund.“ Diese vom ehemaligen Bundeskanzler Helmut Schmidt geäußerte Einschätzung[1] wird in Wissenschaft und Politik weitgehend geteilt.

Zu den Regulierungen, die die Schaffung neuer Arbeitsplätze behindern, gehört die deutsche Handwerksordnung (HwO). Beim Handwerk als einem Teil des tertiären Sektors der Volkswirtschaft ist von einem hohen Potential an Neugründungen mit entsprechenden Beschäftigungseffekten auszugehen. Die außerordentlich starke Regulierung scheint sich aber ganz wesentlich auf die Gründungsdynamik dieses Wirtschaftsbereichs auszuwirken: Während im handwerksähnlichen Gewerbe, für das uneingeschränkte Gewerbefreiheit besteht, nach den Feststellungen der Monopolkommission die Zahl der Betriebe in den letzten Jahren kontinuierlich zugenommen hat, stagniert die Zahl der Betriebe im regulierten (Voll-)Handwerk seit den achtziger Jahren.

2. Die rechtliche Grundlage der Handwerksregulierung, die HwO, wurde 1953 vom Deutschen Bundestag verabschiedet.[2] Sie schreibt vor, dass der selbständige Betrieb eines Handwerksunternehmens nur einer natürlichen oder juristischen Person gestattet wird, die in die Handwerksrolle eingetragen ist. Dafür ist die bestandene Meisterprüfung im jeweiligen Handwerk (für die in Anlage A der HwO aufgeführten Berufe) erforderlich. Diese berechtigt gleichzeitig zur Lehrlingsausbildung im selben Handwerk. Zulassungsvoraussetzung ist eine entsprechende Gesellenprüfung sowie eine mehrjährige Tätigkeit als Geselle. In Ausnahmefällen kann die selbständige Ausübung eines Handwerksberufs auch ohne Meisterprüfung genehmigt werden (z.B. durch eine Anerkennung gleichwertiger Prüfungen, bei handwerklichen Neben- und Hilfsbetrieben sowie bei der Ausübung eines „Reisegewerbes“). Handwerksbetriebe, welche die in Anlage B der HwO erfassten „handwerksähnlichen Gewerbe“ betreiben, benötigen keine Eintragung in die Handwerksrolle; erforderlich sind aber eine Anmeldung und eine Pflichtmitgliedschaft in der Handwerkskammer. Die HwO wurde zuletzt in den Jahren 1994 und 1998 novelliert.

3. Ziel der Handwerksnovelle von 1994[3] war, dem Handwerk eine einfachere und schnellere Anpassung an wirtschaftliche und technologische Entwicklungen zu ermöglichen. Vor allem sollten handwerksübergreifende Tätigkeiten erleichtert werden durch erweiterte Möglichkeiten zur Ausübung von Arbeiten in anderen technisch oder fachlich verbundenen Märkten und damit des Angebots von „Leistungen aus einer Hand“. Die Erweiterung der handwerklichen Betätigung wurde in solchen Gewerben erlaubt, welche die eigene handwerkliche Tätigkeit (für die ein Qualifikationsnachweis erforderlich ist) wirtschaftlich ergänzen. Zum anderen konnten Gewerbe zu „verwandten Handwerken“ erklärt werden, wenn „die Beherrschung des einen Handwerks die fachgerechte Ausübung wesentlicher Teile des anderen Handwerks ermöglicht“.

Die Handwerksnovelle von 1998[4] hatte das Ziel, „Handwerke mit einem breiten Leistungsangebot aus einer Hand zu schaffen“. Die vormals 127 Handwerke aus Anlage A der HwO wurden auf 94 reduziert; dies ergab sich überwiegend durch die Zusammenlegung einzelner Handwerksberufe. Daneben wurden neue „verwandte Handwerke“ definiert und gleichzeitig einzelne für ein bestimmtes Handwerk vorbehaltene „wesentliche Tätigkeiten“ (z.B. Aufbau von Arbeits- und Schutzgerüsten) anderen Handwerken zugeordnet. Außerdem wurden sechs quantitativ eher unbedeutende Handwerke als „handwerksähnlich“ eingestuft (und damit in die Anlage B der HwO überführt).

4. Im Ergebnis haben die beiden Handwerksnovellen von 1994 und 1998 keine wesentlichen Marktöffnungen bewirkt; der Große Befähigungsnachweis als Zulassungsvoraussetzung wurde nicht angetastet. Lediglich für die bereits am Markt tätigen Handwerksunternehmen haben sich Erleichterungen durch flexiblere Handhabung und Erweiterungsmöglichkeiten des Leistungsangebots ergeben (Insider-Liberalisierung), deren wirtschaftlicher Erfolg letztlich davon abhängt, wie restriktiv die neuen Vorschriften ausgelegt werden.

Die Ausnahmemöglichkeiten für eine selbständige Gewerbeausübung ohne Meisterbrief sind insbesondere durch die Novelle von 1994 geringfügig erweitert worden. In den Fällen der Anerkennung gleichwertiger Prüfungen entsprechend § 7 Abs. 2 HwO musste früher eine Verordnung erlassen werde; seit 1994 verfügen die Handwerkskammern über einen Spielraum bezüglich der Anerkennung gleichwertiger Prüfungen, sofern keine Gleichstellungsregelung durch Rechtsverordnung existiert. Der Nachweis der Unzumutbarkeit, eine Meisterprüfung ablegen zu müssen (§ 8 HwO), sollte dadurch erleichtert werden, dass die zuständigen Behörden stärker als bisher die beruflichen Erfahrungen des Antragstellers berücksichtigen. Die Hürde, die im Nachweis beruflicher Erfahrungen liegt, wurde dagegen nicht abgebaut; insofern hängt die Handhabung der Ausnahmeerteilung sehr stark davon ab, wie restriktiv der erforderliche Qualifikationsnachweis durch die Bewilligungsbehörde ausgelegt wird. Die in das Verfahren eingebundenen zuständigen Mitglieder der Handwerkskammern (wie auch die Mitglieder der ggf. ergänzend hinzugezogenen Innungen oder Berufsvereinigungen) haben dabei ein materielles Interesse an einer restriktiven Handhabung: für sie, die selbst als Handwerker tätig sind, geht es bei den Entscheidungen über Ausnahmebewilligungen um die Zulassung potentieller Konkurrenten. Neutrale Beurteilungen sind von ihnen um so weniger zu erwarten, als das Gesetz selbst den Handwerksorganisationen aufträgt, die gemeinsamen gewerblichen Interessen des Handwerks zu fördern (§ 54 Abs. 1 Nr. 1, § 81 Abs. 1 Nr. 1, § 87 Nr. 1, § 91 Abs. 1 Nr. 1 HwO).[5]

2. Vorschläge der Monopolkommission

5. Die Monopolkommission hat in ihrem Zwölften Hauptgutachten die besondere Stellung des Handwerks in der Wirtschaft und die wirtschaftlichen Wirkungen der besonderen Regulierung des Handwerks untersucht.[6] Sie ist dabei zu dem Ergebnis gekommen, dass eine Ausnahmesituation des Handwerks gegenüber anderen Wirtschaftssektoren nicht besteht und daher eine besondere, über die allgemein geltenden Vorschriften der Gewerbeordnung hinausgehende Regulierung des Handwerks – eventuell von Ausnahmefällen in Gefahrenhandwerken abgesehen – nicht begründbar ist. Vergleiche mit stärker wettbewerblich organisierten Wirtschaftsbereichen und Vergleiche mit ausländischen Regelungen legten vielmehr den Schluss nahe, dass die deutsche Handwerksordnung einen unverhältnismäßigen Eingriff in individuelle Freiheitsrechte darstellt und darüber hinaus massive wirtschaftliche Fehlentwicklungen erzeugt. Diese zeigen sich in der Höhe der Preise bei zugleich knappem Angebot handwerklicher Leistungen und in der damit einhergehenden Expansion der Schattenwirtschaft (Schwarzarbeit, Eigenarbeit/Selbstversorgung/Nachbarschaftshilfe). Es kommt zu weniger Neugründungen, auch zu weniger umfassender Umstrukturierung von Handwerksbetrieben. Im Ergebnis bedeutet das eine Minderbeschäftigung von Arbeitskräften durch verlorene oder nicht entstandene Arbeitsplätze. Ein Abbau der Regulierung würde kreatives unternehmerisches Potential freisetzen, neue gewerbliche Initiativen begünstigen und zu einem wachstumsfördernden Innovationsklima beitragen.

6. Die Monopolkommission hat daher in ihrem Zwölften Hauptgutachten die Abschaffung des Großen Befähigungsnachweises als Voraussetzung für den Marktzutritt im Handwerk empfohlen. Die Meisterprüfung sollte keine notwendige Voraussetzung für die selbständige Gewerbeausübung im Handwerk mehr sein, sondern nur noch eine Voraussetzung für die Berechtigung zur Ausbildung in dem betreffenden Handwerk. Dies entspräche der Regelung, die vor der Einführung des Großen Befähigungsnachweises im Jahre 1935 galt. Nach den Empfehlungen des Zwölften Hauptgutachtens sollte die Zulassung zur selbständigen Gewerbeausübung im Handwerk nur noch an die die fachliche Qualifikation sichernde Gesellenprüfung und eventuell eine mehrjährige Berufserfahrung gebunden sein. Dies entspräche den schon jetzt geltenden Zulassungskriterien für ausländische Anbieter von Handwerksleistungen in Deutschland.

3. Stellungnahme der Bundesregierung

7. In ihrer Stellungnahme zum Zwölften Hauptgutachten[7] teilt die Bundesregierung zwar die Grundauffassung der Monopolkommission, dass eine staatliche Überregulierung die Gründung neuer Unternehmen behindert und damit Beschäftigungsabbau und Wirtschaftswachstum dämpft. Gleichwohl hält sie „nach Abwägung aller Argumente“ den Großen Befähigungsnachweis zur Sicherung von Leistungsfähigkeit und Leistungsstandard im Handwerk für unerlässlich. Dabei beruft sie sich auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 17. Juli 1961[8] und das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 17. Dezember 1998[9] , wonach die Regelbeschränkung der selbständigen Handwerksausübung auf Meister mit dem Grundrecht auf Berufsfreiheit vereinbar ist. Die Bundesregierung war bei ihren Überlegungen vor allem auf die Sicherung einer qualitativ hochwertigen Ausbildung bedacht, die nicht mehr gewährleistet sei, wenn der Meisterbrief als Regelvoraussetzung für die selbständige Handwerksausübung abgeschafft wird. Sie sieht den Meisterbrief, der im Bereich der Europäischen Union allgemein als Gütesiegel akzeptiert werde, nicht als Nachteil für die deutschen Handwerker an, sondern als Vorteil im internationalen Wettbewerb, auch im Hinblick auf die Osterweiterung der Europäischen Union. Die Bundesregierung relativiert die Bedenken der Monopolkommission (überhöhte Preise, Unterversorgung am Markt, prohibitive Kosten der Meisterausbildung, Expansion der Schattenwirtschaft). Außerdem weist sie auf die Flexibilisierung des Angebots und die Neuordnung handwerklicher Tätigkeiten als Folge der Handwerksnovelle von 1998 hin, wodurch die Umstrukturierung von Handwerksbetrieben erleichtert und die Ausdehnung auf neue Geschäftsfelder ermöglicht werden.

8. In ihrer Stellungnahme zum Zwölften Hauptgutachten der Monopolkommission erwähnt die Bundesregierung zugleich die Koalitionsvereinbarung vom 20. Oktober 1998, in der festgelegt wird, dass der Große Befähigungsnachweis als Voraussetzung für die Selbständigkeit im Handwerk erhalten bleibt. Allerdings hatte der Bundeskanzler in seiner Regierungserklärung vom 10. November 1998 anlässlich seines Amtsantritts an die Initiative und die Leistungsbereitschaft der Menschen appelliert. Er stellte zugleich Marktöffnung und Entbürokratisierung in Aussicht; den Menschen werde eine Perspektive der Selbständigkeit eröffnet. Dies sollte nach Ansicht der Monopolkommission auch für das Handwerk gelten. Einen Mittelweg sieht die Bundesregierung in einer administrativen Lockerung der Handhabung des geltenden Rechts.

4. Aktuelle Entwicklung

9. In der Folge von Initiativen aus dem parlamentarischen Raum hat sich eine Arbeitsgruppe von Bund und Ländern  mit der Verwaltungspraxis zur HwO befasst. Im Einvernehmen mit dem Handwerk haben sich Bund und Länder auf gemeinsame Leitlinien für eine möglichst einheitliche und flexiblere Anwendung der HwO geeinigt. Ziel dieser Beschlüsse des „Bund-Länder-Ausschusses Handwerksrecht“ zum Vollzug der Handwerksordnung („Leipziger Beschlüsse“) vom 21. November 2000 war es, bei der Anerkennung von Ausnahmefällen im Rahmen des § 8 HwO in allen Bundesländern einen großzügigen Vollzug der Handwerksordnung zu gewährleisten und Existenzgründungen zu erleichtern.

Der erste Bestandteil der Beschlüsse präzisiert das Vorgehen bei der Abgrenzung „wesentlicher Tätigkeiten“, die unter dem Vorbehalt des handwerklichen Befähigungsnachweises stehen, von „einfachen“, in kurzer Zeit erlernbaren Tätigkeiten, die nicht zum „Kernbereich“ des Handwerks gezählt werden und somit keine Eintragung in die Handwerksrolle gemäß § 1 Abs. 2 HwO benötigen. Intendiert ist eine Klarstellung der Verwaltungspraxis im Sinne der höchstrichterlichen Rechtsprechung des Bundesverfassungs- und des Bundesverwaltungsgerichts.

Der zweite Teil der Beschlüsse enthält eine Regelliste für Ausnahmetatbestände, die eine Meisterprüfung unzumutbar machen (§ 8 Abs. 1 HwO), ohne dass im Bewilligungsverfahren eine Berücksichtigung weiterer Umstände des Einzelfalls erforderlich wäre. Die daran anknüpfende Ausnahmeerteilung kann mit einer Nebenbestimmung (z.B. einer Befristung) versehen werden; ein Nachweis der erforderlichen Kenntnisse und Fähigkeiten bleibt dabei unberührt.

Die Regelliste enthält eine Anerkennung der folgenden Umstände als Ausnahmefall:

Außerdem besteht eine Generalklausel für sonstige Ausnahmefälle, die aufgrund einer Gesamtbetrachtung aller Umstände des Einzelfalls zu würdigen sind (einschließlich familiärer und sozialer Aspekte sowie der wirtschaftlichen Situation des Antragstellers).

10. Die Beauftragung des „Bund-Länder-Ausschusses Handwerksrecht“ und dessen Beschlüsse zum Vollzug der HwO mit dem zentralen Ergebnis gemeinsamer Mindeststandards bei der Anwendung des Ausnahmetatbestands gemäß § 8 HwO sind nach Überzeugung der Monopolkommission als Beleg dafür anzusehen, dass die Verwaltungspraxis in der Vergangenheit zu inakzeptablen Ergebnissen geführt hat. Dieser Befund lässt sich auch unmittelbar aus der Rechtsprechung des BVerfG ableiten, das in seinem grundlegenden Beschluss vom 17. Juli 1961 die maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen zum Befähigungsnachweis für das Handwerk entschieden hat.[10] Nach dem Urteil ist die in der HwO angelegte Einschränkung der freien Berufswahl vom Einzelnen hinzunehmen, wenn und soweit sie der Schutz wichtiger Gemeinschaftsinteressen erfordert; im Hinblick auf die gesamtwirtschaftliche Bedeutung des Handwerks und die weitgehende Unersetzbarkeit in seinen spezifischen Funktionen hat das BVerfG „in der Erhaltung und Pflege eines hohen Leistungsstands des Handwerks ein besonders wichtiges Gemeinschaftsgut“ gesehen.[11] Zugleich hat das BVerfG aber auch deutlich gemacht, dass in der Verwaltungspraxis bei der Prüfung von Ausnahmefällen zur Erfüllung des Schutzgedankens von Art. 12 Abs. 1 GG erschwerende Umstände für die Ablegung der Meisterprüfung hinreichend zu berücksichtigen sind; dabei sollte „von der Möglichkeit der Erteilung einer Ausnahmebewilligung nicht engherzig Gebrauch gemacht werden“.[12] In späteren Entscheidungen hat das BVerfG verschiedentlich  Urteile, die im Zusammenhang mit der Verwaltungspraxis zu den Ausnahmen vom Meisterzwang ergangen sind, aufgehoben und dabei das Fehlen einer grundrechtsfreundlichen (und damit verfassungskonformen) Auslegung der Handwerksordnung und der Gewerbeordnung gerügt.[13]

Im Lichte dieser verfassungsrechtlichen Vorgaben stellen die „Leipziger Beschlüsse“ keine materielle Änderung der Rechtslage dar, sondern folgen lediglich den höchstrichterlichen Leitlinien, nach denen Entscheidungen dem Maßstab des Art. 12 Abs. 1 GG nicht gerecht werden, „weil sie bei Auslegung und Anwendung des einfachen Rechts die Ausstrahlungswirkung der Berufsfreiheit nicht genügend beachtet haben“.[14] Insoweit sind die Beschlüsse im Ergebnis als Aufforderung an die zuständigen Behörden der Länder, der Gemeinden und der Landkreise (sowie den ihrer Rechtsaufsicht unterliegenden Handwerkskammern) zu verstehen, das Verwaltungsverfahren beim Vollzug der Handwerksordnung verfassungskonform durchzuführen, was in der Tendenz zur Erweiterung und zur flexibleren Handhabung der Ausnahmetatbestände vom Meisterzwang führen könnte. Ob es dazu kommt, wird maßgeblich davon abhängen, ob in den entsprechenden Verfahren die Handwerkskammern ihre Rolle als fachlich zuständige Organe weniger restriktiv handhaben als bisher. Diesbezüglich sind Zweifel angebracht, steht doch eine allzu liberale Handhabung, wie erwähnt, dem gemeinsamen Interesse der Mitglieder und dem gesetzlichen Auftrag (gemäß § 91 Abs. 1 Nr. 1 HwO) sowie der rechtlichen und tatsächlichen Organisationsstruktur der Kammern (§§ 92 bis 106 HwO) geradewegs entgegen. Insofern sind die angesprochenen Fehlentwicklungen schon in der Struktur der Handwerksordnung angelegt und ist zu befürchten, dass die in den Leipziger Beschlüssen enthaltene Aufforderung zu einer flexiblen Verwaltungspraxis nicht mehr bewirken wird als der bereits im Urteil des BVerfG vom 17. Juli 1961 enthaltene und bisher nicht verwirklichte Auftrag, bei der Erteilung von Ausnahmebewilligungen „großzügig“ zu verfahren.

II.Deregulierungsanstöße des EuGH-Urteils vom 3. Oktober 2000

1. Sachverhalt

11. Der Europäische Gerichtshof hatte sich mit der Frage auseinanderzusetzen, inwieweit einzelne Bestimmungen der deutschen Handwerksordnung die Freiheit des Dienstleistungsverkehrs zwischen den Mitgliedstaaten beeinträchtigen. Den Anlass für das am 3. Oktober 2000 ergangene EuGH-Urteil lieferte ein beim Amtsgericht Heinsberg anhängiges Verfahren, in dem über einen mit Bußgeld belegten Verstoß gegen die Handwerksordnung (HwO) zu entscheiden war. Ein in Deutschland niedergelassener selbständiger Architekt hatte ein in den Niederlanden ansässiges Unternehmen mit Estricharbeiten im Rahmen eines Bauvorhabens in Deutschland beauftragt; derartige Arbeiten hatte das Unternehmen bisher in den Niederlanden zulässigerweise ausgeführt. Nach deutschem Recht hätte ein solcher Auftrag nur von Firmen erledigt werden dürfen, die in die Handwerksrolle eingetragen sind. Da dies für das niederländische Unternehmen nicht zutraf, verhängte die zuständige deutsche Ordnungsbehörde ein Bußgeld gegen den Architekten wegen Verstoßes gegen die deutschen Rechtsvorschriften zur Bekämpfung der Schwarzarbeit. Dieser legte Einspruch beim Amtsgericht Heinsberg ein. Das Gericht hatte Zweifel, ob die verlangte Eintragung in die Handwerksrolle mit dem Gemeinschaftsrecht zum freien Dienstleistungsverkehr vereinbar ist. Es hat daher das Verfahren ausgesetzt und dem EuGH die entsprechende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt.

2. Urteilstenor und normativer Zusammenhang

12. Der EuGH stellte in seinem Urteil fest, dass das Gemeinschaftsrecht einer Regelung eines Mitgliedstaats entgegensteht,

„die die Verrichtung handwerklicher Tätigkeiten in dessen Hoheitsgebiet durch in anderen Mitgliedstaaten ansässige Dienstleistende von einem Verfahren zur Erteilung der Erlaubnis abhängig macht, das geeignet ist, die Ausübung des Rechts auf freien Dienstleistungsverkehr zu verzögern oder zu erschweren, nachdem die Voraussetzungen für die Aufnahme der betreffenden Tätigkeiten bereits geprüft worden sind und festgestellt worden ist, dass diese Voraussetzungen erfüllt sind. Außerdem dürfte das etwaige Erfordernis einer Eintragung in die Handwerksrolle des Aufnahmelandes – gesetzt den Fall, es ist gerechtfertigt – weder zusätzliche Verwaltungskosten noch die obligatorische Zahlung von Beiträgen an die Handwerkskammer nach sich ziehen.“

13. Die beanstandeten Estricharbeiten, sind als eigenständiges Gewerbe (Vollhandwerk) in Anlage A der HwO aufgeführt, für welche die Verpflichtung zur vorherigen Eintragung in die Handwerksrolle gilt. Von dem damit verbundenen Erfordernis, in diesem Handwerk (oder in einem diesem verwandten Handwerk) die Meisterprüfung abzulegen, kann in Ausnahmefällen abgesehen werden. Das gilt einmal in den nach § 8 HwO geregelten Ausnahmefällen, wenn die Ablegung der Meisterprüfung eine unzumutbare Belastung wäre und der Nachweis der erforderlichen Kenntnisse und Fähigkeiten erbracht ist. Zum anderen kann der Bundeswirtschaftsminister nach § 9 HwO für Staatsangehörige anderer EU-Mitgliedstaaten durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates festlegen, unter welchen Voraussetzungen eine Ausnahmebewilligung zur Eintragung in die Handwerksrolle außerdem zu erteilen ist. Die EWG-Handwerk-Verordnung des Bundeswirtschaftsministers vom 4. August 1966[15] , die eine entsprechende EG-Richtlinie[16], [17] umsetzte, bestimmt die fachlichen Voraussetzungen für eine Eintragung von Gewerbetreibenden aus anderen EU-Mitgliedstaaten in die Handwerksrolle. Demnach ist eine Ausnahmebewilligung nach § 9 HwO zu erteilen, wenn

  1. „der Antragsteller nach Maßgabe folgender Voraussetzungen in einem anderen Mitgliedstaat die betreffende Tätigkeit ausgeübt hat:
    1. mindestens sechs Jahre ununterbrochen als Selbständiger oder als Betriebsleiter,
    2. mindestens drei Jahre ununterbrochen als Selbständiger oder als Betriebsleiter, nachdem er in dem betreffenden Beruf eine mindestens dreijährige Ausbildung erhalten hat,
    3. mindestens drei Jahre ununterbrochen als Selbständiger und mindestens fünf Jahre als Unselbständiger oder
    4. mindestens fünf Jahre ununterbrochen in leitender Stellung, davon mindestens drei Jahre in einer Tätigkeit mit technischen Aufgaben und der Verantwortung für mindestens eine Abteilung des Unternehmens, nachdem er in dem betreffenden Beruf eine mindestens dreijährige Ausbildung erhalten hat und
  2. die ausgeübte Tätigkeit mit den wesentlichen Punkten des Berufsbildes desjenigen Gewerbes übereinstimmt, für das die Ausnahmebewilligung beantragt wird.“[18]

14. Bei Erteilung der Ausnahmebewilligung für Angehörige von EU-Mitgliedstaaten nach § 9 HwO findet § 8 Abs. 2 bis 4 HwO Anwendung:

Über die Eintragung in die Handwerksrolle wird von der Handwerkskammer eine gebührenpflichtige Bescheinigung (Handwerkskarte) ausgestellt (§ 10 Abs. 2 HwO).

15. In der Praxis werden die rechtlichen Voraussetzungen einer Erlaubnis zur Ausübung handwerklicher Tätigkeiten entsprechend § 9 HwO nach europäischem und nach deutschem Recht in einem Verwaltungsverfahren in mehreren Schritten geprüft, deren Ablauf in dem Vorlagebeschluss dargestellt wird. Zunächst benötigt der Handwerksunternehmer einen Nachweis über seine berufliche Qualifikation und die Dauer seiner bisherigen beruflichen Tätigkeit von der zuständigen Stelle seines Herkunftslandes. Diesen Nachweis hat er – ggf. in deutscher Übersetzung – der zuständigen deutschen Handwerkskammer persönlich vorzulegen. Die Kammer prüft, ob die Bestimmungen der EWG-Handwerk-Verordnung erfüllt sind und leitet die Bescheinigung (zusammen mit einem Antrag des Unternehmers auf Erteilung einer Ausnahmebewilligung) an die zuständige höhere Verwaltungsbehörde (Regierungspräsident) weiter. Für die Ausnahmebewilligung wird eine Gebühr zwischen 300 und 500 DM erhoben. Nach den Feststellungen des EuGH kann der Unternehmer mit der an die Privatadresse übermittelten Ausnahmebewilligung bei gleichzeitiger Vorlage eines aktuellen Handelsregisterauszugs und nach Zahlung einer weiteren Gebühr die Eintragung in die Handwerksrolle bei der für ihn zuständigen Handwerkskammer beantragen. Nach Empfang der Handwerkskarte, durch welche die Eintragung in die Handwerksrolle nachgewiesen ist, kann der ausländische Unternehmer selbständige handwerkliche Tätigkeiten in Deutschland aufnehmen.

3. Folgen für den deutschen Gesetzgeber

16. Das Urteil des EuGH vom 3. Oktober 2000 erklärt das Erfordernis einer Eintragung in die Handwerksrolle nicht etwa für ungültig; zu einer derartigen Entscheidung über nationale Vorschriften (oder deren Auslegung) wäre das Gericht auch gar nicht befugt. Das EuGH-Urteil untersagt auch nicht generell das Erfordernis einer Eintragung in die Handwerksrolle (verbunden mit einer Pflichtmitgliedschaft in der Handwerkskammer und den damit zusammenhängenden finanziellen Verpflichtungen) in solchen Fällen, in denen Gewerbetreibende eines anderen EU-Mitgliedstaats sich dauerhaft in einem Aufnahmeland niederlassen; diese umfassende Frage stand nicht zur Entscheidung an.

Im vorliegenden EuGH-Urteil geht es um Handwerksunternehmen, die in einem anderen EU-Mitgliedstaat ansässig sind und nur gelegentlich (oder auch nur einmal) in einem Aufnahmeland tätig werden wollen. Diese dürfen nicht abgeschreckt werden durch die mit einer Eintragung in die Handwerksrolle verbundenen Verzögerungen und sonstigen Erschwernisse sowie finanziellen Belastungen (Verwaltungsgebühren, Pflichtbeiträge an die Handwerkskammer). Die obligatorische Eintragung bedeutet in solchen Fällen (insbesondere bei kleineren Vorhaben) eine Belastung, die gemessen am zu erwartenden Gewinn unverhältnismäßig wäre.

17. Die Monopolkommission geht davon aus, dass dem Urteil des EuGH nicht im Verordnungswege Rechnung getragen werden kann. Um die praktische Wirksamkeit des freien Dienstleistungsverkehrs sicherzustellen, muss der deutsche Gesetzgeber tätig werden. Einerseits hat er für im EU-Ausland niedergelassene Anbieter die Unentgeltlichkeit der Ausnahmebewilligung im gelegentlichen Dienstleistungsverkehr nach § 9 HWO zu gewährleisten. Das bedeutet zunächst die Abschaffung der Gebühr für die Ausnahmebewilligung durch die höhere Verwaltungsbehörde und nachfolgend auch die Abschaffung der Gebühr für die Ausstellung der Handwerkskarte. Zum anderen müssten darüber hinaus aber auch die obligatorischen Beitragszahlungen an die Handwerkskammer und somit vermutlich die gesamte Pflichtmitgliedschaft entfallen.

Zusätzlich muss der Gesetzgeber Vorsorge treffen, dass keine Verzögerung oder Erschwernis für einen Antragsteller in einem Verfahren nach § 9 HwO eintritt, sofern dieser die Voraussetzungen für sein Tätigwerden in einer von seinem Herkunftsland ausgestellten Bestätigung nachweisen kann. Eine zusätzliche Prüfung im Verfahren nach § 9 HwO ist dann obsolet; eine Anzeige bzw. Anmeldung unter Vorlage der Bestätigung würde genügen. Die Wirkung der Ausnahmebewilligung müsste faktisch mit dem Termin der Antragstellung einsetzen. Allein diese Form des Verfahrens ist geeignet, einen verzögerungsfreien Ablauf bei der Ausnahmebewilligung sicherzustellen.

18. Die genannten Maßnahmen stellen nur Mindestanforderungen einer Umsetzung des EuGH-Urteils in das deutsche Handwerksrecht dar. Die Bundesregierung und der Gesetzgeber wären aber gut beraten, sich nicht auf eine Minimallösung zu beschränken, mit der lediglich Randkorrekturen vorgenommen werden. Sie sollten vielmehr den Impuls des Urteils aufnehmen und in einem umfassenden Deregulierungsansatz die Interessen im Handwerk neu ordnen und gewichten. Hierfür sprechen nicht nur aktuelle wirtschafts- und sozialpolitische Erfordernisse. Ein dereguliertes deutsches Handwerk dürfte darüber hinaus auch in stärkerem Maße den Herausforderungen gewachsen sein, die künftig insbesondere aus der Ost-Erweiterung der Europäischen Union entstehen werden.

III.Ungleichbehandlung beim Marktzugang

1. Problematik der Inländerdiskriminierung

19. Mit europäischem Recht grundsätzlich nicht vereinbar ist die Diskriminierung von Staatsangehörigen anderer EU-Länder (Ausländerdiskriminierung). Nationale Regelungen, die EU-Ausländer im Dienstleistungsverkehr schlechter stellen als Angehörige des betreffenden Mitgliedstaates, sind in jedem Falle unzulässig. In diesem Sinne erfüllen die bisherige Eintragungspflicht in die Handwerksrolle und die damit verbundenen Beitragspflichten an sich nicht den Tatbestand der Diskriminierung. Solange diese Pflichten generell auferlegt werden, d.h. gleichermaßen für Inländer und für (EU-)Ausländer gelten, sind sie insoweit rechtlich nicht zu beanstanden.

Mit der Freiheit des Dienstleistungsverkehrs war ursprünglich die Möglichkeit verbunden, berufliche Tätigkeiten in einem anderen Mitgliedstaat unbehindert auszuüben, ohne sich dort fest niederzulassen. Das bedeutete zunächst die Herstellung einer Gleichbehandlung des Dienstleistungserbringers aus einem anderen Mitgliedsstaat mit den Inländern. Darüber hinaus wird die Dienstleistungsfreiheit jedoch vom EuGH seit den achtziger Jahren als ein allgemeines Beschränkungsverbot verstanden, das auch solche Vorschriften erfasst, die unterschiedslos für Angehörige anderer EU-Mitgliedstaaten und Inländer gelten und dabei die freie Erbringung von Dienstleistungen behindern. Während sich aber deutsche Dienstleister in reinen Inlandsfällen mangels Auslandsbezug nicht auf die Verkehrsfreiheiten des EG-Vertrages stützen können, können sich EU-Ausländer auf diese Freiheiten und insbesondere auf Art. 49 EG-Vertrag berufen. Im praktischen Ergebnis werden Ausländer daher gegenüber Inländern unter Umständen bevorzugt.

20. Eine solche Inländerdiskriminierung ist gegenwärtig im deutschen Handwerksrecht angelegt. Bereits durch die Bewilligung einer Ausnahmegenehmigung nach § 9 HwO werden deutsche Handwerksmeister diskriminiert, weil die im EU-Ausland niedergelassenen Handwerksunternehmer nicht den gleichen Anforderungen genügen müssen, wenn sie Dienstleistungen in Deutschland erbringen. Dies gilt in noch stärkerem Maße, wenn als Folge des EuGH-Urteils vom 3. Oktober 2000 auch die Beitragspflicht (und ggf. die Zwangsmitgliedschaft in den Handwerkskammern) für gelegentlich oder einmalig in Deutschland tätige ausländische Handwerksunternehmen entfällt. Deutsche Handwerker können Schutz vor solchen Benachteiligungen, wie erwähnt, mangels Auslandsbezugs nicht vom EG-Vertrag erwarten, sondern allenfalls vom Grundgesetz. Einschlägig sind hier insbesondere Art. 3 (Gleichheit vor dem Gesetz) und Art. 12 (Berufsfreiheit) des Grundgesetzes. Die deutsche Rechtsprechung hat jedoch bisher die Inländerdiskriminierung nicht als Verstoß gegen die Verfassung angesehen und die Benachteiligung deutscher Handwerker gegenüber ihren ausländischen Konkurrenten toleriert.

21. Eine weitere Facette zeigt sich in solchen Fällen, in denen sich deutsche Staatsbürger im EU-Ausland unter weniger restriktiven Berufseinschränkungen als selbständige Handwerksunternehmer niederlassen und von dort gelegentlich grenzüberschreitende Dienstleistungsaufträge annehmen oder nach einigen Jahren wieder in ihr Heimatland zurückkehren. Wegen der unmittelbaren Geltung der Dienstleistungsfreiheit wird man aber im Ausland ansässigen selbständigen Handwerksgesellen mit deutscher Staatsangehörigkeit nicht verwehren können, entsprechend Art. 49 EG-Vertrag die Dienstleistungsfreiheit wahrzunehmen und Handwerksleistungen in Deutschland anzubieten. Die Entscheidung des EuGH vom 3. Oktober 2000 erleichtert ein solches Vorhaben. Die Frage, ob die unterschiedlichen Voraussetzungen für die Zulässigkeit des Angebots selbständiger Handwerksleistungen in Deutschland einen Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz von Art. 3 des Grundgesetzes bedeuten, stellt sich insoweit von neuem. In Österreich hatte sich der Verfassungsgerichtshof kürzlich mit einem derartigen Sachverhalt auseinander zu setzen.

2. Urteil des österreichischen Verfassungsgerichtshofs vom 9. Dezember 1999

22. Die Handwerksregulierung in Österreich ist ähnlich restriktiv wie in Deutschland. Die österreichische Gewerbeordnung (GewO) sieht als Voraussetzung für die zulässige Gewerbeausübung in einer Reihe von Fällen vor, dass der Gewerbetreibende oder ein gewerberechtlicher Geschäftsführer den Nachweis der Befähigung zur Ausübung des entsprechenden Gewerbes erbringt. In den gesetzlich aufgelisteten Handwerken ist eine Meisterprüfung erforderlich, zu der Kandidaten nur nach Bestehen der Lehrabschlussprüfung und mehrjähriger Tätigkeit in dem Handwerk zugelassen werden. Wegen der grundrechtlich verbürgten Erwerbsausübungsfreiheit (Art. 6 Staatsgrundgesetz) müssen Ausnahmevorschriften die entsprechende handwerkliche Betätigung aber auch ohne standardisierten Befähigungsnachweis ermöglichen, wenn auf andere Weise sichergestellt ist, dass die notwendigen Kenntnisse, Fähigkeiten und Erfahrungen für die Gewerbeausübung vorhanden sind. Solche Nachsichtsregeln sehen nach § 28 GewO 1994 eine Ausnahmeerteilung vor, wenn (1) nach dem Bildungsgang und der bisherigen Tätigkeit des Antragstellers eine „volle Befähigung“ angenommen werden kann oder (2) die Erbringung des Nachweises im Falle des Vorliegens besonderer örtlicher Verhältnisse unzumutbar ist (wobei aber beim Antragsteller zumindest eine „hinreichende tatsächliche Befähigung“ vorhanden sein muss, um die in der Regel von Inhabern des entsprechenden Gewerbes verlangten Leistungen zu erbringen).

Nach dem Beitritt Österreichs zum Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) wurde für Angehörige eines EWR-Vertragsstaates eine weitere Ausnahmeregelung, die EWR-Nachsichts-Verordnung, geschaffen. Danach ist die fachliche Voraussetzung zur Anerkennung der Qualifikation, die den ansonsten vorgeschriebenen Befähigungsnachweis ersetzt, in vier Kategorien unterteilt, die mit den in der Richtlinie 64/427/EWG aufgeführten Fallgruppen deckungsgleich sind. Die Verordnung stellt dabei auf Tätigkeiten und Erfahrungen in einem „anderen“ EWR-Mitgliedstaat ab.

23. Dem österreichischen Verfassungsgerichtshof war die Beschwerde von zwei österreichischen Staatsbürgern vorgelegt worden, die sich unter Berufung auf die EWR-Nachsichts-Verordnung von der Erbringung eines Befähigungsnachweises befreien lassen wollten. Im ersten Fall ging es um die Ausübung des Fotografengewerbes und im zweiten Fall um die Ausübung des Baumeistergewerbes. Der Bundesminister für wirtschaftliche Angelegenheiten hatte in beiden Fällen die Anträge abgewiesen. Zur Begründung wurde der Wortlaut der EWR-Nachsichts-Verordnung herangezogen, der ausschließlich den Erwerb der Berufsqualifikation bzw. die Ausübung der Tätigkeit in einem „anderen“ EWR-Mitgliedstaat als Freistellungsvoraussetzung festlegt; dieser Sachverhalt lag in beiden Verfahren nicht vor. Im ersten Fall wurde erläuternd die Auffassung des Bundesministers ausgeführt, dass Österreich durch das Gemeinschaftsrecht nicht verpflichtet sei, im Inland verrichtete Tätigkeiten einer den Anerkennungsregeln vergleichbaren Würdigung zu unterziehen.

24. In seinem Urteil vom 9. Dezember 1999[19] ging der österreichische Verfassungsgerichtshof (im Anschluss an eine frühere Entscheidung[20] ) davon aus, dass der in der Gewerbeordnung verwendete Ausdruck „Staatsangehörige einer EWR-Vertragspartei“ sowohl Österreicher als auch Staatsangehörige anderer EWR-Mitgliedstaaten umfasst. Dagegen wird mit der Formulierung „in einem anderen EWR-Mitgliedstaat“ zum Ausdruck gebracht, dass die freistellenden Qualifikationen und Berufserfahrungen außerhalb Österreichs erworben sein müssen. Der Gerichtshof vermochte unter diesen Prämissen aber

„keine sachliche Rechtfertigung dafür zu erkennen, dass österreichischen Staatsbürgern mit einer einschlägigen fachlichen Tätigkeit im Ausland eine Nachsicht vom vorgeschriebenen Befähigungsnachweis zu erteilen ist, nicht aber dann, wenn sie eine derartige Tätigkeit im Inland belegen können.“

Eine sachliche Rechtfertigung für die mit den gewerberechtlichen Bestimmungen bewirkte Ungleichbehandlung wurde von der österreichischen Bundesregierung dagegen begründet mit der auf gemeinschaftsrechtlicher Verpflichtung beruhenden Umsetzung von Richtlinien sowie dem Schutzziel der Erhaltung eines hohen Niveaus gewerblicher Tätigkeit in Österreich; innerstaatliches Recht und Gemeinschaftsrecht seien als unterschiedliche Ordnungssysteme anzusehen, die nur „in sich“, d.h. jeweils für sich betrachtet, gleichheitskonform ausgestaltet sein müssten. Diesen Begründungen trat der Verfassungsgerichtshof mit dem Hinweis entgegen, dass der Gesetzgeber bei der Umsetzung gemeinschaftsrechtlicher Vorgaben zugleich an den verfassungsrechtlichen Rahmen gebunden sei. Zur Erhaltung eines hohen Niveaus der gewerblichen Tätigkeit in Österreich würde die Differenzierung zwischen dem Erwerb einer Ausbildung und einer Tätigkeit im Ausland einerseits und entsprechend in Österreich andererseits nichts beitragen; eine Ausbildung und Tätigkeit in einem Gewerbe im Inland könnte sogar eher vorteilhaft sein, weil sie den Erwerb spezifischer Kenntnisse der österreichischen Rechtslage und Marktgegebenheiten leichter ermöglicht als im anderen Falle.

3. Bewertung

25. Die mit dem erleichterten Marktzugang für selbständige Handwerker aus anderen Mitgliedstaaten bewirkte Inländerdiskriminierung ist nach den Maßstäben des Gleichheitsgrundsatzes anstößig und hat sowohl für selbständige deutsche Handwerker, die sich einer Meisterprüfung unterziehen mussten, als auch für deutsche Handwerksgesellen, die sich nicht ohne erheblichen Zusatzaufwand selbständig machen dürfen, wesentliche materielle Nachteile zur Folge. Falls im Ausland niedergelassene Handwerker ausländischer oder deutscher Staatsangehörigkeit ohne Entrichtung von Kammerbeiträgen Aufträge in Deutschland ausführen, während ihre Konkurrenten, die deutschen Meister, zu Mitgliedschaft und Beiträgen in den Handwerkskammern verpflichtet sind, würde dies zumindest in den grenznahen Gebieten zu gravierenden Verzerrungen führen. Nicht zu Unrecht hat der Bundeswirtschaftsminister in einer Pressekonferenz am 20. Dezember 2000 die Inländerdiskriminierung als möglichen „Sprengsatz für den Großen Befähigungsnachweis“ bezeichnet. Der Umstand, dass diese Marktwirkungen in den grenznahen Gebieten besonders spürbar sind, bewirkt eine weitere Diskriminierung zwischen Handwerkern und Verbrauchern in diesen Gebieten auf der einen Seite sowie Handwerkern und Verbrauchern im Rest der Bundesrepublik

Die mit der Ausnahmebewilligung nach § 9 HwO verbundene Inländerdiskriminierung wird von vielen deutschen Handwerkern als ungerecht empfunden; dies zeigen auch Reaktionen von Betroffenen gegenüber der Monopolkommission auf die Veröffentlichung ihres Zwölften Hauptgutachtens. Von herausragender Bedeutung sind daneben die wachstums- und beschäftigungspolitischen Fehlentwicklungen der Handwerksregulierung.

IV.Deregulierungserfordernisse und internationaler Vergleich

1. Wettbewerbs- und beschäftigungspolitische Bedeutung einer Reform

26. Mit der Regulierung des Handwerks gehen massive Marktzutrittsbeschränkungen einher. Viele qualifizierte Gesellen und Facharbeiter mit ausreichender Berufserfahrung, welche die hohen Kosten der Meisterausbildung nicht tragen können oder wollen, sind vom Marktzutritt ausgeschlossen. Der Verweis auf die Möglichkeit einer Darlehensnahme für die Meisterausbildung liefert hierfür keine grundsätzliche Lösung, da sich im Erfolgsfalle nach der Prüfung die Belastungen summieren, wenn neben den Ausbildungskosten auch Kapital für die Unternehmensgründung und – nach erfolgreichem Start – für eine eventuell alsbald geplante Expansion benötigt wird. Dies wird auch zum Hindernis für talentierte oder qualifizierte Erwerbslose, die in der beruflichen Selbständigkeit einen Weg für bessere Erwerbschancen sehen. Der Hinweis des Zentralverbands des Deutschen Handwerks auf die Meisterausbildung als „solide Grundlage für den Weg in die Selbständigkeit“ sowie auf die Zahl von jährlich rund 40.000 Jungmeistern, von denen sich etwa die Hälfte nicht selbständig machen will[21] führt in die Irre: Die Jungmeister, die sich gegen die Selbständigkeit entscheiden, haben Gründe für ihre Entscheidung und können insofern nicht ohne weiteres als potentielle Existenzgründer betrachtet werden. Ein Reservoir an potentiellen Existenzgründern findet sich dagegen bei den Handwerksgesellen, die sich selbständig machen wollen und nur durch die bestehende Handwerksordnung und die darin errichteten Zutrittshemmnisse daran gehindert werden. Die Argumentation des Zentralverbands verstellt den Blick auf die Gründungsdynamik dieser Handwerksgesellen und unterschätzt die mit der Marktzugangsbeschränkung verbundenen gesamtwirtschaftlichen Defizite.

27. Die infolge der Handwerksregulierung entstehenden Wettbewerbsverzerrungen wirken sich nachteilig auf die Marktergebnisse aus. Nach allgemeinen Erfahrungen sind Handwerksleistungen knapp und teuer. Bei Zulassung von Außenseiterwettbewerb könnte sich ein Konkurrenzdruck aufbauen, der auf die Preise und zugleich auf die Einkommen der Anbieter von Handwerksleistungen einwirken würde. In einem solchen Umfeld werden sich die Leistungsfähigsten durchsetzen, während die im Wettbewerb unterlegenen Handwerksunternehmen Einbußen erleiden müssen. Dies reflektiert die Interessen sowohl der ambitionierten Handwerker als auch der Verbraucher.

28. Die Beschränkungen der selbständigen handwerklichen Gewerbeausübung begünstigen zudem das Ausweichen in die Schattenwirtschaft. Preisentwicklung und Angebotsknappheit fördern sowohl die Schwarzarbeit (als illegale Form) als auch die Eigenarbeit und Selbstversorgung. Dabei spielen sicherlich noch weitere Gründe als die Handwerksregulierung eine wichtige (und vielleicht auch gewichtigere) Rolle: Hohe Mehrwertsteuern bieten für die Nachfrager einen Anreiz, auf unbesteuerte Schwarzarbeit mit niedrigeren Endpreisen auszuweichen; eine hohe Abgabenlast macht Schwarzarbeit für den Anbieter von Handwerksleistungen attraktiv, wenn er durch Einsparung von Abgaben und Lohnnebenkosten einen günstigeren Preis kalkulieren kann. Eine Deregulierung des Handwerks setzt diese Anreizmechanismen zwar nicht außer Kraft; die Schattenwirtschaft dürfte aber (infolge der zu erwartenden kostensenkenden und preisdämpfenden Effekte) wieder abnehmen, weil das legale Angebot von Handwerksleistungen gegenüber der Schwarzarbeit finanziell attraktiver wird und damit die Hemmschwellen gegenüber illegal zu erbringenden Dienstleistungen (sowohl von der Angebots- als auch von der Nachfrageseite) ansteigen. Aus den gleichen Gründen könnte auch die Substitution der handwerklichen Facharbeiten durch die private Eigenarbeit und Selbstversorgung zurückgehen.

29. Als legale Möglichkeit, handwerkliche Tätigkeiten ohne Meisterbrief selbständig auszuüben, verbleibt den betroffenen Handwerkern daneben das sog. Reisegewerbe. Rechtsgrundlage ist § 55 der Gewerbeordnung. Demnach betreibt ein Reisegewerbe, wer gewerbsmäßig außerhalb seiner gewerblichen Niederlassung oder ohne eine solche zu haben, ohne vorherige Bestellung Waren oder gewerbliche Leistungen anbietet. Hierzu muss er eine Erlaubnis (Reisegewerbekarte) bei der lokalen Ordnungsbehörde beantragen. Ebenso wie das Reisegewerbe ist auch der Betrieb eines Minderhandwerks bzw. Kleingewerbes, die sich durch Tätigkeiten mit einem geringeren Schwierigkeitsgrad auszeichnen, ohne vorherige Ablegung einer Meisterprüfung zulässig. Allerdings haben sich hierbei in der Vergangenheit bei regelmäßig restriktiver Auslegung der Vorschriften häufig Abgrenzungsschwierigkeiten und Auslegungsprobleme ergeben, die - wie auch im Falle der Abgrenzung der Handwerke untereinander sowie gegenüber den handwerksähnlichen Gewerben – nicht selten zu gerichtlichen Auseinandersetzungen geführt haben.

2. Qualitätssicherung, Gefahrenhandwerk  und Verbraucherschutz

30. Eine zentrale Rolle bei der Begründung der Marktzugangsregulierung im Handwerk spielten – auch innerhalb der einschlägigen Rechtsprechung – die Erfordernisse der Qualitätssicherung der handwerklichen Dienstleistung sowie der Aufrechterhaltung und Pflege eines hohen Leistungsstands. Darüber hinaus wird argumentiert, dass die Meisterprüfung eine wesentliche  Voraussetzung für die Wettbewerbsfähigkeit junger Betriebe auf den Märkten schaffe; die hohe fachliche und betriebliche Qualifikation ihrer Inhaber führe zu höherer Stabilität des (handwerklichen) Wirtschaftsbereiches und biete in hohem Maße Gewähr für eine beständige und sichere selbständige Existenz verbunden mit sicheren Beschäftigungsperspektiven auf Dauer.[22] Dies wird mit der vergleichsweise geringen Krisenanfälligkeit der vollhandwerklichen Unternehmen belegt, die sich in einer besonders niedrigen Zahl von Insolvenzen zeige.

31. Das Argument, der Nachweis der Meisterqualifikation sei erforderlich, um die Qualität der handwerklichen Dienstleistungen zu sichern, kann insofern nicht überzeugen, als ein sehr großer Anteil der handwerklichen Dienstleitungen gar nicht von Meistern erbracht wird. Der Qualitätssicherung von handwerklichen Dienstleistungen in Deutschland dient zunächst einmal die allseits unbestritten hohe Qualität der Ausbildung zum Handwerksgesellen. Diese versetzt insbesondere die fachlich versierten Gesellen mit mehrjähriger Berufserfahrung in die Lage, selbständig Aufträge zu erledigen. Daher werden die vom Kunden nachgefragten Leistungen in der Praxis vielfach vom Gesellen und gar nicht vom Meister erbracht.

Im Hinblick auf das Ziel der Qualitätssicherung ist nicht ohne weiteres einzusehen, warum die handwerkliche Dienstleistung eines derart im abhängigen Beschäftigungsverhältnis für einen Meister arbeitenden Gesellen besser sein soll, als es die Dienstleistung desselben Gesellen wäre, wenn er als selbständiger Handwerker auf eigene Rechnung arbeitete. Man könnte im Gegenteil erwarten, dass die Übernahme eigener unternehmerischer Verantwortung und der Gewinnanreiz selbständiger Gewerbeausübung das Qualitätsbewusstsein der Handwerksgesellen noch verstärken. Dies gilt insbesondere dann, wenn bei hoher Wettbewerbsintensität der wirtschaftliche Erfolg  von der Qualität der Leistung und der auf Qualität gegründeten Reputation abhängt.

Allerdings ist an dieser Stelle gar nicht entscheidend, ob der für einen Meister arbeitende Geselle oder der auf eigene Rechnung arbeitende Geselle besser arbeitet. In einer marktwirtschaftlichen Ordnung sollte es dem Kunden überlassen sein, dies zu beurteilen und selbst zu entscheiden, ob er seine Qualitätsansprüche nur durch einen Meisterbetrieb erfüllt sieht oder ob er die Dienstleistung eines Handwerksunternehmens in Anspruch nimmt, das nicht über ein solches Qualitätssignal verfügt. Eine derartige Lösung ist bereits im Urteil des BVerfG vom 11. Juli 1961 als verfassungsgemäß vorgezeichnet.[23] Die staatliche Vorgabe der Meisterprüfung nimmt dem Kunden diese Wahlmöglichkeit.

32. Die Meisterqualifikation kann außerdem – insbesondere in Berufsfeldern, die starkem Wandel unterworfen sind und sich schnell weiterentwickeln – im Zeitablauf die Erhaltung eines bestimmten Leistungsniveaus nicht mehr garantieren. Im gleichen Maße, in dem fachbezogenes und technisches Wissen veraltet, müssen andere Zusatzqualifikationen im Zuge der beruflichen Fort- und Weiterbildung anstelle einer früher einmal abgelegten Meisterprüfung als Voraussetzung zur Qualitätssicherung erbracht werden. Zudem hängen Qualitätseigenschaften häufig von Einflussfaktoren ab, die vom Meisterbrief nicht berührt werden: Service, Kulanz und Kundenfreundlichkeit sind weniger von den fachlichen Kenntnissen, als vielmehr von persönlichen Eigenschaften des Verhaltens von Leistungserbringern abhängig.

33. Aus den gleichen Gründen spricht auch vieles gegen die häufig für das sog. „Gefahrenhandwerk“ angeführte (besondere) Notwendigkeit, dass Dienstleistungen aus Verbraucherschutzgründen nur von Meisterbetrieben erledigt werden könnten. Im Normalfall wird hierbei schon in der Ausbildung zum Handwerksgesellen das Wissen um die besondere Gefährlichkeit bestimmter Tätigkeiten, wie z.B. in der Elektro- oder Gasinstallation, vermittelt und für die notwendige handwerkliche Umsicht im Zuge der praktischen Unterweisung gesorgt. Ein besonderer Verbraucherschutz lässt sich im Gefahrenhandwerk aber auch grundsätzlich nicht hinreichend durch Zusatzqualifikationen gewährleisten: Im Allgemeinen werden Schäden weniger auf mangelnde Fachkenntnis als vielmehr auf fehlerhafte Ausführung zurückzuführen (und damit stärker durch persönliche Charaktereigenschaften des Handwerkers bedingt) sein. Eine Meisterqualifikation schützt davor nicht.

Maßnahmen zum vorbeugenden Schutz der Konsumenten im Gefahrenhandwerk lassen sich jedoch begründen, da eine Auslese durch den Markt immer erst nach vorherigen Schadensfällen erfolgen würde. Insofern könnte über den Ausbau des Haftungsrechts und sonstiger handwerklicher Schutzvorschriften hinaus auch daran gedacht werden, die im Gefahrenhandwerk tätigen Dienstleister zu verpflichten, sich in regelmäßigen Abständen einer gefahrenspezifischen Aus- und Fortbildung zu unterziehen. Ein solcher zusätzlicher Sachkundenachweis wäre unter Gesichtspunkten des Gefahrenschutzes zielführender als eine einmalig zu absolvierende Meisterprüfung.

34. Qualitätsanforderungen an gewerbliche Dienstleistungen werden nicht zuletzt auch durch den Konkurrenzdruck gestellt. Neben den handwerklichen Fähigkeiten (als Voraussetzung) gewährleistet der Wettbewerb (als Anreizmechanismus die von den Verbrauchern nachgefragten Qualitätsstandards. Die Meisterprüfung als Voraussetzung zum Marktzutritt hätte demzufolge wegen ihrer wettbewerbsdämpfenden oder -verhindernden Folgen tendenziell zugleich qualitätsmindernde Auswirkungen.

35. Die Befürworter des Großen Befähigungsnachweises verweisen regelmäßig auf die wirtschaftliche Solidität und die geringe Konkursinzidenz des Handwerkssektors. Diese sind allerdings mehr eine Folge der mit dem Großen Befähigungsnachweis verbundenen Wettbewerbsbeschränkungen als eine Folge der zusätzlichen fachlichen und betriebswirtschaftlichen Qualifikationen. Der Große Befähigungsnachweis beschränkt den Marktzutritt und gibt dem Handwerk die Möglichkeit, bei knappem Angebot hohe Preise zu verlangen. Eine so begründete wirtschaftliche Solidität ist fragwürdig.

Im Übrigen ist die wirtschaftliche Solidität eines gesamten Sektors nicht als Wert an sich zu betrachten. Zum Wettbewerb als Selektions- und Anreizmechanismus gehört es, dass die Besseren sich am Markt durchsetzen und die weniger Leistungsfähigen oder Leistungswilligen Einbußen hinnehmen oder sogar aus dem Markt ausscheiden müssen. Das Insolvenzrisiko ist ein konstitutives Element dieses Mechanismus und sollte im Handwerk wie in allen anderen Wirtschaftsbereichen auch die Anbieter von minderwertigen Leistungen abschrecken. Wenn aufgrund der geringen Wettbewerbsintensität das Insolvenzrisiko im Handwerk praktisch ausgeschaltet ist, so fehlen wichtige Anreize zur Sicherung der Qualität handwerklicher Leistungen.

3. Handwerksregulierung im europäischen Umfeld

36. Nach Auffassung des Zentralverbands des Deutschen Handwerks wird das bewährte System des Großen Befähigungsnachweises in Europa nicht nur akzeptiert, sondern sogar als vorbildlich bezeichnet. Wenn man jedoch die Zugangsregeln in den übrigen EU-Mitgliedstaaten vergleicht, dann drängt sich keineswegs der Eindruck auf, dass die deutsche Handwerksregulierung insoweit Leitbildcharakter entwickelt hat.[24]

In fast keinem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union bestehen ähnlich hohe Marktzutrittschranken zur Ausübung handwerklicher Gewerbe wie in Deutschland. Einzig in Österreich und Luxemburg gibt es einen vergleichsweise umfassenden Handwerksbegriff mit ähnlich strikten Berufszulassungsvoraussetzungen. In beiden Ländern ist eine dem Großen Befähigungsnachweis entsprechende Zusatzqualifikation zur gewerblichen Selbständigkeit erforderlich. Die Mehrzahl der übrigen EU-Mitgliedstaaten besitzt überhaupt keine gesetzliche Definition des Handwerks. Soweit eine solche Definition existiert, erfolgt die Einordnung eines Gewerbes als Handwerk nach Kriterien, die sich in den verschiedenen Ländern erheblich voneinander unterscheiden.

Im Allgemeinen ist in den EU-Mitgliedstaaten der Marktzugang allenfalls bei wenigen Handwerksberufen an Bedingungen geknüpft. Insbesondere für einige Gefahrenhandwerke werden spezielle Zulassungsvoraussetzungen verlangt, die aber nicht annähernd umfassend wie nach deutschem Recht mit dem Nachweis unternehmerischer, pädagogischer, theoretischer und praktischer Fachkenntnisse ausgestaltet sind.

Handwerksorganisationen bestehen in allen EU-Mitgliedstaaten; eine Pflichtmitgliedschaft ist aber nur in wenigen Ländern eingerichtet. Sofern der Zugang zu Handwerksberufen reguliert wird, sind staatliche Marktzugangskontrollen und berufsverbandliche Aufsichtsbefugnisse getrennt. Hauptaufgabe der Handwerkskammern ist die Interessenvertretung; darüber hinaus nehmen sie in einigen Ländern auch Beratungsfunktionen gegenüber der Regierung wahr.

37. In den Niederlanden hat bereits das am 1. Januar 1996 in Kraft getretene Niederlassungsgesetz für Betriebe wesentliche Erleichterungen gegenüber den bis dahin gültigen Regelungen gebracht. Demnach ist in den meisten Handwerksberufen kein fachspezifisches Wissen erforderlich, um ein Unternehmen zu gründen. Die Handwerksorganisationen können Qualitätszertifikate für Unternehmen entwickeln und ausstellen, sofern diese bestimmte Standards erfüllen; die Einhaltung von Standards stellt aber keine Verpflichtung für die selbständige Handwerksausübung dar.[25]

Die Gewerbeausübung in den Niederlanden wurde bisher in vier Kategorien unterteilt, die unterschiedliche Anforderungen an die beruflichen Fähigkeiten stellen. Für die meisten Handwerksgewerbe wird überhaupt keine Zulassung benötigt (Kategorie A) oder es wird ein Nachweis über „allgemeine Unternehmerfertigkeiten“ verlangt, der dem deutschen Handelsschulabschluss vergleichbar ist (Kategorie B). Für die Ausübung einiger Gewerbe müssen betriebstechnische Kenntnisse oder Berufserfahrungen nachgewiesen werden (Kategorie C); solche Voraussetzungen genügen dann auch für die Ausübung der Kategorien A und B. Nur bei wenigen Gewerben wird zusätzlich der Nachweis fachspezifischer Kenntnisse verlangt (Kategorie C+).

38. Das französische Gewerberecht verlangt grundsätzlich keinen Nachweis einer beruflichen Qualifikation für die Ausübung eines Handwerks. Lediglich Kfz-Mechaniker müssen vor Aufnahme einer selbständigen Tätigkeit fachliche Kenntnisse durch eine Prüfung oder durch Praxiserfahrung nachweisen. Besondere Bestimmungen gelten daneben für Augenoptiker und Friseure. Für Handwerksberufe besteht eine Pflichtmitgliedschaft bei den örtlichen Handwerkskammern, die eine Interessenvertretung und die Beratung von Mitgliedern wahrnehmen. Auf freiwilliger Basis kann der geschützte Titel eines Handwerkers oder eines Handwerksmeisters durch den Abschluss entsprechender Prüfungen erworben werden.

39. In Großbritannien besteht völlige Gewerbefreiheit. Für den selbständigen Betrieb von Handwerksunternehmen, eingeschlossen das Gefahrenhandwerk, sind keine gewerberechtlichen Genehmigungen erforderlich. Eine Ausnahme bilden Optiker, die in der für sie zuständigen Kammer registriert sein müssen; hierfür müssen bestimmte Qualifikationen nachgewiesen werden. Eine Pflichtmitgliedschaft in Handwerkskammern gibt es in Großbritannien nicht, aber es sind berufsständische Zusammenschlüsse zu Innungen möglich. Diese übernehmen die Interessenvertretung, stellen Qualitätsstandards auf und nehmen Prüfungen ab. Die Qualifikationsnachweise sind nicht Voraussetzung zur selbständigen Berufsausübung, sondern dienen als Aufnahmekriterien für die jeweiligen Berufsorganisation.

40. Das schweizerische Gewerberecht verlangt grundsätzlich weder den Nachweis einer beruflichen Qualifikation noch einen sonstigen Befähigungsnachweis für die selbständige Handwerksausübung. Allerdings ist in einer Reihe von Handwerken, darunter auch Gefahrenhandwerke, die Ablegung einer Meisterprüfung vorgeschrieben. Dabei werden fachtheoretische, praktische betriebwirtschaftliche und berufspädagogische Kenntnisse verlangt, die nach mehrjähriger Berufstätigkeit und dem Besuch von Kursen geprüft werden. Für andere Handwerksberufe genügt die Ablegung der sog. Berufsprüfung mit geringeren Anforderungen. In einem System der modularen Ausbildung wird in solchen Berufen, die eine Meisterprüfung voraussetzen, zunächst die Berufsprüfung vorgeschrieben, deren Inhalte später in der Meisterprüfung entfallen.

In der Schweiz gibt es keine Handwerkskammern; es besteht aber die Möglichkeit, sich freiwillig in einem Berufsverband zu organisieren. Die Verbände nehmen die Interessenvertretung wahr und führen darüber hinaus in einigen Regionen und Berufen im Auftrag des Bundes oder eines Kantons die Organisation der Prüfungen aus.

41. Der vergleichende Überblick über die Zulassungsvoraussetzungen einer selbständigen Gewerbetätigkeit in den übrigen EU-Mitgliedstaaten zeigt erhebliche Abweichungen bei den Regelungssystematiken. Historisch unterschiedlich gewachsene Strukturen und Erfahrungen sowie ordnungspolitische und wirtschaftskulturelle Eigenheiten mögen unter anderem hierfür ursächlich sein. In jedem Falle macht der Ländervergleich aber deutlich, dass die Überregulierung, die mit der deutschen Handwerksordnung verbunden ist, im europäischen Umfeld eher eine Ausnahme darstellt. Während die Wettbewerber in den anderen EU-Mitgliedstaaten weitgehend freie berufliche Entfaltungsmöglichkeiten haben, ist der Marktzugang für deutsche Handwerker in nicht nachzuvollziehender Weise beschränkt; unter beschäftigungs-, sozial- und wirtschaftspolitischen Gesichtspunkten wäre es besser, die Gewerbefreiheit im Handwerk vollständig zu realisieren, anstatt unternehmerisch interessierte, leistungsfähige Handwerksgesellen in die Randbereiche der nicht meistergebundenen handwerksähnlichen Gewerbe, der handwerklichen Hilfs- und Nebentätigkeiten oder der Reisegewerbeausübung (oder sogar der Schwarzarbeit) abzudrängen. Die Erweiterung der Europäischen Union insbesondere in osteuropäischer Richtung wird den Konkurrenzdruck auf das deutsche Handwerk noch verschärfen. Die ins Auge gefassten Übergangsfristen, in denen die Freizügigkeit zulasten der Volkswirtschaften der künftigen EU-Mitglieder beschränkt werden soll, bewirken dabei nur eine zeitliche Verschiebung der Anpassungslasten, ändert aber nichts an der prinzipiellen Notwendigkeit von geeigneten Maßnahmen zur Harmonisierung innerhalb des europäischen Umfelds.

V.Empfehlungen

42. Nach Auffassung der Monopolkommission rechtfertigen die Verhältnisse im Handwerksgewerbe keine wirtschaftliche Sonderstellung und damit auch keine rechtlichen Ausnahmen innerhalb der Gewerbeordnung. Von interessierter Seite werden regelmäßig Argumente des Marktversagens angeführt, um den Fortbestand der rigiden Handwerksordnung zu legitimieren; insbesondere die Qualität der angebotenen Dienstleistungen (einschließlich solcher im Gefahrenhandwerk) sowie die Bestandssicherung der Meisterbetriebe mit überlegener Qualifikation gelten als wichtigste Begründung. Unterzieht man die Beweisführung im Zuge dieser Argumentation einer genaueren Überprüfung, so erweist sie sich sowohl in ökonomischer Betrachtung als auch im Hinblick auf ausländische Erfahrungen als wenig stichhaltig. Die persönlichen Einschränkungen durch die Handwerksregulierung sowie die damit verbundenen gesamtwirtschaftlichen Wohlfahrtverluste und gesellschaftlichen Fehlentwicklungen offenbaren hingegen massive Versäumnisse der Vergangenheit und einen weiterhin bestehenden Handlungsbedarf.

43. Die Monopolkommission empfiehlt die Abschaffung des Großen Befähigungsnachweises als Voraussetzung für den Marktzutritt im Handwerk. Es genügt, wenn als Zulassungskriterium für eine selbständige Handwerksausübung die erfolgreich absolvierte Gesellenprüfung und eine mehrjährige Berufserfahrung herangezogen wird; die Anforderungen an ausländische Handwerksunternehmer, die grenzüberschreitend im Bundesgebiet tätig werden, reichen als Regulierungsniveau im Handwerksgewerbe völlig aus.[26] Eine Änderung der HwO, um der europäischen Rechtsprechung Rechnung zu tragen, ist ohnehin erforderlich. Diese sollte so ausgestaltet werden, dass die jetzt schon bestehende Inländerdiskriminierung bei der Zulassung von Handwerkern nicht erweitert, sondern aufgehoben wird.

44. Die Meisterprüfung, die vielfach als Qualitätssignal für die zu erwartende Handwerksleistung aufgefasst wird, könnte auf freiwilliger Basis abgelegt werden.[27] Denkbar wäre zudem, dass sie als Ergebnis abgestufter Qualifikationsschritte (mit eigenständigen Zwischenabschlüssen) eingerichtet wird. Die weiterführende Berufsausbildung mit abgrenzbaren Prüfungsabschnitten dürfte die Kosten senken und die Fortbildungsanreize für Gesellen erhöhen. Zugleich böte sich die Chance, den differenzierten Anforderungen einzelner Märkte mit Zwischenqualifikationen Rechnung zu tragen.[28]

45. Für das „Gefahrenhandwerk“ könnten ergänzende Vorschriften (z.B. in Form eines zusätzlichen Sachkundenachweises) zur Gefahrenreduzierung verlangt werden. Die Monopolkommission hält eine solche ergänzende Regelung jedoch nicht für zwingend erforderlich. Die allgemeine Gewerbeaufsicht, das gegenwärtige Haftungsrecht und bestehende präventive Schutzvorschriften sind als Verbraucherschutz ausreichend. Es sprechen zudem keine Erkenntnisse dafür, dass in anderen europäischen Ländern, in denen der Marktzutritt zum Handwerk nicht oder weniger beschränkt ist, die Qualität der Handwerksleistungen in den Gefahrenhandwerken erkennbar geringer oder das Risiko für den Verbraucher höher als in Deutschland wären. Ebenso gibt es keine validen Gründe dafür, dass die Konsumenten bei der Vergabe von Aufträgen an deutsche Handwerker stärker geschützt werden als bei Einschaltung ausländischer Unternehmer.

46. Des Weiteren sollte die Abgrenzung der Berufsbilder gelockert werden, damit in noch stärkerem Maße Leistungen „aus einer Hand“ angeboten werden können; dies könnte im Ergebnis eine weitere Zusammenfassung der in der Anlage A zur HwO erfassten Handwerksgewerbe zur Folge haben. Damit würde der in der Handwerksnovelle 1998 eingeschlagene Weg fortgesetzt. Gleichzeitig sollte die Liste verwandter Handwerke erweitert werden, um das Angebot des einzelnen Handwerksunternehmens flexibler und umfangreicher zu gestalten. Die Realisierung dieser Vorschläge führt zu Transaktionskostenersparnissen bei komplementärem Leistungsangebot (beispielsweise im Falle einer Altbausanierung) und zur Ausnutzung von Verbundvorteilen. Dies dürfte  vor allem den kleineren Handwerksbetrieben, die nicht über Meister oder erfahrene Gesellen aus mehreren Handwerksgewerben verfügen, die Übernahme von Aufträgen mit Tätigkeiten in (bisher) unterschiedlichen Gewerben erleichtern.

47. Letztlich wäre nach Auffassung der Monopolkommission auch ein noch weitergehender Einschnitt in die Regulierungsdichte denkbar. Bei Verwirklichung der vollständigen Gewerbefreiheit könnte (im Rahmen der weiterhin fortgeltenden Gewerbeordnung) der Marktzutritt ohne handwerksspezifische Einschränkung jedem Interessenten ermöglicht werden. Eine derartige Marktorganisation des Handwerks, die freilich dem gegenwärtigen wirtschaftspolitischen Diskussionsstand nicht entspricht, führt nicht zur Anarchie, wie in anderen nichtregulierten Wirtschaftsbereichen zu sehen ist oder wie ausländische Beispiele (z.B. Großbritannien) lehren. Auch die sog. „freie“ Marktwirtschaft kommt nicht ohne Spielregeln aus. Vielmehr steht sie in einem Rahmen konstituierender Regeln (in Form von allgemein gültigen Gesetzen), welche die Freiheiten des Anbieters auf ein sozial verträgliches Maß begrenzen und den Konsumenten vor Übervorteilung und Gefahren schützen. Von einer Organisation des Wirtschaftens, die auf freie persönliche Entfaltung und minimale staatliche Vorschriften setzt, sind nach allen bisherigen Erfahrungen am ehesten neue gewerbliche Initiativen und kreative Fortschritte bei zugleich höchster Anpassungsfähigkeit an dynamische Prozesse und strukturelle Veränderungen in der Wirtschaft zu erwarten.

Bonn, im Mai 2001

M. Hellwig

J. Basedow W. Haastert S. Röver K. Trebitsch

[1] „Die Zeit“ vom 4. April 1997.

[2] Gesetz zur Ordnung des Handwerks (Handwerksordnung) i.d.F. der Bekanntmachung vom 24. September 1998 (BGBl. I S. 3074).

[3] Gesetz zur Änderung der Handwerksordnung, anderer handwerklicher Vorschriften und des Berufsbildungsgesetzes vom 20. Dezember 1993 (BGBl. I S. 2256).

[4] Zweites Gesetz zur Änderung der Handwerksordnung und anderer handwerksrechtlicher Vorschriften vom 25. März 1998 (BGBl. I S. 596).

[5] Vgl. H. Mirbach, Das Recht auf selbständige Arbeit, 3. Auflage, Bonn 1993, S. 17 f. sowie 123 ff., dort zur Frage der Unabhängigkeit von handwerklichen Sachverständigen, insbesondere in Gerichtsverfahren.

[6] Vgl. Monopolkommission, Marktöffnung umfassend verwirklichen, Hauptgutachten 1996/1997, Baden-Baden 1998, Tz. 59 ff. Die Stellungnahme hat sich ganz wesentlich auf die Untersuchungsergebnisse der Unabhängigen Expertenkommission zum Abbau marktwidriger Regulierungen (Deregulierungskommission) gestützt; vgl. Deregulierungskommission, Marktöffnung und Wettbewerb, Stuttgart 1991, S. 117 ff.

[7] BT-Drs. 14/1274 vom 25. Juni 1999 (Tz. 38-47).

[8] BVerfGE 13, 97.

[9] BVerwG 1 C 7/98 (Gewerbearchiv 1999, S. 193).

[10] BVerfGE 13, 97.

[11] Ebenda, 110, 113.

[12] Ebenda, 120 f.

[13] Zuletzt BVerfG, 1 BvR 608/99 vom 31. März 2000 sowie BVerfG, 1 BvR 2176/98 vom 27. September 2000; die zu beurteilenden Sachverhalte betrafen die Abgrenzung des Vollhandwerks gegenüber dem Minderhandwerk bzw. handwerklichen Hilfstätigkeiten sowie gegenüber der Reisegewerbetätigkeit.

[14] BVerfG, 1 BvR 2176/98 vom 27. September 2000, Nr. 20.

[15] Verordnung über die für Staatsangehörige der übrigen Mitgliedstaaten der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft geltenden Voraussetzungen der Eintragung in die Handwerksrolle vom 4. August 1966 (BGBl. I S. 469).

[16] Richtlinie 64/427/EWG des Rates über die Einzelheiten der Übergangsmaßnahmen auf dem Gebiet der selbständigen Tätigkeiten der be- und verarbeitenden Gewerbe der CITI-Hauptgruppen 23 - 40 (Industrie und Handwerk) vom 7. Juli 1964 (ABl. 1964 Nr. 117, S. 1863).

[17] Diese zum Zeitpunkt der Vorlagefrage des Amtsgerichts Heinsberg geltende Richtlinie wurde inzwischen aufgehoben und ersetzt durch die Richtlinie 1999/42/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 7. Juni 1999 über ein Verfahren zur Anerkennung der Befähigungsnachweise für die unter die Liberalisierungs- und Übergangsrichtlinien fallenden Berufstätigkeiten in Ergänzung der allgemeinen Regelung zur Anerkennung der Befähigungsnachweise (ABl. L 201, S. 77). Die hierin enthaltenen Anforderungen an die „allgemeinen, kaufmännischen oder fachlichen Kenntnisse und Fähigkeiten“ von Handwerksunternehmern aus anderen EU-Mitgliedstaaten stimmen mit denjenigen der früheren Richtlinie überein.

[18] Vgl. § 1 der EWG-Handwerk-Verordnung i.d.F. vom 20. Dezember 1993 (BGBl. I S. 2256).

[19] Geschäftszahl G 42/99, G 135/99, V 18/99, V 77/99 (Dokumentennummer JFT/10008791/ 99G00042). Das Urteil ist bisher noch nicht veröffentlicht, kann aber im Internet abgerufen werden (http://www.ris.bka.gv.at/taweb-cgi/taweb).

[20] VfSlg. 14963/1997.

[21] Vgl. Zentralverband des Deutschen Handwerks, Stellungnahme zum Zwölften Hauptgutachten der Monopolkommission (unveröffentlicht, aus dem Jahre 1998), S. 6 f.

[22] Ebenda, S. 5.

[23] BVerfGE 13, 97, 113 f.: „Der Gesetzgeber hätte die Wahrung und Förderung des Leistungsstandes und der Leistungsfähigkeit der Inhaber von Handwerksbetrieben dem freien Spiel der wirtschaftlichen Kräfte überlassen können. Er wäre dann von der Auffassung ausgegangen, daß schon der freie Wettbewerb die leistungsunfähigen oder weniger leistungsfähigen Kräfte hinreichend ausschalten werde, so daß auf dem Wege dieser ‚Selbstauslese’ die leistungsfähigsten Persönlichkeiten zur Selbständigkeit gelangen oder doch sich darin behaupten würden. Dieses Ziel hätte durch Ausübungsregelungen noch gefördert werden können. So wäre es etwa möglich gewesen, auch bei Freigabe des Zugangs zum Beruf die Führung des Meistertitels den Betriebsinhabern vorzubehalten, die die Meisterprüfung bestanden haben; dadurch wäre die Öffentlichkeit auf die (vermutlich) höhere Leistungsfähigkeit der von einem Meister geleiteten Betriebe hingewiesen worden. Auch die Ausbildung des Nachwuchses hätte ein Monopol der Handwerksmeister bleiben können wie beim früheren ‚kleinen Befähigungsnachweis’. Die technische und betriebswirtschaftliche Fortbildung der Handwerker, die die Handwerksordnung den Handwerkskammern und den Innungen ohnehin zur Pflicht macht, hätte sich durch mannigfache Maßnahmen weiter ausbauen lassen.“

[24] Die nachfolgende Darstellung stützt sich auf Untersuchungsergebnisse eines Gutachtens des Instituts für Wirtschaftspolitik an der Universität zu Köln, das die Monopolkommission anlässlich der Vorbereitung ihrer Stellungnahme zur HwO im Zwölften Hauptgutachten in Auftrag gegeben hatte; vgl. Markus Fredebeul-Krein, Angela Schürfeld, Marktzutrittsregulierung im Handwerk und bei technischen Dienstleistungen – Eine ökonomische Analyse, Untersuchungen zur Wirtschaftspolitik, Band 112, Köln 1998, S. 73-80 (eine tabellarische Übersicht in diesem Gutachten, welche die Regelungen in den EU-Mitgliedstaaten und der Schweiz skizziert, wurde in das Zwölfte Hauptgutachten übernommen).

[25] Seit dem 1. Januar 2001 sind die Anforderungen an den Nachweis der beruflichen Fähigkeiten eingeschränkt worden. Eine vollständige Liberalisierung zeichnet sich ab, weil (nach einer weiteren Zwischenprüfung im Jahre 2002) alle Beschränkungen der Berufsausübung spätestens 2006 aufgehoben werden sollen.

[26] Dabei ist aber fraglich, ob die Vorgaben für die erforderliche Berufserfahrung entsprechend der EWG-Handwerk-Verordnung bzw. der zugrunde liegenden EG-Richtlinie starr – d.h. einheitlich für alle erfassten Handwerke – sein müssen. Denkbar wäre auch eine Differenzierung je nach dem Schwierigkeitsgrad des ausgeübten Handwerks (einschließlich möglicher Spezialisierungen).

[27] Dies wäre im Übrigen vergleichbar mit der Situation in anderen freien Berufen, in denen akademische Zusatzqualifikationen (wie etwa die Promotion) erworben werden können, die aber nicht zugleich berufliche Zulassungsvoraussetzungen darstellen.

[28] Nach § 46 Abs. 2 HwO wird die Meisterprüfung in der Regel schon jetzt in vier selbständigen Teilen abgelegt, die aber insgesamt bestanden werden müssen und keine Zwischenqualifikationen darstellen.

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