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Urteile zu: Meisterzwang, Betriebsuntersagungen (§ 16 HwO), Hausdurchsuchungen, Betretungsrecht der HwK nach § 17 HwO, Rechtsmittelverzicht

Bundesverwaltungsgericht zu einer handwerksrechtlichen Gewerberuntersagung

Urteil des I. Senats vom 22. September 1970 - BVerwG I C 57.69
Veröffentlicht: DÖV 1971, 465

(Abschrift)

Stichworte:
Verbot der selbständigen Ausübung des Tischlerhandwerks
Zuständigkeit der Verbotsbehörde

Rechtsquellen:
HwO § 16 Abs. 3
GewO § 15 Abs. 2 Satz 1, § 35 Abs.

Leitsätze:

I. Verwaltungsgericht Sigmaringen
II. Verwaltungsgerichtshof Mannheim
BVerwG I C 57.69
VGH VI 522/67

Im Namen des Volkes

In dem Verfahren

In der Verwaltungsstreitsache

hat der 1. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
an 22. September 1970
durch die Bundesrichter Dr. Heinrich‚ Dr. Paul‚ Dr. Pakuscher, Dörffler und Dr. Sommer
ohne mündliche Verhandlung für Recht erkannt:

Gründe:

I.

Der am 30. August 1933 in D. geborene Kläger erlernte von 1948 bis 1951 das Tischlerhandwerk und bestand im April 1951 die Gesellenprüfung. Nach verschiedenen. Tätigkeiten in Deutschland und in der Schweiz pachtete er am 1. Januar 1965 in M. (Kreis ? die Schreinerei 0. L., die er selbständig betrieb, ohne in die Handwerksrolle eingetragen zu sein. Die im Mai 1965 und im April 1966 gestellten Anträge auf Erteilung einer Ausnahmebewilligung blieben erfolglos.

Mit Schreiben vom 8. September 1966 beantragte die Handwerkskammer R. bei dem Landratsamt R. dem Kläger "die unberechtigte selbständige Ausübung des Schreinerhandwerks" zu untersagen, weil er weder die Meisterprüfung bestanden habe, noch im Besitz einer Ausnahmebewilligung sei. Das Landratsamt R. untersagte dem Kläger daraufhin mit Verfügung vom 26. September 1966 "die weitere selbständige Ausübung des Schreinerhandwerks" gemäß § 16 Abs. 3 des Gesetzes zur Ordnung des Handwerks (HwO) in der Fassung vorn 28. Dezember 1965 (BGB1. 1966 IS. 1), da er weder die Meisterprüfung abgelegt habe, noch im Besitz einer Ausnahmebewilligung gemäß § 8 HwO sei. Diese Verfügung ist dem Kläger am 29 September 1966 zugestellt worden. Zwei Tage später übernahm er in S.‚ wo er auch seinen Wohnsitz hatte, wiederum als Pächter die Schreinerei J. M. nachdem er am 30. September 1966 das Pachtverhältnis über die Schreinerei in M. beendet hatte. Auf die Anzeige der Handwerkskammer R., die das Verwaltungsgericht beigeladen hat, führte das Ordnungsamt der Stadt S gegen den Kläger ein Bußgeldverfahren durch, erachtete jedoch eine nochmalige Untersagungsverfügung hinsichtlich des von ihm in S. betriebenen selbständigen Handwerks unter Hinweis auf die Verfügung des Landratsamts R. mit der Begründung für entbehrlich, daß diese (Untersagung "für den Geltungsbereich der Handwerksordnung wirksam werden dürfte".

Das Regierungspräsidium Südwürttemberg-Hohenzollern wies den Widerspruch des Klägers gegen die Untersagungsverfügung des Landratsamts R. wegen fehlender Voraussetzungen einer Eintragung in die Handwerksrolle zurück. Die von dem Kläger gegen die Untersagungsverfügung und den Widerspruchsbescheid erhobene Klage hatte vor dem Verwaltungsgericht keinen Erfolg. Das Verwaltungsgericht begründete sein die Klage abweisendes Urteil im wesentlichen damit, daß der Kläger nicht durch außerhalb seines Verantwortungsbereichs liegende Umstande an der Ablegung der Meisterprüfung gehindert worden sei. Vielmehr habe das Gericht auf Grund der mündlichen Verhandlung von dem erschienenen Kläger den Eindruck gewonnen, daß er sich um die Ablegung des zweiten Teils der Meisterprüfung nicht ernsthaft bemüht habe.

Gegen dieses Urteil hat der Kläger unter Aufrechterhaltung seines Klageantrags Berufung eingelegt und zur Begründung des Rechtsmittels lediglich vorgetragen, daß er nach seiner Freigabe durch die Beigeladene seine restliche Meisterprüfung vor der Handwerkskammer so rasch wie möglich ablegen werde. Das Berufungsgericht änderte das Urteil des Verwaltungsgerichts und hob die angegriffenen Verwaltungsentscheidungen mit folgender Begründung auf:

Das Landratsamt R. sei für die Untersagung örtlich nicht zuständig gewesen. Maßgeblicher Zeitpunkt sei nach dem Prinzip der Einheit des Verwaltungsverfahrens der Erlaß des Widerspruchsbescheides. Zu diesem Zeitpunkt habe der Kläger seinen Betrieb in M. nicht mehr betrieben. Einen allgemeinen Rechtsatz, nach dem die zunächst örtlich zuständige Behörde bei Verlegung des Betriebssitzes ihre Zuständigkeit behalte, gebe es nicht. Die Rechtswidrigkeit er angegriffenen Verwaltungsentscheidungen sei schließlich auch nicht deswegen entfallen, weil Widerspruchsbehörde in jedem Fall derselbe Regierungspräsident gewesen sei.

Gegen dieses Urteil richtet sich die von dem Berufungsgericht zugelassene Revision des Beklagten. Er meint, das Berufungsgericht habe die Bedeutung des Vorverfahrens verkannt. Ferner vertritt er den Standpunkt, daß ein, nach dem Erlaß der Untersagungsverfügung eingetretener Zuständigkeitsverlust die Rechtmäßigkeit dieser Verwaltungsentscheidung nicht mehr beeinflusse. Der Beklagte beantragt,

Der Kläger ist in dem Revisionsverfahren nicht durch einen Bevollmächtigten im Sinne des § 67 Abs. 1 VwGO vertreten.

Der Oberbundesanwalt beim Bundesverwaltungsgericht beteiligt sich an dem Verfahren. Er sieht die Untersagungsverfügung als einen überregionalen Verwaltungsakt an, zu dessen Erlaß das Landratsamt R. örtlich zuständig gewesen sei.

Sämtliche Verfahrensbeteiligten haben ihr Einverständnis mit einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren erklärt.

II.

Über die Revision konnte im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entschieden werden (§ 101 Abs. 2 VwGO in Verbindung mit §§ 141, 125 Abs. 1 VwGO).

Die Revision ist nicht begründet.

Da der Kläger den selbständigen Betrieb eines Handwerks als stehendes Gewerbe ausübte, obwohl er nicht in die Handwerksrolle eingetragen war, verstieß seine Berufsausübung gegen § 1 des Gesetzes zur Ordnung des Handwerks (Handwerksordnung) in der Fassung vom 28. Dezember 1965 (BGB1. 1966 1 S. 1) - HwO -. Wenn der selbständige Betrieb eines Handwerks als stehendes Gewerbe entgegen den Vorschriften dieses Gesetzes ausgeübt wird, kann gemäß § 16 Abs. 3 HwO die zuständige Behörde die Fortsetzung des Betriebes untersagen. Der Kläger hatte, bis zum 30. September 1966 seinen Betrieb in M. ‚ Kreis R.. Zuständige Behörde für die Untersagung eines in dieser Gemeinde ausgeübten Handwerksbetriebes war nach den bindenden Feststellungen des Berufungsgerichts das Landratsamt R.. Die vor diesem Zeitpunkt dem Kläger zugestellte Verfügung dieses Landratsamts ist daher von der gemäß § 16 Abs. 3 HwO zuständigen Behörde erlassen worden.

Die Verfügung des Landratsamts ist jedoch sachlich durch § 16 Abs. 3 HwO nicht gedeckt. Nach dieser Vorschrift darf die zuständige Behörde "die Fortsetzung des Betriebes" untersagen. Das Landratsamt hat dem Kläger jedoch nicht die Fortsetzung "des Betriebes", sondern ausdrücklich "die weitere selbständige Ausübung des Schreinerhandwerks" untersagt. Nach dem eindeutigen Wortlaut der Verfügung, der auch durch ihre Begründung bestätigt wird, wurde dem Kläger damit nicht die Fortsetzung eines bestimmten Betriebes - nämlich der im Zuständigkeitsgebiet des Landratsamts R. liegenden Betriebsstätte -, sondern die Ausübung einer bestimmten Gewerbeart, des Tischlerhandwerks, untersagt. Die Verpflichtung des Klägers, den Betrieb in M. einzustellen, war nur eine der Rechtsfolgen der Gewerbeuntersagung, jedoch nicht der eigentliche Regelungsgegenstand der Verfügung. In diesem Sinne wurde die Verfügung auch von der Widerspruchsbehörde, dem Verwaltungsgericht, dem Verwaltungsgerichtshof, dem Oberbundesanwalt und dem Beklagten verstanden. Die Verfügung verbietet dem Kläger demnach schlechthin, das Tischlerhandwerk selbständig zu betreiben. Mit dieser Regelung hat das Landratsamt die Ermächtigung nach § 16 Abs. 5 HwO überschritten.

Wie sich aus dm Wortlaut und der Entstehungsgeschichte des § 16 Abs. 3 HwO ergibt, entspricht diese Vorschrift der Regelung des § 15 Abs. 2 Satz 1 GewO (vgl. Kolbenschlag-Lessmann-Stücklen, Die deutsche Handwerksordnung, § 16 Erl. 19; Siegert-Musielak, Das Recht des Handwerks § 16 RdNr. 1; Landmann-Rohmer-Eyermann-Fröhler, GewO 12. Aufl. § 15 RdNr. 9). Gemäß § 15 Abs. 2 Satz 1 GewO kann die Fortsetzung des Betriebes polizeilich verhindert werden, wenn ein Gewerbe, zu dessen Beginn eine besondere. Genehmigung erforderlich, ist, ohne diese Genehmigung begonnen wird. Auf Grund der erwähnten Vorschriften kann somit - lediglich - die Fortsetzung des konkreten Betriebes untersagt werden (Fuhr, GewO § 15 Erl. 6 c und 7 c sowie Landmann-Rohmer-Eyermann.-Fröhler, a.a.O. § 15 RdNr. 14 und 15; vgl. ferner die Regelung in dem § 16 Abs. 4 HwO). Damit unterscheiden sich die nach § 15 Abs. 2 GewO und § 16 Abs. 3 HwO zulässigen Maßnahmen von § 35 Abs. 1 GewO, wonach unter gewissen Voraussetzungen "die Ausübung eines Gewerbes" zu untersagen ist. Auf Grund dieser Vorschrift wird die Gewerbeart, der der einzelne Betrieb zuzuordnen ist, untersagt (Landmann-Rohmer-Eyermann-Fröhler, a.a.O. § 35 RdNr. 61).

Die untere Verwaltungsbehörde durfte nur eine Maßnahme nach § 16 Abs. 3 HwO treffen; eine Maßnahme nach § 35 Abs. 1 GewO war der höheren Verwaltungsbehörde vorbehalten (§ 35 Abs. 7 GewO). Das Landratsamt R. hätte somit zwar dagegen einschreiten dürfen, daß der Kläger seinen Betrieb in M. fortsetzte; die von ihm tatsächlich erlassene Anordnung, die für den Kläger eine Gewerbeuntersagung im Sinne des § 35 Abs. 1 GewO bedeutet, durfte es hingegen nicht treffen.

Das Regierungspräsidium Südwürttemberg-Hohenzollern hat dadurch, daß es den Widerspruch zurückwies, nicht in seiner Eigenschaft als höhere Verwaltungsbehörde gemäß § 35 Abs. 1 und 7 GewO entschieden. Nach allgemeiner Meinung hätte es dem Kläger zwar die Ausübung des unerlaubt betriebenen Gewerbes untersagen dürfen (Landmann-Rohmer-Eyermann-.Pröhler, a.a.0. § 35 RdNr. 78). Durch die Zurückweisung des Widerspruchs gegen die Verfügung einer für Gewerbeuntersagung unzuständigen Behörde hat es jedoch nicht selbst die Ausübung des Gewerbes im Sinne des § 35 Abs. 1 GewO untersagt (BVerwGE 30, 138 [145]).

Da die angefochtenen Verfügungen schon aus diesem Grunde rechtswidrig sind, wie das Berufungsgericht im Ergebnis richtig entschieden hat, brauchte zu den abweichenden Rechtsausführungen in dem angefochtenen Urteil (abgedruckt im GewArch 1970, 168) keine Stellung genommen zu werden.

Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Für die Anwendung des § 162 Abs. 3 VwGO zu Gunsten der Beigeladenen bestand kein Anlaß, da sich die Beigeladene nicht an dem Revisionsverfahren beteiligt hat.

Dr. Heinrich Dr. Paul Dr. Pakuscher
Dörffler Dr. Sommer

Beschluß

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Revisionsverfahren auf 3 000 DM festgesetzt.

Dr. Heinrich Dr. Pakuscher Dörffler

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