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Handwerksnovelle 2004, Gesetzgebungsverfahren Handwerksnovelle 2004, Argumente gegen Meisterzwang, Probleme mit Behörden?

Stellungnahme des Wirtschaftsministeriums Baden-Württemberg zur Novellierung der Handwerksordnung

In Drucksache des Landtags von Baden-Württemberg 13/2119 (pdf 105 kb) hat die Landesregierung unter anderem auf folgende Frage geantwortet:

wie die Landesregierung die durch die geplante Änderung des § 1 Abs. 2 der Handwerksordnung erfolgende Herauslösung einfacher handwerklicher Teiltätigkeiten aus dem Organisationsbereich des Handwerks beurteilt, und wie sie die Auswirkungen einer solchen Regelung auf die Innovationsfähigkeit der Handwerkswirtschaft einschätzt

Der Wirtschaftsminister Dr. Döring führt zu der Frage aus:

"... Einfache oder minderhandwerkliche Tätigkeiten sollen im wesentlichen Tätigkeiten sein, die innerhalb eines Zeitraums von 2 bis 3 Monaten erlernbar sind. Ziel dieses Vorhaben ist es, handwerkliche Tätigkeiten für die sogenannte "Ich-AG" zu öffnen. Bisher ist für diese Tätigkeiten grundsätzlich der Meisterbrief erforderlich.
Die Landesregierung lehnt den Vorschlag einer gesetzlichen Definition einfacher Tätigkeiten ab. Bisher erfolgte die Festlegung einfacher oder minderhandwerklicher Tätigkeiten ausschließlich durch Rechtsprechung. Man hat bisher bewusst eine gesetzliche Definition vermieden, da eine Beurteilung nur anhand einer Gesamtbetrachtung des ausgeübten Tätigkeitsspektrums möglich ist. Eine Bewertung einzelner (Teil-)Tätigkeiten muss schon daher ausscheiden, weil es wohl keine einzige Tätigkeit in einem Handwerk gibt - sei sie auch noch so anspruchsvoll - die nicht innerhalb von 2 bis 3 Monaten erlernt werden kann. ..."

Auch nach Auffassung der Landesregierung gibt es keine gesetzliche Definition, was einfache Tätigkeiten - und damit was wesentliche Tätigkeiten sind. Diese Festlegung ist bisher ausschließlich durch Rechtsprechung erfolgt. Aber aufgrund welcher gesetzlichen Grundlage ? Und aufgrund welcher Kriterien im Rahmen der Gesamtbetrachtung ? Wenn es auf jede Nuance des Einzelfalls ankommt, aber die Beurteilungskriterien nie benannt wurden - weder in Gesetzen noch in der Rechtsprechung - kann der Bürger nicht vorhersehen, wann er den Rahmen des Erlaubten verläßt! Einschränkungen von Grundrechten und Strafen bedürfen aber gesetzlicher Grundlagen (Artikel 19 Abs. 1 und Artikel 103 Abs. 2). Eine gesetzliche Grenzziehung zwischen erlaubter Grundrechtsinanspruchnahme und verbotener Handwerksausübung gibt es nicht - so das Wirtschaftsministerium. Damit ist jede Einschränkung der Handwerksausübung verfassungswidrig. Verurteilungen wegen unerlaubter Handwerksausübung beruhen immer auf unerlaubter Rechtsfortbildung durch Gerichte. Eine gefestigte Rechtsprechung zu den für eine Gesamtbetrachtung relevanten Kriterien gibt es nicht. Die Landesregierung stellt nur fest, dass bisher bewusst eine gesetzliche Definition vermieden wurde!

Artikel 19 Abs. 1 und Artikel 103 Abs. 2 GG enthalten einen strengen Gesetzesvorbehalt, der es der vollziehenden und der rechtsprechenden Gewalt verwehrt, die normativen Voraussetzungen einer Bestrafung festzulegen (vgl. BVerfGE 47, 109 [120]). Auch nach Auffassung des Wirtschaftsministeriums Baden-Württemberg fehlen solche normative Bestimmungen für die Auslegung des Begriffes "wesentliche Tätigkeiten" bzw. seiner Umkehrung: die Tätigkeiten, die nicht wesentlich für ein Handwerk sind. Dementsprechend fehlen auch normative Bestimmungen für den von der Rechtsprechung abgeleiteten Begriff "einfache Tätigkeiten".

Die Verfolgung von 2.800 Unternehmern im handwerklichen Umfeld mit 500 Durchsuchungen pro Jahr allein durch den Wirtschafts-Kontroll-Dienst in Baden-Württemberg erfolgt also ohne gesetzliche Grundlage! Die Landesbehörden mißachten mit ihren Anstrengungen, angeblich unerlaubte Handwerksausübung zu verfolgen die Jahrtausende alte Rechtstradition "keine Strafe ohne Gesetz", die durch Art. 20 Abs. 3 und Art. 103 Abs. 2 in das Grundgesetz Eingang gefunden hat.

Unter Ziffer 2) am Endes des ersten Absatzes behauptet die Baden-Württembergische Landesregierung bezüglich einfacher oder minderhandwerklicher Tätigkeiten: "Bisher ist für diese Tätigkeiten grundsätzlich der Meisterbrief erforderlich." Diese Äußerung ist nach unseren Erfahrungen einen zutreffende Darstellung der Praxis der Handwerkskammern und (unter ihrem Druck) der unteren Verwaltungsbehörden in Baden-Württemberg und den meisten anderen Bundesländern - eine Praxis die aber grundlegend verfassungswidrig ist! Denn sie mißachtet die höchstrichterliche Rechtsprechung und die Beschlüsse des Bund-Länder-Ausschusses-Handwerksrecht und insbesondere auch die Ausstrahlungswirkung des Artikel 12 GG (freie Berufsausübung).

Nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung (BVerfG und BVerwG) und ständiger Ansicht der obersten für Handwerksrecht in Bund und Ländern verantwortlichen Beamten (vgl. Zitat aus den Leipziger Beschlüssen des Bund-Länder-Ausschusses-Handwerksrecht, (BAnZ 2000 Nr. 234, Seiten 23193), der an einen eigenen entsprechenden Beschluß aus dem Jahren 1987 (BAnZ 1987, Nr. 241, Seite 16514) anknüpft - siehe Anlage 2) sind keine "wesentliche Tätigkeiten" jedenfalls solche, die innerhalb kurzer Zeit von zwei bis drei Monaten erlernt werden können und damit unterliegen diese Tätigkeiten - entgegen der Behauptung der Landesregierung - grundsätzlich keinem Meisterzwang!

Es steht der vollziehenden Verwaltung nicht zu, höchstrichterliche Rechtsprechung zu ignorieren. Auch wenn sie das in Ermangelung gesetzlicher Vorgaben entwickelte Kriterium für das Nichtvorliegen von "wesentlichen Tätigkeiten" nämlich z.B. einfache Tätigkeiten für nicht sachgerecht hält, weil ja alle Tätigkeiten im Handwerk innerhalb von zwei bis drei Monaten erlernt werden können, ist es dem Bundesgesetzgeber vorbehalten hier Änderungen vorzunehmen. Die Landesregierung, die Ordnungsbehörden und die Gerichte sind bei Verfolgungen an diese Rechtsprechung gebunden. Höchstens in Gewerbeuntersagungsverfahren könnte die Verwaltung eine Abkehr von dieser Rechtsprechung zu erwirken versuchen. Wenn es schon keine gesetzliche Definition für einfache oder nicht wesentliche Tätigkeiten gibt, so muß der Bürger sich wenigstens auf die höchstrichterliche Rechtsprechung verlassen können, daß keine wesentlichen Tätigkeiten solche sind, die einfach sind, weil sie innerhalb von zwei bis drei Monaten erlernt werden können.

Es spricht nicht für Landesregierung, daß diese zum Einen die Sprechweise des BVerwG von zwei bis drei Monaten Anlernzeit in der Landtagsdrucksache 13/2119 (Antwort zur Frage 2) aufgreift, zum Zweiten die klare Regelung aus dem Gesetzentwurf der in der Drucksache angegriffen wird von "bis zu drei Monaten" nicht erwähnt und Drittens behauptet, einfache Tätigkeiten würden grundsätzlich dem Meisterzwang unterliegen.

Aus all dem folgt: Der Meisterzwang ist verfassungswiedrig weil unbestimmt!

Zitate aus den Grundgesetz

Artikel 19 Abs. 1:

(1) Soweit nach diesem Grundgesetz ein Grundrecht durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes eingeschränkt werden kann, muß das Gesetz allgemein und nicht nur für den Einzelfall gelten. Außerdem muß das Gesetz das Grundrecht unter Angabe des Artikels nennen.

Artikel 103 Abs. 2

(2) Eine Tat kann nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde.

Zitat aus den Leipziger Beschlüssen

des Bund-Länder-Ausschusses-Handwerksrecht (Bundesanzeiger Jahrgang 2000 Nr. 234, S. 23193 vom 13.12.2000) Punkt 1.2.:

"Zur Auslegung des § 1 Abs. 2 HwO besteht eine seit Jahren gefestigte höchstrichterliche Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (u.a. Entscheidungen vom 23. Juni 1983 - 5 C 37/81 BVerwGE 67, 273, GewArch 1984 S. 96; 30. März 1993 - 1 C 26.91 - GewArch 1993 S. 329; 22. Oktober 1997 - 1 B 1999/97 - GewArch 1998 S. 125), die zuletzt durch das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 25. Februar 1992 (- 1 C 27.89 - GewArch 1992 S. 386) fortentwickelt worden ist. Danach sind "wesentliche Tätigkeiten" solche, "die nicht nur fachlich zu dem betreffenden Handwerk gehören, sondern gerade den Kernbereich dieses Handwerks ausmachen und ihm sein essentielles Gepräge verleihen. Arbeitsvorgänge, die aus der Sicht des vollhandwerklich arbeitenden Betriebes als untergeordnet erscheinen, also lediglich einen Randbereich des betreffenden Handwerks erfassen, können demnach die Annahme eines handwerklichen Betriebes nicht rechtfertigen. Dies trifft namentlich auf Arbeitsvorgänge zu, die - ihre einwandfreie Ausführung vorausgesetzt - wegen ihres geringen Schwierigkeitsgrades keine qualifizierten Kenntnisse und Fertigkeiten erfordern". Dies gilt für Tätigkeiten, "die in kurzer Zeit erlernbar" sind (Das Bundesverwaltungsgericht hat im o. a. Urteil entschieden, dass qualifizierte handwerkliche Kenntnisse und Fertigkeiten nicht erforderlich sind für Tätigkeiten, die "von einem durchschnittlich begabten Berufsanfänger innerhalb von zwei bis drei Monaten zu erlernen" sind.). Das Bundesverfassungsgericht hat durch Bezugnahme auf diese Entscheidung die Ausführungen des Bundesverwaltungsgerichts als Kriterium für die Abgrenzung "minderhandwerklicher", also "einfacher" Tätigkeiten, zu Kernbereichstätigkeiten bestätigt."

Diesen Ausführungen des Bund-Länder-Ausschuss-Handwerksrecht in den Leipziger Beschlüssen vom 21.11.2000 zum Vollzug der Handwerksordnung hatte auch Baden-Württemberg zugestimmt!

Beschlüsse des Bund-Länder-Ausschusses "Handwerksrecht" zur Anwendung der Handwerksordnung 1987

BMWi Bekanntmachung vom 17.12.1987 - Bundesanzeiger Jahrgang 1987, Nr. 241, Seite 16514:

1.

(6) Bei der Beurteilung der Frage, welche Bedeutung das Berufsbild im Sinne von § 45 Nr. 1 HwO für die Ermittlung der wesentlichen Tätigkeiten eines Handwerks nach § 1 Abs. 2 HwO hat ist ferner zu berücksichtigen, daß

- ...

- zum Tätigkeitsfeld von Handwerken üblicherweise auch "einfache" Tätigkeiten sowie Tätigkeiten gehören, die auch von "handwerksähnliche" Gewerbe der Anlage B der HwO ausgeübt werden; solche Tätigkeiten erfordern nicht die Eintragung in die Handwerksrolle, insbesondere nicht die Meisterprüfung im Handwerk.

(7) Ob wesentliche Tätigkeiten eines Handwerks vorliegen und ihre Ausübung die Eintragung in die Handwerksrolle erfordert, ist daher im Einzelfall und unter Berücksichtigung der aktuellen Lebenswirklichkeit zu beurteilen; dabei sind auch die Tätigkeitsbereiche der anderen Handwerke oder nichthandwerklicher Gewerbe zu berücksichtigen, zu denen eine Abgrenzung erfolgen soll. Letztlich ist in einer Gesamtbeurteilung unter Berücksichtigung von Artikel 12 GG und des Beschlusses des BVerfG vom 17.7.1961 (BVerfGE 13, 97) zur Verfassungsmäßigkeit der Handwerksordnung zu entscheiden, ob die Eintragung in die Handwerksrolle erforderlich ist.

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