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AG Lübeck zur Frage, ob Motivtorten automatisch dem Handwerk zuzuordnen sind

Amtsgericht Lübeck: 61 OWI 751 Js 12336/15 (64/15) 17. Juni 2015

AMTSGERICHT LÜBECK

URTEIL

IM NAMEN DES VOLKES
In der Bußgeldsache
gegen
...
wegen Verdachts des Verstoßes gegen die Handwerksordnung u.a.

hat das Amtsgericht in Lübeck – Abteilung 61 – in der Sitzung vom 17. Juni 2015, an der teilgenommen haben:
Richter Dr. Weidental als Bußgeldrichter Rechtsanwältin Baiker als Verteidigerin Justitzangestellte Kuschel als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
für Recht erkannt:

Die Betroffene wird
freigesprochen
Die Staatskasse trägt die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen der Betroffenen
Gründe

I.

Die Betroffene ist im Bereich der Gestaltung von individuellen Motivtorten tätig. Die Grundlage für die Motivtorten sind handelsübliche Torten aus der Produktion zugelassener Handwerksbetriebe. Die originäre Tätigkeit der Betroffenen besteht in der plastischen und optischen Gestaltung der Torten. Auf diesem Wege entstehen unter Berücksichtigung spezieller Kundenwünsche jeweils individuelle Einzelwerke. Wegen der Einzelheiten hinsichtlich der Gestaltung der Torten wird gemäß § 267 Abs. 1 S. 3 StPO auf die in den Akten befindlichen in und Rahmen der Hauptverhandlung in Augenschein genommenen Abbildungen (Bl. 6-10) Bezug genommen. Die Betroffene fertigt ca. zwei Motivtorten pro Monat an. Der Zeitaufwand hängt vom Einzelfall ab und lässt sich nicht im Voraus kalkulieren. Gemessen an der gesamten selbständigen Tätigkeit der Betroffenen entfällt auf den Bereich der Gestaltung von Motivtorten ein Umsatzanteil von ca. 10 Prozent. Im Übrigen betreibt die Betroffene ein Geschäft für den Vertrieb von speziellen für die Gestaltung von Motivtorten erforderlichen Materialien. Die Betroffene nimmt mit einigen der von ihr angefertigten Motivtorten an Ausstellungen teil. Darüber hinaus bietet sie Kurse und Workshops zum Erlernen der spezifischen Gestaltungstechniken an. Die erforderlichen Fertigkeiten sind kein Bestandteil der üblichen Ausbildung im Konditoreiwesen. Die Betroffene hat für den Bereich des Konditoreiwesens keine Eintragung in die Handwerksrolle beantragt. Sie hat die Tätigkeit im Bereich der Gestaltung von Torten auch nicht als Gewerbe angemeldet.

II.

Die Feststellungen zur Sache beruhen auf den Angaben der Betroffenen. Die Betroffene hat den Sachverhalt nicht in Abrede gestellt. Sie hat sich allerdings dahingehend eingelassen, dass ihre Tätigkeit im Bereich der Gestaltung individueller Motivtorten als künstlerische Tätigkeit zu betrachten sei. Daher sei nach ihrer Ansicht eine Eintragung in die Handwerksrolle und eine Anmeldung als Gewerbe nicht vorgeschrieben.

III.

Gegen die Betroffene wurde auf der Grundlage des festgestellten Sachverhalts durch den Hansestadt Lübeck durch Bußgeldbescheid vom 16.01.2015 eine Geldbuße von 600,00 EUR festgesetzt wegen eines Verstoßes gegen die Handwerksordnung, gegen das Schwarzarbeitsbekämpfungsgesetz und gegen die Gewerbeordnung. Dem Bußgeldbescheid liegt die Rechtsauffassung zugrunde, dass die Betroffene aufgrund ihrer Tätigkeit im Bereich der Gestaltung individueller Motivtorten das Konditoreihandwerk ausübe und daher eine Eintragung in die Handwerksrolle und eine Anmeldung als Gewerbe erforderlich seien.

IV.

Die Betroffene war aus rechtlichen Gründen freizusprechen. Die Tätigkeit der Betroffenen im Bereich der Gestaltung von Motivtorten erfordert keine Eintragung in die Handwerksrolle und auch keine Anmeldung als Gewerbe. Die Tätigkeit der Betroffenen in diesem Bereich ist als künstlerische Tätigkeit zu betrachten. Die Abgrenzung von Kunst und Handwerk ist dabei nicht generell möglich, sondern beruht auf einer Gesamtwürdigung aller Umstände des Einzelfalles. Es liegt in der Natur der Sache, dass eine künstlerische Tätigkeit auch mit einer handwerklichen Umsetzung einhergehen kann, ebenso wie eine handwerkliche Tätigkeit eine künstlerische Gestaltungshöhe erreichen kann. Die Gestaltung von Torten kann bei einer rein formalen Betrachtung sowohl Handwerk als auch Kunstwerk sein. Im Einzelfall ist entscheidend, ob in der gestalterischen Umsetzung eine künstlerische Gestaltungshöhe erreicht wird. Das Wesen der künstlerischen Betätigung besteht dabei in der freien schöpferischen Gestaltung, in der Eindrücke, Erfahrungen und Erlebnisse des Künstlers durch das Medium einer bestimmten Formensprache zu unmittelbarer Anschauung gebracht werden (vgl. zum Begriff der Kunst BVerfGE 30, 17; BVerfGE 67,213). Diesen Anforderungen genügt das Erscheinungsbild der von der Betroffenen angefertigten Torten. Den Torten liegt eine eigenständige kreative Leistung der Betroffenen zugrunde, die über das im Konditorhandwerk übliche Maß weit hinausgeht. Vergleichbare Torten können im Konditoreigewerbe weder gekauft noch bestellt werden. Die Gestaltung der Torten erfordert ein spezielles technisches Können, das die Betroffene sich selbst angeeignet hat. Die erforderlichen Gestaltungstechniken sind kein Bestandteil der üblichen Ausbildung im Konditoreihandwerk. Bei den Motivtorten handelt es sich jeweils um individuelle Einzelstücke, die einerseits die spezifischen Kundenwünsche aufgreifen und andererseits von einer höchstpersönlichen Gestaltungsleistung in der Umsetzung bestimmter Motive geprägt werden. Darüber hinaus ist von entscheidender Bedeutung, dass die Betroffene die Motivtorten im eigentlichen Sinne nicht selbst handwerklich herstellt. Die Torten als solche stammen aus der Produktion ausgewählter Handwerksbetriebe. Die Tätigkeit der Betroffenen stellt sich in der Gesamtwürdigung als gestalterischer Prozess unter Verwendung handwerklich gefertigte Ausgangsprodukte dar. In der Gesamtwürdigung aller Umstände des Einzelfalles kann der Tätigkeit der Betroffenen der künstlerische Charakter nicht abgesprochen werden.

V.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 467 StPO.
Dr. Weidenthal, Richter

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