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Urteile zu: Meisterzwang, Betriebsuntersagungen (§ 16 HwO), Hausdurchsuchungen, Betretungsrecht der HwK nach § 17 HwO, Rechtsmittelverzicht

Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg zur Abgrenzung von stehendem Gewerbe und Reisegewerbe

Beschluß vom 20. November 1972 - VI 168/72 -

Veröffentlicht in GewArch 1973, S. 159

Bestätigt durch BVerfGE 1 BvR 2176/98 vom 27.09.2000, Absatz 27

Abschrift

Beschluß

In der Verwaltungsrechtssache
Klägerin, Berufungsbeklagte,
Prozeßbevollmächtigter:

gegen

das Land Baden-Württemberg,

vertreten durch die Landesanwaltschaft beim Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg, Mannheim, Schubertetralle 11,
Beklagten,

beigeladen: Die Handwerkskammer Reutlingen,
Reutlingen, :Burgplatz 1,
vertreten durch den Präsidenten und
den Hauptgeschäftführer,
Berufungsklägerin,
wegen
Betriebseinstellung

hat der 6. Senat durch den Vorsitzenden Richter am Verwaltungsgerichtshof Dr. Fuchs den Richter am Verwaltungsgerichtshof Dr. Bargou und den abgeordneten Richter am Verwaltungsgericht Seebass
am 20, November 1972 -

beschlossen:

Nach Erledigung der Hauptsache wird das Verfahren eingestellt. Das Urteil des Verwaltungsgerichts Sigmaringen vom 1. Dezember 1971 - IV 596/70 - ist mit Ausnahme des Gebührenansatzes unwirksam.

Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt die Beigeladene, die des ersten Rechtszuges die Beigeladene und der Beklagte je zur Hälfte.

Für diese Entscheidung wird eine Gebühr von 100,-- DM angesetzt.

Gründe:

Nachdem die Beteiligten übereinstimmend den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärt haben, war das Verfahren in entsprechender Anwendung des § 92 Abs. 2 i.V.m. § 125 Abs. 1 VwGO einzustellen und zur Klarstellung die Unwirksamkeit des angefochtenen Urteils - mit Ausnahme des Gebührenansatzes (vgl. Beschluß des Senats vom 15.5. 1970 - VI 426/66 -) - auszusprechen. Ferner war gemäß § 161 Abs. 2 VwGO unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes nach billigem Ermessen über die Kosten des Verfahrens zu entscheiden. Nach dem Grundgedanken des Kostenrechts, daß der unterlegene Teil die Verfahrenskosten zu tragen hat (vgl. § 154 Abs. 1 VwGO), entspricht es in der Regel billigem Ermessen, die Kosten demjenigen aufzuerlegen, der in dem Verfahren voraussichtlich unterlegen wäre wenn sich der Rechtsstreit in der Hauptsache nicht erledigt hätte. Diese Regel ist auch im vorliegenden Fall anzuwenden. Es entspricht der Billigkeit, die Kosten des Berufungsverfahrens der Beigeladenen aufzuerlegen und die Kosten des ersten Rechtszuges - der Kostenentscheidung des angefochtenen Urteils entsprechend - zwischen der Beigeladenen und dem Beklagten hälftig zu teilen, denn ohne die Erledigung wäre die Berufung der Beigeladenen voraussichtlich zurückgewiesen und das Urteil des Verwaltungsgerichts damit bestätigt worden.

Gegen die Zulässigkeit der Berufung bestehen keine Bedenken. Insbesondere ist die Beigeladene durch das Urteil des Verwaltungsgerichts beschwert. Abgesehen davon, daß - sie in der erst Instanz einen Sachantrag gestellt hat; dem nicht entsprochen worden ist, wird sie durch die Aufhebung der Untersagungsverfügung des Landratsamts Horb vom 12.6.1970 in ihren Rechten berührt. Das ergibt sieh aus der in § 6 Abs. 5 Satz 2. der Handwerksordnung - HwO i.d.F. vom 28.12.1965 (BGB1. 1966 1 3. 2) getroffenen Regelung. Wenn der Handwerkskammer nach dieser Bestimmung im alle der Ablehnung eines Untersagungsantrags durch die Behörde der Verwaltungsrechtsweg offensteht - so muß sie als Beigeladene in einem verwaltungsgerichtlichen Verfahren im Falle der Aufhebung einer Untersagungsverfügung auch zur Rechtsmitteleinlegung befugt sein (Zur Rechtsmittelbefugnis des Beigeladenen vgl. BVerwG, Urteile vom .10.12.1970 und vom 7.5.1971.; Buchholz, Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, 310, § 65 VwGO Nr. 13 und 16).

Die Berufung wäre aber voraussichtlich zurückgewiesen worden, weil das Verwaltungsgericht der Klage zu Recht stattgegeben hat, denn die angefochtene Untersagungsverfügung des Beklagten war rechtswidrig und verletzte den Verstorbenen früheren Kläger (im folgenden als Kläger bezeichnet) in seinen Rechten.

Das Landratsamt Horb hat den nicht in die Handwerkrolle eingetragenen Kläger, der ein "Blitzschutz-Prüfungsbüro" betrieb und eine Reisegewerbekarte für das "Aufsuchen von Bestellungen, Überprüfungen und Reparaturen von Blitzschutzanlagen" besaß, durch Verfügung vom 12.6.1970 gemäß § 16 Abs. HwO den Abschluß von Prüfungsaufträgen" gemeint sind solche, die sich auf mehrere Jahre erstrecken - untersagt und ihm ferner aufgegeben, einigen namentlich genannten Vertragspartnern mitzuteilen, daß er zum Abschluß des jeweiligen Prüfungsvertrages nicht berechtigt gewesen sei und hieraus keine Rechte herleite. Die Verfügung ist damit begründet worden, der Kläger vereinbare mit den von ihm aufgesuchten Vertragspartnern weitere Prüfungen im Abstand von jeweils drei Jahren; da er somit nach vorhergehender Bestellung tätig werde, betreibe er kein Reisegewerbe mehr.

Nach § 16 Abs. 3 Satz 1 HwO kann die zuständige Behörde - dies war im vorliegenden Fall das Landratsamt Horb (§ 1 Nr. 1 der: Verordnung des Wirtschaftsministerium vom 23.2.1970, GBl. S. 98) - die Fortsetzung des selbständigen Betriebes eines Handwerks als stehendes Gewerbe untersagen, wenn dieser entgegen den Vorschriften der Handwerksordnung ausgeübt wird. Voraussetzung einer Untersägungsverfügung nach dieser Bestimmung ist somit, daß ein Handwerk als stehendes Gewerbe betrieben wird. Das betreibe eines Handwerks im Reisegewerbe unterliegt der Untersagung nach dieser Bestimmung dagegen nicht. Unter welchen Voraussetzungen beim Betreiben eines Handwerks von einem Reisegewerbe gesprochen werden muß, ergibt sich aus § 55 der Gewerbeordnung - GewO - i.d.F. des Gesetzes vorn 3.2.1960 (BGBl. I S. 61). Entscheidend ist danach, daß das Anbieten gewerblicher Leistungen oder das Aufsuchen von Bestellungen auf gewerbliche Leistungen ohne vorhergehende Bestellung erfolgt.

In der vorliegenden Sache kann dahingestellt bleiben, ob die Überprüfung und Reparatur von Blitzschutzanlagen die Ausübung eines Handwerks darstellt. Denn in allen bisher aktenkundig gewordenen Fällen in denen der Kläger derartige Überprüfungen und Reparaturen vorgenommen hat, geschah dies ohne vorhergehende Bestellung. Daß er bei dem erstmaligen Aufsuchen seiner Kunden durchgeführten Arbeiten ohne vorhergehende Bestellung angeboten hat (§ 55 Abs. 1 Nr. 2 1. Alternative GewO), liegt auf der Hand und wird von der Beigeladenen auch nicht bestritten. Das gleiche gilt aber auch für den Abschluß der langfristigen Überprüfungsverträge; denn diese Verträge sind jeweils anläßlich des Erstbesuches bei den geworbenen Kunden abgeschlossen worden. Es handelt sich hierbei somit eindeutig um "Bestellungen auf gewerbliche Leistungen", die ohne vorhergehend Bestellung aufgesucht worden sind (§ 55 Abs. 1 Nr. 2 2 Alternative GewO). Die Bereitschaft zur sofortigen Leistung, auf deren Fehlen sich die Beigeladene im ersten Rechtszug berufen hat, ist zwar Merkmal des Anbietens einer gewerblichen Leistung (vgl. Landmann-Rohmer-Eyermann-Fröhler Kommentar zur GewO, 12. Aufl., § 55 RdNr. 46), nicht aber des Aufsuchens von Bestellungen auf gewerbliche Leistungen. Schon aus dem Begriff der Bestellung ergibt sich, daß die Leistung nicht sofort, sondern zu einem späteren Zeitpunkt erfolgen soll.

Die Beigeladene meint, daß jedenfalls die Tätigkeit des Klägers, die Aufgrund der Überprüfungsverträge ausgeübt werden sollte, eine Tätigkeit auf vorhergehende Bestellung darstellt und daher nicht dem Reisegewerbe, sondern dem stehenden Gewerbe zugeordnet werden muß. Abgesehen davon, daß die angefochtene Verfügung des Landratsamts nicht diese Tätigkeit, sondern den Abschluß von Prüfungsaufträgen untersagt hat, vermag der Senat dieser Auffassung nicht beizupflichten, denn sie steht mit dem Sinn des § 55 GewO nicht in Einklang. Bei, der Auslegung dieser Bestimmung darf ihre Bedeutung innerhalb der Systematik der Gewerbeordnung nicht außer acht gelassen werden. Sie hat den Sinn eine bestimmte Art der Gewerbeausübung wegen der von, ihr ausgehenden spezifischen Gefahren einer besonderen staatlichen Kontrolle zu unterstellen. Während der stehende Gewerbebetrieb grundsätzlich bloß anzeigepflichtig (§ 14 GewO) und nur nach besonderer Bestimmung (§§ 30 ff GewO) erlaubnispflichtig ist, ist das Reisegewerbe grundsätzlich erlaubnispflichtig (§ 55 Abs. 1 GewO) und nur ausnahmsweise (§§ 55 a, 55 b, 55 c GewO) erlaubnisfrei (vgl. Badura, Wirtschaftsverwaltungsrecht, in: Besonderes Verwaltungsrecht) herausgegeben. von v. Münch; 1969, S. 282). Dem Schutzzweck des § 55 GewO würde es nicht entsprechen, wollte man nur das Leistungsangebot oder den Vertragsschluß, nicht aber auch die Vertragserfüllung als von der Erlaubnispflicht umfaßt ansehen, sofern die übrigen Voraussetzungen des § 55 GewO - Betätigung in eigener Person außerhalb der Raume der gewerblichen Niederlassung oder ohne eine solche - erfüllt sind. Ebenso wie nicht nur das Anbieten, sondern auch das Erbringen der angebotenen Leistung unter die 1. Alternative des § 55 Abs. 1 Nr. 2 GewO fallt, wird durch die 2 Alternative nicht nur das Aufsuchen der Bestellung, sondern auch deren Ausführung umgriffen. Die Bestimmung gesagt nicht, daß nur das Anbieten gewerblicher Leistungen bzw. das Aufsuchen von Bestellungen auf gewerbliche Leistungen (bei Vorliegen der weiteren Voraussetzungen) dem schärferen Recht des Reisegewerbes unterfällt, sondern daß ihm schon - diese Tätigkeiten und nicht erst die Ausführung der auf diese Weise geschlossenen Geschäfte unterfallen. Durch das Abstellen auf die der Vertragserfüllung vorangehenden Tätigkeiten sollte - mit anderen Worten - der Schutzbereich der Norm erweitert, nicht aber auf jene Tätigkeiten eingeschränkt werden. Wer ohne vorhergehende Bestellung - Bestellungen auf gewerbliche Leistungen aufsucht, übt daher auch bei der Ausführung jener Bestellungen kein stehendes Gewerbe sondern Reisegewerbe aus.

An die durch die Gewerbeordnung getroffene Abgrenzung zwischen stehendem Gewerbe und Reisegewerbe knüpft die Handwerksordnung an (vgl. Eyermann-Fröhler, Kommentar zur HwO 2. Aufl. § 1 RdNr. 41 ff; Kolbenschlag-Lessmann-Stücklen, Loseblatt-Kommentar zur HwO, Stand Juli 1972, § 1 RdNr. 4). Es ist daher nicht gerechtfertigt, in den Fällen in denen das betriebene Gewerbe ein Handwerk ist, die Abgrenzung zwischen diesen Gewerbearten nach anderen Kriterien vorzunehmen. Zwar wurde der Gesichtspunkt des Publikumsschutzes hier nicht gegen eine extensive Auslegung des Begriffes des, stehenden Geerbebetriebes sprechen, weil die Handwerksordnung - im Gegensatz zur Gewerbeordnung - gerade den selbständigen Betrieb eines stehenden Gewerbes von der Erfüllung strenger Voraussetzungen abhängig macht. Aus der Tatsache, daß der Gesetzgeber das im Umherziehen ausgeübte Handwerk nicht den Bestimmungen der Handwerksordnung unterworfen hat, ist aber ersichtlich, daß dieser Gesichtspunkt bei der Regelung der Voraussetzungen für die Zulässigkeit der Handwerksausübung nicht der tragende Grund gewesen ist (vgl. Eyermann-Fröhler, aaO). Der Gesetzgeber ist offenbar davon ausgegangen, daß für ein als Reisegewerbe betriebenes Handwerk die in der Gewerbeordnung vorgesehenen Kontrollmöglichkeiten ausreichen. Die Tätigkeit des Klägers hätte daher - bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen - durch eine Entziehung der Reisegewerbekarte unterbunden werden können (§ 58 GewO). Eine Untersagung nach § 16 Abs. 3 Satz 1 HwO war jedoch nicht zuläßig. Erst recht fehlte für die dem Kläger zur Auflage gemachte Mitteilung an seine Vertragspartner die Rechtsgrundlage.

Falls sich der Rechtsstreit in der Hauptsache nicht, erledigt hätte, wäre das Urteil des Verwaltungsgerichts somit voraussichtlich bestätigt worden. Da gilt auch hinsichtlich der Kostenentscheidung des Verwaltungsgerichts, die auf § 154 Abs. 1 und 3 VwGO gestützt und nicht zu beanstanden ist. Die Kosten des Berufungsverfahrens wären der Beigeladenen gemäß § 154 Abs. 2 VwGO in vollem Umfang aufzuerlegen gewesen. Es entspricht daher der Billigkeit, die Kosten dementsprechend zu verteilen.

Der Gebührenansatz beruht auf § 189 Abs. 1 VwGO i.V.m. Art 4 der Landesgebührenordnung für Württemberg vom 22.12.1950 (RegBl. S. 393) und Nr. 2 des Gebührenverzeichnisses.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

gez. Dr. Fuchs Dr. Bargou Seebass

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