Urteile zu: Meisterzwang, Betriebsuntersagungen (§ 16 HwO), Hausdurchsuchungen, Betretungsrecht der HwK nach § 17 HwO, Rechtsmittelverzicht
VG Würzburg zur Ausstellung einer Reisegewerbekarte
(Abschrift)
Gericht: VG Würzburg
Aktenzeichen: W 6 K 03.1040
Sachgebiets-Nr: 321
Rechtsquellen:
§ 55 Abs. 1 Nr. 1 GewO;
§ 1 Abs. 2 HwO;
Hauptpunkte:
Reisegewerbekarte;
vollhandwerkliche Leistungen;
Urteil der 6. Kammer vom 11. Februar 2004
Nr. W 6 K 03.1040
Bayerisches Verwaltungsgericht Würzburg
Im Namen des Volkes
In der Verwaltungsstreitsache
***
- Kläger -
bevollmächtigt:
***
gegen
Freistaat Bayern,
vertreten durch: Landratsamt Aschaffenburg,
Bayernstr. 18, 63739 Aschaffenburg,
31.1-825-Schw
- Beklagter -
wegen
Reisegewerbekarte
erlässt das Bayer. Verwaltungsgericht Würzburg, 6. Kammer,
durch den Vorsitzenden Richter am Verwaltungsgericht Hauck,
den Richter am Verwaltungsgericht Dr. Dehner,
die Richterin am Verwaltungsgericht Jeßberger-Martin,
die ehrenamtliche Richterin Gabriela Triphan,
die ehrenamtliche Richterin Marita Urban,
aufgrund mündlicher Verhandlung am 11. Februar 2004
folgendes
Urteil:
I. Der Bescheid des Landratsamtes Aschaffenburg vom 21. Mai 2003 wird aufgehoben.
II. Der Beklagte wird verpflichtet, dem Kläger eine Reisegewerbekarte zu
erteilen für das Anbieten von Baudienstleistungen und das Aufsuchen von
Bestellungen auf Baudienstleistungen (Tapezieren, Malen, Fliesen, Mauern u.ä.).
III. Der Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Die Zuziehung
eines Bevollmächtigten durch den Kläger im Vorverfahren war notwendig.
IV. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des
zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vorher in gleicher
Höhe Sicherheit leistet.
* * *
Tatbestand:
- Der Kläger (geb. ******1967) beantragte am 13. Juni 2002 beim Landratsamt
Aschaffenburg die Erteilung einer Reisegewerbekarte für das "Anbieten von
und das Aufsuchen von Bestellungen auf Baudienstleistungen aller Art". Die
beabsichtigte Tätigkeit umfasse alle handwerklichen Tätigkeiten die auf
einem Bau anfallen, wie z.B. Tapezieren, Malen, Fliesen, Mauern usw.
Die vom Landratsamt gehörte Handwerkskammer für Unterfranken äußerte sich
ablehnend zu dem Antrag.
Mit Bescheid vom 21. Mai 2003 lehnte das Landratsamt den Antrag ab.
Zur Begründung wurde Folgendes ausgeführt: Die von dem Kläger angeführten
Tätigkeiten würden sich im Kernbereich verschiedener Handwerke bewegen und
seien deshalb jeweils als Vollhandwerk anzusehen. Entsprechendes gelte
für eine ganze Reihe von weiteren Tätigkeiten auf dem Bau, die der Kläger
ebenfalls ausüben wolle. Minderhandwerkliche Tätigkeiten seien vom
Kläger nicht benannt worden. Im Reisegewerbe müsse der Kläger die
von ihm angebotenen Leistungen im Wesentlichen sofort erbringen können.
Wesen des Reisegewerbes sei die hohe Mobilität und die schnelle
Reaktion auf den erworbenen Auftrag. Zwar könne nicht in jedem Fall
verlangt werden, dass ein Werkvertrag sofort zur Gänze erfüllt werde,
jedoch bleibe die Maßgabe, dass das jeweilige Werk sofort begonnen
werden könne. Bei den meisten Baugewerken könne nicht davon ausgegangen
werden, dass der Kläger ohne umfassende Vorbereitung des geplanten Werkes
tätig werde. Der Geschäftsbetrieb müsse derart organisiert werden,
dass dieser dem stehenden Gewerbe gleichkomme. Im Regelfall sei die
baugewerkliche Tätigkeit deshalb meisterpflichtig. Die vom Kläger in
Aussicht genommenen Tätigkeiten seien als Vollhandwerk i.S.d.
§ 1 HwO zu qualifizieren. Aus diesem Grund liege kein Reisegewerbe vor.
- Am 30. Mai 2003 ließ der Kläger Widerspruch erheben. Es wurde vorgetragen nach
der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes
(27.09.2000, Az.: 1 BvR 2176/98)
könne jedes Vollhandwerk vollumfänglich im Reisegewerbe betrieben werden.
Das Bundesverfassungsgericht habe darauf hingewiesen, dass dies der gesetzlichen
Regelung des Reisegewerbes entspreche. Das Landratsamt dürfe daher die
Erteilung der Reisegewerbekarte nicht vom Vorliegen eines Meisterbriefes
abhängig machen. Es sei auch nicht erforderlich, dass Dienstleistungen sofort
erbracht werden könnten. Das Bundesverfassungsgericht habe ausdrücklich klargestellt,
dass organisatorische Vorbereitungen und Vorbereitungen der handwerklichen
Tätigkeiten in einer Werkstätte möglich seien. Reisegewerbe bedeute lediglich,
dass man sofort zur Auftragsannahme, nicht aber zur Leistungserbringung
bereit sein müsse.
- Am 5. September 2003 ließ der Kläger Untätigkeitsklage erheben und beantragen,
den Bescheid des Landratsamtes Aschaffenburg vom 21. Mai 2003 aufzuheben sowie den
Beklagten zu verpflichten, dem Kläger eine Reisegewerbekarte zu erteilen
für das Anbieten von Baudienstleistungen und Aufsuchen von Bestellungen
auf Baudienstleistungen aller Art.
Zur Begründung wurde auf das Widerspruchsvorbringen Bezug genommen und
ergänzend vorgetragen, im Reisegewerbe dürften nicht nur oder überwiegend
minderhandwerkliche Tätigkeiten ausgeübt werden. Das Bundesverfassungsgericht
habe klargestellt, dass auch vollhandwerkliche Tätigkeiten im Reisegewerbe
ausgeführt werden dürften. Die Vermutung des Landratsamtes, der Kläger
werde die Reisegewerbekarte in einer bestimmten Weise nutzen, sei
unzulässig, da irgendwelche konkreten Anhaltspunkte dafür nicht vorlägen.
Für Fliesenlegerarbeiten benötige der Kläger lediglich sein Handwerkszeug;
die übrigen Materialien würden in der Regel vom Bauherrn selbst gekauft,
so dass es nur noch um das reine Verlegen der Fliesen gehe. Diese Tätigkeit
sei minderhandwerklicher Natur. Verputzarbeiten seien Minderhandwerk und
das Verlegen von Natursteinen sei meisterbrieffrei. Tapezieren und
Malerarbeiten würden ebenfalls zu den meisterbrieffreien Arbeiten gehören.
Bei Mauerarbeiten sei maßgebend, ob die Unerheblichkeitsgrenze überschritten
werde. Der Unterhalt einer Werkstatt bedeute nicht, dass ein Reisegewerbe
nicht ausgeübt werde bzw. die Tätigkeit von einer festen Niederlassung aus
erfolge. Auch im Reisegewerbe sei es zulässig, Vorarbeiten in einer
Werkstätte durchzuführen.
- Das Landratsamt Aschaffenburg beantragte für den Beklagten,
die Klage abzuweisen.
Im Reisegewerbe könnten nur solche Tätigkeiten ausgeübt werden, die
weitgehend "im Umherziehen" getätigt werden könnten. Der Kläger könne
jedoch die beabsichtigte umfangreiche Betätigung faktisch nur im stehenden
Gewerbe ausüben, für welches wiederum derzeit Meisterzwang nach der
Handwerksordnung (HwO) bestehe. Die Reisegewerbekarte decke ein solches
Spektrum nicht ab und könne daher nicht erteilt werden. Tendenziell gehe
es bei der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes um Minderhandwerk,
wobei nicht ausgeschlossen sei, dass einmal die volle Kunstfertigkeit
eingesetzt werde. Der Kläger wolle jedoch ausdrücklich handwerkliche
Tätigkeiten ausüben, die inhaltlich die Kernbereiche von Tätigkeiten
betreffen würden, die als Vollhandwerke einzustufen seien und die volle
Kunstfertigkeit erfordern würden. Außerdem seien die vom Kläger beabsichtigten
Tätigkeiten nicht ohne Werkstatt möglich, da die Arbeiten vorbereitet
werden müssten. Damit handele es sich zweifelsfrei um eine gewerbliche
Niederlassung im Sinne von § 42 Gewerbeordnung. Hierin
vorgenommene Tätigkeiten einschließlich der Vorarbeiten würden kein
Reisegewerbe darstellen.
In der mündlichen Verhandlung am 11. Februar 2004 formulierte der
Klägervertreter den Klageantrag dahingehend,
den Beklagten zu verpflichten, dem Kläger eine Reisegewerbekarte
zu erteilen für das Anbieten von Baudienstleistungen und das Aufsuchen
von Bestellungen auf Baudienstleistungen (Tapezieren, Malen, Fliesen,
Mauern u.ä.).
Der Beklagtenvertreter beantragte weiterhin Klageabweisung.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die
Gerichts- und Behördenakten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
- Die Klage ist gemäß § 75 VwGO als so genannte
Untätigkeitsklage zulässig und auch begründet. Der Kläger hat
Anspruch auf Erteilung der beantragten Reisegewerbekarte
(§ 113 Abs. 1 und 5 VwGO).
Nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 GewO betreibt ein Reisegewerbe,
wer gewerbsmäßig ohne vorhergehende Bestellung außerhalb seiner
gewerblichen Niederlassung oder ohne eine solche zu haben selbständig
oder unselbständig in eigener Person Waren feilbietet oder Bestellungen
aufsucht (vertreibt) oder ankauft, Leistungen anbietet oder Bestellungen
auf Leistungen aufsucht. Da der Kläger auf diese Weise Baudienstleistungen
anbieten und Bestellungen auf Baudienstleistungen aufsuchen will,
bedarf er gemäß § 55 Abs. 2 GewO der Erlaubnis
(Reisegewerbekarte). Strittig ist zwischen den Parteien ausschließlich
die Frage, ob die vom Kläger beabsichtigten Leistungen (Tapezieren, Malen,
Fliesen, Mauern u.ä.) zulässigerweise im Reisegewerbe erbracht
werden dürfen. Der Beklagte verneint dies mit dem Argument, es handle
sich weitgehend oder überwiegend um Leistungen, die einem Vollhandwerk
im Sinne der Handwerksordnung zuzurechnen seien und deshalb sei die
Erteilung einer Reisegewerbekarte nicht möglich. Dieser Auffassung kann
nicht gefolgt werden.
- Entgegen der vom Beklagten vertretenen Auffassung ist nämlich
die Ausführung vollhandwerklicher Leistungen ohne großen Befähigungsnachweis
zulässig (vgl. Landmann/Rohmer, GewO, RdNr. 84 zu § 55 und
RdNr. 97 zu § 56; Honig, HwO, RdNr. 20 zu § 1;
OVG Nordrhein-Westfalen, Verw.Arch. 2004, 32). Wie das OVG NRW zu Recht
ausführt, ist es rechtlich unerheblich, ob die vom Kläger im Reisegewerbe
beabsichtigten Tätigkeiten dem "Vollhandwerk" zuzuordnen sind, weil sie
dem Kernbereich zulassungspflichtiger Handwerke angehören. Soweit der
Beklagte den Beschluss des Bundesverfassungsgerichtes vom 27. September
2000 (Gew.Arch. S. 2480) dahingehend interpretiert, dass dieses ein
"Regel-Ausnahme-Verhältnis" konstatiere, also Tätigkeiten im Reisegewerbe,
die dem Vollhandwerk unterfallen, keinesfalls die Regel sein solle, ist
dem nicht zu folgen. In dem genannten Beschluss wird lediglich ausgeführt,
dass es in der Praxis beim Reisegewerbe tendenziell um Minderhandwerk gehe.
Im Anschluss daran stellt das Bundesverfassungsgericht jedoch fest:
"Letztlich ist es aber nicht ausgeschlossen, dass im Reisegewerbe
auch einmal die volle Kunstfertigkeit eingesetzt wird". Mit anderen
Worten: Im Rahmen des Reisegewerbes ist auch die Ausführung
vollhandwerklicher Tätigkeiten ohne großen Befähigungsnachweis
zulässig. Abgesehen davon bleibt nach den Ausführungen des Beklagten
offen, welche rechtlichen Folgen er aus dem von ihm gesehenen
"Regel-Ausnahme-Verhältnis" ziehen will. Entgegen dem rechtlichen
Ansatz des Beklagten können die Vorschriften der Handwerksordnung,
"um der Gefahr einer Umgehung zu begegnen", nicht in § 55 GewO
hineingelesen werden. Der Regelungsgehalt dieser Vorschrift ist
unabhängig von § 1 Abs. 1 HwO allein nach dem Wortlaut und
unter Berücksichtigung von Art. 12 Abs. 1 GG festzustellen. Der
Auffassung des Beklagten, § 55 GewO sei eng zu
verstehen und biete keine Grundlage für die Ausübung wesentlicher,
vollhandwerklicher Tätigkeiten, kann deshalb nicht gefolgt werden. Vielmehr
ist nach dem genannten Beschluss des Bundesverfassungsgerichts bei
Auslegung und Anwendung der Vorschriften über die Ausübung eines
Handwerks im Reisegewerbe die Ausstrahlungswirkung der Berufsfreiheit
zu beachten (vgl. OVG NRW a.a.O.).
Entscheidend für die Abgrenzung, ob ein Handwerk als stehendes Gewerbe
betrieben oder aber im Rahmen des Reisegewerbes ausgeübt wird, ist das
Zustandekommen des Auftrags über die Handwerksleistung. Geht die
Initiative zum Erbringen der Leistung vom Handwerker aus - sofern der
Gewerbetreibende eine gewerbliche Niederlassung besitzt gilt das nur
im Rahmen seiner Außentätigkeit -, kommt er also auf potentielle Kunden
zu (ohne vorhergehende Bestellung), liegt Reisegewerbe vor. Beim stehenden
Gewerbe geht hingegen die Initiative vom Kunden aus, der seinerseits um
ein Angebot nachsucht. Der Kläger hat in der mündlichen Verhandlung
dargelegt, in welcher Weise er das Reisegewerbe praktizie-ren will.
Die Absicht, insbesondere am Freitag und Samstag in der Gegend
herumzufahren und bei Wahrnehmung von Baustellen dort anzufragen, ob
seine angebotene Tätigkeit, die er im Reisegewerbe ausführen dürfe,
benötigt werde, erfüllt den Begriff den Reisegewerbes, weil die
Initiative für das Herantreten an den Kunden vom Kläger ausgeht. Für
die Erteilung der Reisegewerbekarte kann es nicht auf Mutmaßungen
ankommen, dass ein Reisegewerbe für die beabsichtigten Leistungen
unüblich oder unrentabel sei. Es ist nicht Aufgabe der Behörden, den
Kläger von Tätigkeiten abzuhalten, die nach seiner Auffassung wenig
oder keine Aussicht auf Gewinnerzielung haben. Der Kläger benötigt für die
beabsichtigten Leistungen auch keine gewerbliche Niederlassung i.S.d.
§ 42 Abs. 2 GewO. Danach liegt eine gewerbliche Niederlassung
nur dann vor, wenn der Gewerbetreibende einen zum dauernden Gebrauch
eingerichteten, ständig oder in regelmäßiger Wiederkehr von ihm benutzten
Raum für den Betrieb seines Gewerbes besitzt. Ein derartiger Raum ist für
die von ihm beabsichtigten Leistungen nicht erforderlich. Der Mittelpunkt
seines geschäftlichen Lebens ist auf den jeweiligen Baustellen zu sehen.
Hier beabsichtigt er, Bestellungen auf Leistungen aufzusuchen und seine
Leistungen auch zu erbringen. Schließlich besitzt der Kläger auch mit
seiner Wohnung, in der er evtl. die Rechnungen schreibt, keine gewerbliche
Niederlassung. Insoweit handelt es sich nur um einen unwesentliche Tätigkeit,
die nicht den Schwerpunkt des gewerblichen Handelns des Klägers darstellt
(vgl. OVG NRW a.a.O.).
- Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1, § 162 Abs. 2 VwGO.
Die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO, § 708 Nr. 11, § 711 ZPO.
gez.: Hauck Dr. Dehner Jeßberger-Martin
Beschluss:
Der Streitwert wird auf 10.000,00 EUR fest-gesetzt (§ 13 Abs. 1, § 25 Abs. 2 GKG).
Weitere Informationen
Bei Anmerkungen und Kritik freut sich der BUH über email, Post oder FAX an die Geschäftsstelle.
BUH e.V.: Artilleriestr. 6, 27283 Verden,
Tel: 04231-9566679, Fax: 04231-9566681,
mail: BUHev-Buro
Startseite |
Nachrichten |
Handwerkspolitik |
Presse |
Handwerksrecht |
Archiv/Suche |
Links |
Kontakt/Impressum