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Urteile zu: Meisterzwang, Betriebsuntersagungen (§ 16 HwO), Hausdurchsuchungen, Betretungsrecht der HwK nach § 17 HwO, Rechtsmittelverzicht

Bundesverfassungsgericht zu einer Durchsuchung wegen Handwerksausübung 2 BvR 946/03 vom 06.09.2007

(Abschrift)

Im Namen des Volkes

In dem Verfahren

über

die Verfassungsbeschwerde

des Herrn K...

- Bevollmächtigte: Rechtsanwältin Hilke Böttcher, Osterstraße 116, 20259 Hamburg -

gegen
a) den Beschluss des Landgerichts Meiningen vom 28. April 2003 - 4 Qs 125/02 -,
b) den Beschluss des Amtsgerichts Schmalkalden vom 24. Juni 2002 - Gs 75/02 -

hat die 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch den Richter Broß,
die Richterin Osterloh
und den Richter Mellinghoff
gemäß § 93c in Verbindung mit § 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. August 1993 (BGBl I S. 1473) am 6. September 2007 einstimmig beschlossen:

Gründe:

Der Beschwerdeführer wendet sich gegen die Anordnung einer Durchsuchung seiner Wohn- und Geschäftsräume in einem Ermittlungsverfahren wegen handwerksrechtlicher Verstöße.

I.

1. Der Beschwerdeführer betreibt seit dem 15. Januar 2000 ein Gewerbe, das zuletzt als „Groß- und Außenhandel mit Werkzeugen, Baustoffen und Dachbaustoffen, Zangenfräserei, Kunststofftransporte, Kleintransporte, Kunststoffbeschichtungen“ angemeldet war. Außerdem besitzt er seit dem 14. September 2001 eine Reisegewerbekarte nach § 55 GewO (Gewerbeordnung), die ihn zum Anbieten von „Dacharbeiten, Dienstleistungen aller Art“ berechtigt.

Eine Eintragung mit einem Handwerk in die Handwerksrolle besteht nicht.

2. Das Landratsamt, Fachdienst Ordnung, führte gegen den Beschwerdeführer zwei Ermittlungsverfahren wegen handwerksrechtlicher Verstöße. Ab November 2001 wurde gegen ihn wegen der unberechtigten Ausübung des Dachdeckerhandwerks am 5. November 2001 an einem Wohnhaus in S. ermittelt (Az. 312.2002-A-054/GA; später 410 Js 13198/03 der Staatsanwaltschaft Meiningen). In diesem Verfahren war von Anfang an bekannt, dass der Beschwerdeführer seit dem 14. September 2001 über eine Reisegewerbekarte verfügte. Nachdem die Ermittlungen ergeben hatten, dass die ihm zur Last gelegten Tätigkeiten vom 5. November 2001 möglicherweise berechtigt (auf Grundlage der Reisegewerbekarte) ausgeführt worden waren, wurde das Verfahren in der Folgezeit auf den Vorwurf der Verletzung der Anzeigepflicht bei Erweiterung des Gegenstandes eines stehenden Gewerbebetriebs beschränkt.

Ein weiteres Ermittlungsverfahren gegen den Beschwerdeführer wegen des Verdachts einer Ordnungswidrigkeit nach § 1 Abs. 1 Nr. 3 SchwarzArbG (Gesetz zur Bekämpfung der Schwarzarbeit, in der Fassung der Bekanntmachung vom 6. Februar 1995) wurde im Mai 2002 eingeleitet (Az. 312.2002-A-161/GA). In diesem Verfahren wurde der Beschwerdeführer beschuldigt, an drei Häusern in S. im Zeitraum zwischen September 2000 und August 2001 unerlaubt Tätigkeiten des Dachdecker-Handwerks ausgeübt zu haben. Dieser Ermittlungsvorgang enthielt keinerlei Informationen darüber, dass der Beschwerdeführer seit dem 14. September 2001 über eine Reisegewerbekarte verfügte.

3. Mit angegriffenem Beschluss vom 24. Juni 2002 ordnete das Amtsgericht in dem Ermittlungsverfahren mit dem Az. 312.2002- A-161/GA die Durchsuchung der Wohn- und Geschäftsräume des Beschwerdeführers nach „Geschäftsunterlagen, die Aufschluss über die ordnungswidrige Ausführung von Dachdeckerarbeiten an Häusern in S. geben“, an. Nach den bisherigen Ermittlungen bestehe der „Verdacht der Schwarzarbeit in Form von entgeltlicher Ausführung von Dachdeckerarbeiten“.

4. Die hiergegen eingelegte Beschwerde verwarf das Landgericht mit angegriffenem Beschluss vom 28. April 2003 als unbegründet. Gegen den Beschwerdeführer habe ein hinreichender Anfangsverdacht für eine Ordnungswidrigkeit nach § 1 Abs. 1 Nr. 3 SchwarzArbG bestanden. Der Beschwerdeführer habe in den Jahren 2000 und 2001 in erheblichem Umfang unerlaubt Tätigkeiten des Dachdecker-Handwerks ausgeübt. In diesem Tatzeitraum habe der Beschwerdeführer auch nicht über eine Reisegewerbekarte verfügt. Grundsätzlich sei eine Durchsuchung auch zur Verfolgung einer Ordnungswidrigkeit zulässig. Im vorliegenden Fall habe die Maßnahme in angemessenem Verhältnis zur Schwere des Tatvorwurfs, der Stärke des Tatverdachts und zum erwarteten Erfolg gestanden.

II.

Der Beschwerdeführer rügt die Verletzung seiner Rechte aus Art. 12, Art. 13, Art. 14, Art. 19 Abs. 4, Art. 20 Abs. 3 und Art. 103 GG.

Die Anordnung einer Durchsuchung zur Verfolgung einer Ordnungswidrigkeit sei generell als unverhältnismäßig anzusehen. Die Pflicht zur Eintragung des selbständigen Betriebs eines zulassungspflichtigen Handwerks in die Handwerksrolle, welche regelmäßig erst nach Ablegung der Meisterprüfung zulässig sei, sei mit Art. 12 GG nicht mehr zu vereinbaren. Darüber hinaus seien die Vorschriften der Handwerksordnung insgesamt zu unbestimmt, so dass ein Verstoß gegen Art. 103 GG vorliege. Außerdem begründeten europarechtliche Vorschriften eine Ungleichbehandlung von deutschen Handwerkern, die ihre Tätigkeit erst nach Ablegung der Meisterprüfung und Eintragung in die Handwerksrolle ausüben dürften, und EU-ausländischen Handwerkern, bei denen diese Einschränkung nicht gelte.

Der Durchsuchungsbeschluss genüge nicht den Anforderungen des Art. 13 Abs. 1 GG. Es habe kein hinreichender Tatverdacht bestanden. Die Fachgerichte hätten nicht berücksichtigt, dass die dem Beschwerdeführer vorgeworfenen Tätigkeiten dem unerheblichen Nebenbetrieb zuzuordnen beziehungsweise von seiner Reisegewerbekarte gedeckt seien. Es werde nicht zwischen einer Ordnungswidrigkeit nach § 1 Abs. 1 Nr. 3 SchwarzArbG und einer Ordnungswidrigkeit nach § 117 Abs. 1 HwO (Gesetz zur Ordnung des Handwerks, in der Fassung der Bekanntmachung vom 24. September 1998) differenziert. Der Durchsuchungsbeschluss sei zudem zu unbestimmt. Es sei nicht erkennbar, welcher konkrete Tatvorwurf gegen den Beschwerdeführer erhoben werde. Der Durchsuchungsbeschluss erfülle auch seine Begrenzungsfunktion nicht; insbesondere seien die aufzufindenden Beweismittel nicht hinreichend konkret beschrieben worden.

III.

1. Das Land Thüringen hat von einer Stellungnahme zu der Verfassungsbeschwerde abgesehen.

2. Dem Bundesverfassungsgericht haben die Akten 410 Js 13198/03 der Staatsanwaltschaft Meiningen sowie der Ermittlungsvorgang 312.2002-A-161/GA des Landratsamts Schmalkalden- Meiningen vorgelegen.

IV.

Die Verfassungsbeschwerde wird zur Entscheidung angenommen, weil dies zur Durchsetzung der Grundrechte des Beschwerdeführers angezeigt ist (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Zu dieser Entscheidung ist die Kammer berufen, weil die maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen durch das Bundesverfassungsgericht bereits entschieden sind und die Verfassungsbeschwerde offensichtlich begründet ist (§ 93c Abs. 1 BVerfGG).

1. Die angegriffenen Beschlüsse verletzen den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Art. 13 Abs. 1 und Abs. 2 GG.

a) Der gerichtliche Durchsuchungsbeschluss dient auch dazu, die Durchführung der Eingriffsmaßnahme messbar und kontrollierbar zu gestalten (vgl. BVerfGE 20, 162 <224>; 42, 212 <220>; 103, 142 <151>). Dazu muss der Beschluss insbesondere den Tatvorwurf so beschreiben, dass der äußere Rahmen abgesteckt ist, innerhalb dessen die Zwangsmaßnahme durchzuführen ist. Um die Durchsuchung rechtsstaatlich zu begrenzen, muss der Richter die aufzuklärende Straftat oder Ordnungswidrigkeit, wenn auch kurz, doch so genau umschreiben, wie es nach den Umständen des Einzelfalls möglich ist (vgl. BVerfGE 20, 162 <224>; 42, 212 <220 f.>). Der Richter muss weiterhin grundsätzlich auch die Art und den vorgestellten Inhalt derjenigen Beweismittel, nach denen gesucht werden soll, so genau bezeichnen, wie es nach Lage der Dinge geschehen kann. Nur dies führt zu einer angemessenen rechtsstaatlichen Begrenzung der Durchsuchung, weil oft eine fast unübersehbare Zahl von Gegenständen als - wenn auch noch so entfernte - Beweismittel für den aufzuklärenden Sachverhalt in Frage kommen können (vgl. BVerfGE 20, 162 <224>). Der Schutz der Privatsphäre, die auch von übermäßigen Maßnahmen im Rahmen einer an sich zulässigen Durchsuchung betroffen sein kann, darf nicht allein dem Ermessen der mit der Durchführung der Durchsuchung beauftragten Beamten überlassen bleiben (vgl. BVerfGE 42, 212 <220>). Ein Durchsuchungsbefehl, der keinerlei tatsächliche Angaben über den Inhalt des Tatvorwurfs enthält und der zudem den Inhalt der konkret gesuchten Beweismittel nicht erkennen lässt, wird rechtsstaatlichen Anforderungen jedenfalls dann nicht gerecht, wenn solche Kennzeichnungen nach dem bisherigen Ergebnis der Ermittlungen ohne weiteres möglich und den Zwecken der Strafverfolgung nicht abträglich sind (vgl. BVerfGE 42, 212 <220 f.>; 44, 353 <371>; 45, 82; 50, 48 <49>; 71, 64 <65>).

b) Diesen Anforderungen werden der angegriffene Durchsuchungsbeschluss und der ihn bestätigende Beschluss des Landgerichts nicht gerecht.

aa) Der angegriffene Durchsuchungsbeschluss vom 24. Juni 2002 umschreibt die dem Beschwerdeführer zur Last gelegten Taten dahingehend, dass er verdächtig sei, Schwarzarbeit in Form von entgeltlicher Ausführung von Dachdeckerarbeiten an Häusern in S. ausgeübt zu haben. Der von den Ermittlungsbehörden angenommene Tatzeitraum - September 2000 bis August 2001 - wird ohne ersichtliche Gründe nicht angegeben; die dem Beschwerdeführer in diesem Ermittlungsverfahren konkret zur Last gelegten drei Fälle der Ausübung des Dachdecker-Handwerks im Zeitraum zwischen September 2000 und August 2001 werden ebenfalls nicht erwähnt. Die in dem Durchsuchungsbeschluss genannten Beweismittel sind nicht geeignet, den Mangel der Tatkonkretisierung auszugleichen. Der Beschluss nennt als aufzufindende Beweismittel lediglich „Geschäftsunterlagen, die Aufschluss über die ordnungswidrige Ausführung von Dachdeckerarbeiten an Häusern in S. geben“; eine Spezifizierung des Tatvorwurfs ist auf dieser Grundlage nicht zu erzielen. Der angegriffene Beschluss war nicht geeignet, bei seinem Vollzug die Suche auf Geschäftsunterlagen für den Tatzeitraum von September 2000 bis August 2001 zu begrenzen.

Eine derartige zeitliche Begrenzung war hier vor allem auch deswegen erforderlich, weil der Beschwerdeführer ab September 2001 über eine Reisegewerbekarte nach § 55 GewO verfügte, die ihn zur Ausführung von Dacharbeiten aller Art im Reisegewerbe berechtigte. Das Landratsamt, Fachdienst Ordnung, hatte bereits im November 2001 im Ermittlungsverfahren Az. 312.2002-A- 054/GA davon Kenntnis erlangt, dass der Beschwerdeführer seit September 2001 über eine Reisegewerbekarte verfügte. Auch nach Ansicht der Ermittlungsbehörden konnte der Beschwerdeführer ab September 2001 - sofern die weiteren Voraussetzungen für die Ausübung eines Handwerks im Reisegewerbe vorlagen - rechtmäßig Tätigkeiten des Dachdecker-Handwerks ausüben. Dem Inhalt der von dem Bundesverfassungsgericht eingesehenen Ermittlungsakten nach bestanden auch keine Anhaltspunkte dafür, dass der Beschwerdeführer die Grenzen des Reisegewerbes im Einzelfall überschritten hatte. Im Februar 2002 hatte der Beschwerdeführer darauf hingewiesen, dass er zur Ausübung der ihm zur Last gelegten Tätigkeiten am 5. November 2001 aufgrund seiner Reisegewerbekarte berechtigt gewesen sei. Auch sein Auftraggeber hatte im April 2002 erklärt, der Auftrag sei im Reisegewerbe auf Anbieten des Beschwerdeführers zustande gekommen. Es ist schlechthin unverständlich, warum das Landratsamt, Fachdienst Ordnung, diese Erkenntnisse aus dem Ermittlungsverfahren Az. 312.2002-A-054/GA dem Ermittlungsrichter im Juni 2002 bei Beantragung des angegriffenen Durchsuchungsbeschlusses im Ermittlungsverfahren Az. 312.2002-A-161/GA vorenthielten. Zwar war der Ermittlungsrichter auch ohne Kenntnis dieser Umstände verpflichtet, den Tatvorwurf so konkret zu beschreiben, dass der äußere Rahmen abgesteckt ist, innerhalb dessen die Durchsuchung durchzuführen ist. Dies gilt umso mehr, als im Zeitpunkt der Anordnung der Durchsuchung die letzte bekannte Tat bereits mehr als zehn Monate zurücklag. Allerdings hätte die Kenntnis von der für den Beschwerdeführer ausgestellten Reisegewerbekarte den Ermittlungsrichter zu der verfassungsrechtlich gebotenen Konkretisierung des Durchsuchungsbeschlusses zusätzlich angehalten. Denn für den Ermittlungsrichter war aus der ihm vorgelegten Ermittlungsakte nicht ersichtlich, dass das angenommene Dauerdelikt bereits beendet sein könnte.

bb) Das Landgericht hat den Verfassungsverstoß fortgesetzt. Es hat lediglich mitgeteilt, der Beschwerdeführer habe im relevanten Tatzeitraum in den Jahren 2000 und 2001 keine Reisegewerbekarte besessen, ohne hieraus jedoch die richtigen Schlüsse hinsichtlich der Begrenzungsfunktion des Durchsuchungsbeschlusses zu ziehen.

2. Auf die weiteren von dem Beschwerdeführer geltend gemachten Grundrechtsverletzungen und auf die Vereinbarkeit des für die Eintragung in die Handwerksrolle in der Regel erforderlichen Befähigungsnachweises für das Handwerk mit dem Grundgesetz kommt es nach alldem nicht an. Die Frage kann hier offen bleiben, da jedenfalls eine Verletzung des Grundrechts des Beschwerdeführers aus Art. 13 Abs. 1 und Abs. 2 GG festzustellen ist, die der Verfassungsbeschwerde zum Erfolg verhilft.

V.

Die angegriffenen Beschlüsse sind aufzuheben (§ 95 Abs. 2 BVerfGG). Die Sache wird an das Landgericht zurückverwiesen, das noch über die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu entscheiden haben wird.

VI.

Die Entscheidung über die Auslagenerstattung beruht auf § 34a Abs. 2 BVerfGG.

Broß Osterloh Mellinghoff

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