- Gerhard Schröder, Bundeskanzler:
- Es wäre ein Fehler, davon auszugehen, dass Entbürokratisierung
und mehr Flexibilität immer nur von der einen Seite der Gesellschaft
eingefordert werden könnten und werden dürften. Nein, wir müssen auch
das Handwerksrecht modernisieren und so verschlanken, damit es im
Handwerk wieder mehr Existenzgründungen gibt, mehr Arbeitsplätze
entstehen und die, die es gibt, etwa durch erleichterte
Betriebsübernahmen besser gesichert werden können, als das in der
Vergangenheit der Fall war.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)
Ich will in diesem Zusammenhang drei mir besonders wichtige
Punkte ansprechen:
Erstens. In den Bereichen, wo es auf das Qualitätssiegel des
Meisterbriefes besonders ankommt, soll und muss er auch künftig
erhalten bleiben. Das sind alle Bereiche, in denen eine
unsachgemäße Ausübung Gefahren für die Gesundheit oder das
Leben anderer verursachen könnte. Ich weiß, dass das schwer
abzugrenzen sein wird; aber es ist notwendig, auf diesem Gebiet
endlich zu Veränderungen zu kommen.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)
Zweitens. Tüchtigen und erfahrenen Gesellen wollen wir künftig
den Aufbau einer selbstständigen Existenz erleichtern.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Nach zehn Jahren Berufstätigkeit sollen sie einen Rechtsanspruch auf
die selbstständige Ausübung ihres Handwerks erhalten.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)
Drittens. Zwar nicht innerhalb einer GmbH, aber als selbstständiger
Einzelunternehmer braucht der Chef eines Handwerksbetriebs einen
Meisterbrief. Künftig wird es ausreichen, wenn er einen Meister
in seinem Handwerksbetrieb beschäftigt. Auch das schafft mehr
Flexibilität und erleichtert Firmenübernahmen, was dringend
notwendig ist.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN - Widerspruch
bei der CDU/ CSU)
- Sie sollten einmal zuhören.
(Volker Kauder [CDU/CSU]: Es lohnt ja gar nicht bei Ihnen!)
Ich habe Ihnen klar gesagt, wo es geht und wo es bisher nicht geht:
In einer GmbH hat man bisher keine Probleme. Da gilt das, was ich
gesagt habe. In einem Einzelunternehmen gilt das bisher nicht.
(Dr. Peter Ramsauer [CDU/CSU]: Falsch!
Da sind Sie schlecht informiert, Herr Bundeskanzler!)
Also werden wir das auch für die Einzelunternehmen möglich machen,
weil das sinnvoll ist, und so geschieht es auch.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)
- Jeder weiß, ich bin kein Freund der Ausbildungsabgabe. Aber ohne
eine nachhaltige Verbesserung der Ausbildungsbereitschaft und ohne
die Übernahme der zugesagten Verantwortung für diesen Bereich ist
die Bundesregierung zum Handeln verpflichtet und sie wird das auch
tun.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)
Dazu gehört aber auch: Wer bereit ist auszubilden, dem darf das
nicht deshalb versagt werden, weil er bestimmte formale
Voraussetzungen nicht erfüllt.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Deshalb werden wir die entsprechenden Regelungen so umgestalten,
dass jeder, der einen Betrieb mindestens fünf Jahre lang erfolgreich
geführt hat, auch ausbilden darf.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN -
Dr. Peter Ramsauer [CDU/ CSU]: Dann schafft doch gleich
den Meisterbrief ab!)
- Dr. Angela Merkel (CDU/CSU):
- Natürlich sind wir bereit, mit Ihnen über Vereinfachungen
im Handwerksrecht zu reden. Sie haben aber zum Teil nur Maßnahmen
vorgeschlagen, die jetzt möglich sind. Wir sind bereit, auch über
Maßnahmen zu reden, die erst in Zukunft umsetzbar sind, wie zum
Beispiel über wettbewerbsbedingte Reformen der Gebührenordnungen
der freien Berufe, über die Aufhebung der
Schornsteinfegerbereichszuordnungen
(Zurufe von der SPD: Oh! Oh!)
und über Zwangsmitgliedschaften in den Kammern. Wir können auch
die Urlaubskassen ganzer Berufsgruppen auf den Prüfstand stellen
und über eine Neuregelung der Arbeitsstättenverordnung nachdenken,
in der vieles doppelt geregelt ist. Wir müssen außerdem das
Berichts- und das Beauftragtenwesen neu ordnen. Eine riesige
Aufgabe liegt vor uns; denn es müssen Tausende Regelungen
geprüft werden. Meine Fraktionskollegen sind in dieser Woche
schon in Vorlage gegangen. Wir werden das weiterverfolgen.
Herr Bundeskanzler, ich sage Ihnen dort, wo Regelungen
vereinfacht werden sollen, jede Kooperation zu.
(Beifall bei der CDU/CSU)
- Franz Müntefering (SPD):
- Bis zum Sommer werden wir drei große Komplexe in Gesetzesform
zusammenbinden: das Gesundheitswesen, die Gemeindefinanzreform
einschließlich Arbeitshilfe und Sozialhilfe und den großen
Komplex Mittelstand, Wachstum, Handwerksordnung, Arbeitsmarkt,
Arbeitsrecht. Wenn die Koalition die Eckpunkte hierfür
fertig hat, werden wir die Opposition einladen, gemeinsam mit
uns im Deutschen Bundestag diese Gesetze zu beraten und zu
verabschieden.
- Dr. Edmund Stoiber, Ministerpräsident (Bayern):
- Auch wer jetzt im Hauruckverfahren den Meisterbrief im Handwerk
infrage stellt,
(Zurufe von der SPD: Aha!)
und zwar mit einer solch eigenartigen Begründung, der vernichtet
in Deutschland Arbeitsplätze.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Dr. Guido Westerwelle [FDP])
Sie werden auf erbitterten Widerstand stoßen, wenn Sie den
Meisterbrief in der angekündigten Art und Weise - darauf
läuft es praktisch hinaus - schleifen wollen; denn damit
zerstören Sie ein wichtiges Strukturelement unseres deutschen
Mittelstands.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU - Franz Müntefering
[SPD]: Entbürokratisierung, Herr Stoiber!)
- Wolfgang Clement, Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit:
- Nun zum Handwerksrecht, das sehr spannend ist. Ich höre Sie
immer über die Felder sprechen, in denen es wirklich - das muss
ich Ihnen so deutlich sagen - um die Schwächeren geht. Herr
Kollege Hinsken, wir müssen natürlich genauso hart und
deutlich - der Bundeskanzler hat das beispielsweise mit
dem Bereich der Gesundheit getan; er hat über Ärzte und
andere gesprochen - über das Handwerk und das Handwerksrecht
sprechen. Auch hier stellt sich die Frage, ob wir Türen
verschlossen haben, die wir öffnen müssen, um mehr Unternehmen
und Arbeitsplätze zu schaffen.
Ich wurde vorhin durch einen Zwischenruf gefragt, wo denn die
Arbeitsplätze sind. Hier stellt sich die Frage, ob unser
heutiges Handwerksrecht geeignet ist, zusätzliche Unternehmen
und damit auch zusätzliche Arbeitsplätze entstehen zu lassen.
Die Diskussion ist teilweise emotional und ausgesprochen
intensiv. Wir haben sie gestern in München und ich habe sie
schon vorher mit dem Handwerk geführt. Dies werden wir auch
weiterhin tun.
(Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Das Kind mit dem
Bade ausschütten!)
Wir müssen bald zu Ergebnissen kommen.
Ich habe überall gesagt: Lassen Sie uns mit allem, was wir können,
versuchen, im Konsens zu sein. Lassen Sie uns versuchen, gemeinsam
mit dem Handwerk eine Lösung zu finden. Wir müssen diese Lösung
finden. Es kann nicht sein, dass wir uns immer wieder einem Punkt
nähern und dann vor der Lösung wieder zurückschrecken. Ich
verstehe, dass das für das Handwerk sehr schwierig ist. Es
ist ein sehr stolzer und sehr wichtiger Sektor unserer
Wirtschaft mit einer großen Tradition. Ich mag diese
Tradition und das Handwerk und ich bin - das habe ich schon
oft gesagt - ein Anhänger der Handwerkskammern und erst recht
der dualen Berufsausbildung. Ich finde den Meisterbrief
wunderbar. An zwei Feststellungen führt aber kein Weg vorbei;
denn das Handwerksrecht wird von zwei Seiten unter Druck
kommen:
Erstens nenne ich den kleingewerblichen Bereich, der jetzt unter
anderem mit der Ich-AG und anderem entsteht. Es besteht gar kein
Zweifel, dass wir diesen kleingewerblichen Bereich brauchen.
(Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Unterlaufen der
Handwerkskammer!)
Herr Kollege, Sie fragen, wo die Arbeitsplätze sind. Ich sage
Ihnen, dass sie nicht nur, aber auch dort sind. Der
Dienstleistungssektor in Deutschland ist unterentwickelt.
Herr Kollege Hinsken, Sie müssen auch Folgendes bedenken - das
muss auch das Handwerk beschäftigen -. Einerseits ist es sehr
wichtig und schön, in den einzelnen Gewerken und
Handwerkssektoren organisiert und vertreten sowie fachlich so
hervorragend zu sein wie unsere Handwerker. Sie sind - auch
das ist ein solcher Bereich - wirklich Weltspitze. Das straffe
Recht hat aber den Nachteil, dass neue Märkte nicht entwickelt
werden. Wie kommt es, dass das Handwerk beispielsweise nicht
schon längst im Handel tätig ist? Diese Grenzen müssten wir
längst übersprungen haben. Solche Entwicklungen brauchen wir,
wenn wir dort neue Beschäftigungsmöglichkeiten schaffen wollen.
Der zweite Punkt ist, dass aus allen Richtungen Europas - wir haben
neun Nachbarstaaten - Unternehmen auf uns zukommen, die im Handwerk
tätig sind und diese strengen Voraussetzungen nicht haben. In diesen
muss man keinen Meisterbrief haben. Wer in Belgien, Polen, Frankreich
oder einem anderen unserer Nachbarstaaten seit sechs Jahren ein
Unternehmen führt - unter welchen rechtlichen Bedingungen auch
immer -, der kann in die Bundesrepublik Deutschland kommen und hier
dem Handwerksberuf nachgehen. Das führt schlicht und ergreifend zu
dem, was Juristen als drohende Inländerdiskriminierung bezeichnen.
Ich habe in Passau und Vilshofen erlebt, wie ernst dieses Thema ist.
Es ist schwierig, eine Lösung dafür zu finden, dass aus der
Tschechischen Republik hervorragende Handwerker nach Deutschland
kommen, die aber nicht alle die gleichen Voraussetzungen wie die
deutschen Handwerker haben.
Es bringt also nichts zu sagen: Der Meisterbrief darf nicht
angetastet werden. Wir müssen vielmehr einen Weg finden, die
Pflicht zum Meisterbrief auf die Bereiche zu konzentrieren,
die rechtlich unangreifbar sind und bei denen auch kein Druck
aus dem Ausland droht. Das haben unsere Experten als
gefahrengeneigte Handwerke definiert. Aber es kann sein,
dass in anderen Bereichen die Meisterprüfung nicht mehr
verpflichtend, sondern freiwillig ist. Sie verliert deshalb
nicht an Qualität. Im Handwerk müssen wir durchsetzen, dass
die freiwillige Qualifikation nicht als mindere Qualifikation
angesehen wird. Sie hat die gleiche qualitative Kraft wie die
verpflichtende Meisterprüfung. Das müssen wir zuwege bringen.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Im Small Business Act haben wir vorgesehen, dass einfache
Tätigkeiten nicht mehr dem Handwerksrecht unterliegen. Das ist
in Wahrheit nicht mehr als eine rechtliche Klarstellung; denn
in der Rechtsprechung wird es bereits heute so gehandhabt. Der
nächste Schritt, den wir mit der Reform der Handwerksordnung
vor der Sommerpause auf den Weg bringen müssen, geht wirklich
an die Substanz. Mit dieser Reform werden verschiedene Punkte
aufgegriffen. Ich bin überzeugt, dass uns das gelingt, ohne
dass das Handwerk deshalb an Bedeutung verliert.
Wir müssen die Betriebe mobilisieren. Wir hatten einmal fast
700 000 Handwerksunternehmen in Deutschland.
(Ernst Hinsken [CDU/CSU]: So ist es!)
Zurzeit haben wir auch wegen der ökonomischen Lage - das ist
unbestreitbar - 560 000 Unternehmen. Es spricht wenig dafür,
dass wir unter dem Druck der europäischen Entwicklung die Zahl
von früher erreichen werden. Deshalb müssen wir gemeinsam neue
Wege gehen. Für diese neuen Wege werbe ich. Das ist der Punkt.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Ich will etwas zu den Existenzgründern sagen, über die auch der
Bundeskanzler gesprochen hat. Wir müssen prüfen, ob über die
Regelung der Beitragsfreiheit für Existenzgründer hinausgehend -
das hat der Bundeskanzler vorgeschlagen - Existenzgründungen in
diesem Bereich gefördert werden können. Möglicherweise könnten die
Handwerkskammern entsprechende Existenzgründerpakete anbieten, die
dazu führen, dass vor allen Dingen mehr junge Leute den Weg in die
Selbstständigkeit wagen.
Ein anderes Thema ist der Bürokratieabbau. Frau Kollegin Merkel,
ich finde es wichtig, dass nun auch Sie dieses Thema aufgenommen
haben. Willkommen im Klub!
(Siegfried Scheffler [SPD]: Besser spät
als nie! - Dr. Guido
Westerwelle [FDP]: Was?)
Es ist wirklich wichtig, dieses Thema voranzutreiben. Dies ist,
wie ich weiß und wie es auch alle anderen wissen, eine sehr
diffizile Aufgabe. Es geht dabei aber nicht nur um das
Handwerksrecht, sondern um alle Regeln und Regularien, die
sich die verschiedenen Berufsstände in Deutschland zugelegt
haben. Zu fragen, ob alle diese Regeln vernünftig sind, ist
ebenfalls Deregulierung und Entbürokratisierung.
Einige Fragen, die mir gerade in den Sinn kommen, sind: Ist
es richtig, dass wir eine Honorarordnung für Architekten und
Ingenieure haben? Was spricht dafür, dass der Staat eine solche
Honorarordnung festlegt? Können dies auch andere tun? Frau Kollegin
Merkel hat das Beispiel mit den Schornsteinfegern gebracht. Ich
weiß nicht, wie sie darauf gekommen ist, aber ihr Einwand ist
berechtigt. Diese Frage kann man aufwerfen. Man kann dies an
verschiedenen Berufsständen festmachen.
Wichtig ist mir zurzeit vor allen Dingen eine Angelegenheit,
die mit der Frage der Ausbildung zusammenhängt. In Westdeutschland
verfügen 44 Prozent der Unternehmen nicht über eine Ausbildereignung,
in Ostdeutschland sind es 53 Prozent. Wer sich das vor Augen führt,
der wird sich nicht wundern, dass wir nicht genügend
Ausbildungsplätze haben. Das ist natürlich nicht der einzige
Grund. Aber es ist vermutlich ein Grund, weil außer Meistern,
Ingenieuren und Beamten ab einer bestimmten Qualifikation alle
anderen erst eine Ausbildereignungsprüfung machen müssen.
Diese Prüfung ist nicht so ganz einfach und erfordert einen
großen Kraftaufwand. Auch muss man seine Scheu gegenüber der
Bürokratie ablegen, die es gelegentlich auch in Kammern
geben soll.
Ich erwähne diese Scheu vor der Bürokratie deshalb, weil
ich dabei an Unternehmen mit einem ausländischen Gründer
denke. Zehntausende von Ausländern führen bei uns ein
Unternehmen. In Nordrhein-Westfalen sind es 57 000; das
weiß ich aus der Erinnerung. Aber nur ganz wenige von ihnen
bilden aus. Sie bilden nicht aus, weil sie vermutlich davor
zurückschrecken, sich an die Kammern mit ihrer Bürokratie zu
wenden, und Sorge haben, mit anderen zu kollidieren. Deshalb
versuchen sie, dem zu entgehen. Aus diesem Grunde brauchen wir
uns nicht zu wundern, dass zu viele ausländische Jugendliche -
es sind wesentlich mehr als deutsche Jugendliche - keine vernünftige
Ausbildung bei uns machen. Deshalb müssen wir auch in diesem Sektor
zu Veränderungen kommen. Das ist Entbürokratisierung, die Sinn
macht. Das bedeutet - das hat der Bundeskanzler gesagt -, dass
wir von den differenzierten Regelungen, Prüfungen und
Prüfungswiederholungen wegkommen wollen. Wir sagen: Jemand,
der ein Unternehmen fünf Jahre lang in Deutschland
erfolgreich geführt hat, ist auch geeignet auszubilden.
Wir nehmen an, dass er die Ausbildereignung hat, und werden
ihn auch so behandeln.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN - Ernst
Hinsken [CDU/CSU]: Das machen wir nicht mit!)
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