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Handwerksnovelle 2004, Gesetzgebungsverfahren Handwerksnovelle 2004, Argumente gegen Meisterzwang, Probleme mit Behörden?

Rede von Bundesminister Clement (Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit) zum Meisterzwang im Bundesrat am 28.11.03

Wolfgang Clement, Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit:

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wenn Sie mir die Bemerkung erlauben: Ich habe mit angehaltenem Atem die Entscheidung verfolgt, die Sie zur Deregulierung der Farbgestaltung im Taxengewerbe gefällt haben. Beim Thema „Handwerksordnung“ kann der Deregulierungswille an einem handfesten Werkstück nachgewiesen werden. Mir ist sehr daran gelegen, dass dies in einer ernsthaften Form geschieht.

Ich will nur drei Bemerkungen dazu machen, worauf sich der Reformbedarf im Handwerk stützt.

Erstens. Das geltende Handwerksrecht ist nicht europafest. Es ist auf die Dauer nicht haltbar. Sie alle wissen, dass sich Unternehmerinnen und Unternehmer aus der Europäischen Union in der Bundesrepublik Deutschland jederzeit als Handwerker betätigen und sich bei uns niederlassen dürfen, wenn sie nach dem in ihrem Heimatland geltenden Recht sechs Jahre unternehmerisch tätig gewesen sind. Das ist die Rechtslage. Außer in Luxemburg entsprechen die Voraussetzungen in der gesamten EU auch nicht im Ansatz der Handwerksmeisterprüfung in Deutschland. Das heißt, die Zulassungsvoraussetzungen für Deutsche, die ein Handwerk ausüben wollen, sind um ein Vielfaches höher als diejenigen für Bürger der europäischen Nachbarstaaten, die aber jederzeit in Deutschland tätig werden dürfen.

Damit habe ich den Sachverhalt der Inländerdiskriminierung beschrieben. Das heißt, wir diskriminieren auf die Dauer unsere eigenen Bürgerinnen und Bürger, wenn sie sich im Handwerksbereich selbstständig machen wollen. Die Inländerdiskriminierung ist nicht haltbar. In Österreich – unter ähnlichen Rechtsbedingungen wie bei uns – ist es bereits zu entsprechenden höchstrichterlichen Entscheidungen gekommen.

Zweitens. Herr Kollege Huber, Herr Kollege Reinholz, Sie schildern die Situation des Handwerks in den freundlichsten Farben. Ich muss Sie darauf hinweisen, dass die Zahl der Unternehmen im Handwerk seit Mitte der 90 er-Jahre abgenommen hat. Das sind keine Insolvenzen, Herr Kollege Huber, sondern die Betriebe werden einfach dichtgemacht, sie gehen vom Markt, und zwar deutlich mehr, als die allgemeine wirtschaftliche Lage, auch die wirtschaftliche Stagnation es nahe legen. Prognosen der handwerksnahen wissenschaftlichen Institute zufolge wird sich dieser Prozess in den nächsten Jahren, wenn sich nichts ändert, im gleichen Tempo fortsetzen: Rückgang der Zahl der Unternehmen, Rückgang der Zahl der Meisterprüfungen, Rückgang der Beschäftigtenzahlen, Rückgang der Ausbildungszahlen.

Dabei sind die Ausbildungszahlen noch die besten. Dafür bin ich dem Handwerk dankbar. Der Rückgang der Ausbildungszahlen ist noch moderater als der Rückgang der Beschäftigtenzahlen im Handwerk insgesamt, was darauf hinweist, dass sich Handwerksunternehmen für die Ausbildung besonders engagieren. Das verdient besondere Anerkennung. Es ändert aber nichts an den gravierenden Strukturproblemen. Wenn wir dort nicht eingreifen, geht das Handwerk in die Knie. Alle diejenigen, die sich ernsthaft mit diesem Thema beschäftigen, bestreiten das nicht.

Drittens. Wir müssen mehr Möglichkeiten schaffen, damit sich Menschen bei uns selbstständig machen, nicht nur Techniker und Ingenieure, die Sie den Meistern gleichstellen wollen. Es geht auch darum – das ist in Deutschland höchstrichterlich abgesichert –, dass man sich beispielsweise im Bereich der einfachen handwerklichen Tätigkeiten selbstständig machen kann. Das sind Tätigkeiten, die man binnen eines Vierteljahres erlernen kann. Meine Bitte ist, in Deutschland endlich den Weg freizumachen für Menschen, die sich auf diese Weise in die Selbstständigkeit bewegen wollen. Wenn Sie die Diskussionen zwischen dem Zentralverband des Deutschen Handwerks und dem Deutschen Industrie- und Handelskammertag über die simple Frage verfolgen, wem dann welche Berufsgruppen derer, die sich binnen eines Vierteljahres selbstständig gemacht haben, zugeordnet werden sollen, der Handwerkskammer oder der Handelskammer, dann wissen Sie, was Bürokratie in Deutschland ist, und zwar nicht immer nur Staatsbürokratie, sondern auch Kammerbürokratie.

Dies sind die Sachverhalte, über die wir reden. Sie zwingen uns zu einer gründlichen Reform, Herr Kollege Huber. Ich sage Ihnen in aller Offenheit: Der Gesetzentwurf Bayerns und Hessens, den der Bundesrat beim Bundestag eingebracht hat, ist so gut wie eine Totalblockade jeglicher Reform. Er enthält nicht den geringsten ernsthaften Reformansatz. Die Bundesregierung ist bereit, im Interesse einer Lösung im Zusammenhang der gesamten Reformgesetze, die auf dem Tisch liegen – im Bundesrat, im Bundestag, im Vermittlungsverfahren also –, auch hier zu einem Kompromiss zu kommen. Wir haben uns deshalb bereit erklärt, die Novelle zu den einfachen handwerklichen Tätigkeiten und die große Handwerksnovelle zusammenzuführen und im Vermittlungsverfahren gemeinsam zu behandeln. Aber ich sage Ihnen genauso klar: Dabei muss erheblich mehr an Bewegung entstehen – auch auf Ihrer Seite, Herr Kollege Huber –, als Sie hier heute zu erkennen gegeben haben. Dazu reicht das, was Sie in Ihrer Novelle vorgeschlagen haben, bei weitem nicht aus.

Wir werden uns nicht damit abfinden, dass einfache handwerkliche Tätigkeiten nicht so weit wie irgend möglich geöffnet werden. Wir sind bereit, uns in der Frage, welcher Kammer welche einfache Tätigkeit zugeordnet wird, auf eine Verabredung zwischen ZDH und DIHK zu stützen. Das können die beiden Kammern miteinander ausmachen; wir würden die Verständigung in das Gesetz übernehmen. Ich muss allerdings sagen: Sie verhandeln schon wochenlang. Abstrakt haben sie sich bisher verständigt, zu einem Gesetzeswortlaut haben sie es bis heute aber noch nicht gebracht. Wir sind auch bereit, Vorkehrungen zu treffen, damit einfache Tätigkeiten in Einzelfällen nicht angehäuft werden, um gewissermaßen alle Prüfungen zu umgehen. Aber dass wir dort noch mehr an Bürokratie aufbauen könnten, halte ich geradezu für abwegig.

Dass das Inhaberprinzip aufgehoben wird, Herr Kollege Huber, ist eigentlich eine Banalität, eine Selbstverständlichkeit. Man muss sich fragen, warum wir das nicht schon vor langer Zeit getan haben.

Wichtiger ist, dass Gesellen die Möglichkeit haben sollen, sich selbstständig zu machen, wenn sie zehn Jahre im Beruf gearbeitet und fünf Jahre davon eine qualifizierte Tätigkeit ausgeübt haben. Die Voraussetzungen, die Sie, aber auch das Handwerk an das Erfordernis der qualifizierten Tätigkeit knüpfen wollen – alles mit dem Ziel, dass möglichst kein Geselle sie erfüllen kann –, sind aus meiner Sicht inakzeptabel.

Das gilt auch für die Formulierung, die Sie gerade verwendet haben, Herr Kollege Huber, Altgesellen sollten diese Zeit nicht „absitzen“ können. Sie wissen wie jeder Bürger in Deutschland, dass die Gesellen die Träger der handwerklichen Tätigkeit sind. Sie wissen so gut wie ich, dass die Gesellen auch heute – ohne die Zeit „abzusitzen“ – die Träger der Ausbildungsleistung des Handwerks sind. Wenn Sie Handwerker beschäftigen, kommt keineswegs der Meister mit seinem Auszubildenden, sondern die Arbeit wird in der Praxis von den Gesellen geleistet. Deswegen habe ich die Bitte an Sie, sich der Notwendigkeit, sich zu bewegen, zu stellen.

Herr Kollege Reinholz und Herr Kollege Huber, die Behauptung, die Bundesregierung empfehle die Abschaffung der Meisterprüfung, ist nicht richtig. Die Bundesregierung sagt: Bestimmte handwerkliche Tätigkeiten sind gefahrgeneigt. Mit diesem Kriterium muss man sich erhebliche Mühe geben.

Demnächst – das habe ich schon angedroht – werden wir die Frage beantworten müssen, ob die Tätigkeit des Frisörs gefahrgeneigt ist; gucken Sie mich an, ich komme gerade von dort. Wenn man bei manchen Menschen hinschaut, meinetwegen auch bei mir, könnte man in die Versuchung kommen, sie zu bejahen.

(Heiterkeit)

Man wird sie ernsthaft nicht bejahen können.

Ich muss Sie fragen, in welchen Bereichen wir uns bewegen. Das ist Deregulierung.

Herr Kollege aus dem Saarland, wenn Sie noch eine tapfere Rede halten wollen, sprechen Sie über diese Fragen! Dann setzen wir einen Deregulierungsprozess in Gang.

Unsere Juristen hatten große Mühe, das Kriterium „Gefahrgeneigtheit“ herauszufiltern. Denn es geht um eine sehr ernsthafte verfassungsrechtliche Frage: Inwieweit dürfen wir den Berufszugang dichtmachen? Was rechtfertigt eine Regelung des Berufszugangs? Ist es gerechtfertigt, beispielsweise für den Zugang zum Beruf des Frisörs eine sehr hohe Qualifikation zu verlangen? In allen Nachbarstaaten wird die Frage mit Nein beantwortet, nur bei uns und, wenn ich richtig orientiert bin, in Luxemburg mit Ja. Deshalb meine ich, dass Sie sich auf diesem Feld noch ein Stück weit bewegen müssen. Wir haben noch intensive Diskussionen vor uns.

Ich wiederhole: Wir schlagen nicht vor, den großen Befähigungsnachweis abzuschaffen. Ich habe gestern im Bundestag immer gehört, der Meister sei die Doktorprüfung im handwerklichen Bereich. Dazu stelle ich fest: Auch die Doktorprüfung ist freiwillig. Kein Beruf setzt den Doktortitel voraus. Wenn man ihn besitzt, gilt er allerdings als besonderer Befähigungsnachweis. Daran orientiert sich unser Vorschlag.

Bei Vorliegen gefahrgeneigter handwerklicher Tätigkeiten muss die Meisterprüfung abgelegt werden. Aber in allen übrigen Bereichen ist die Meisterqualifikation freiwillig. Sie kann im Wettbewerb verwendet werden, muss aber nicht vorgeschrieben werden. Deshalb reden wir nicht von der Abschaffung dieses wichtigen Befähigungsnachweises, sondern davon, dass er in weiten Teilen des Handwerks freiwillig erlangt werden kann. Das sind die wichtigsten Gesichtspunkte; viele weitere kommen hinzu.

Ich weise noch einmal darauf hin, dass wir eine sehr ernsthafte Reformdiskussion beginnen müssen. Sie könnten vor der Öffentlichkeit nicht bestehen, wenn wir bei dem blieben, was bisher dazu dargelegt worden ist.

Herr Kollege Reinholz, Sie haben wiederholt behauptet, wir hätten nicht mit dem Handwerk gesprochen. Ich weiß nicht, wie viele Gespräche ich mit dem Handwerk, mit dem ZDH und den Handwerkskammern, geführt habe und wie viele Veranstaltungen ich besucht habe. Nur, irgendwann muss man zu einem Ergebnis kommen. Eines Tages muss der „Elfmeter“ geschossen werden. Jetzt ist es so weit. Das gehört in den Reformprozess.

Übrigens betrifft das nicht nur das Handwerk, sondern auch viele andere Bereiche; darauf werde ich noch oft zurückkommen. Wir werden jetzt – Gott sei Dank! – auch durch das Vorgehen der Europäischen Kommission unterstützt. Sie fragt, welche berufsständischen Regeln, welche staatlichen Honorarregeln und welche sonstigen Regulierungen in diesen Bereichen in Deutschland gerechtfertigt sind und welche nicht.

Ich meine, wir müssen uns noch erheblich mehr als bisher bewegen, um neue Berufszugangsmöglichkeiten, neue Möglichkeiten, sich selbstständig zu machen, und damit neue Arbeits- und Ausbildungsplätze zu schaffen. Das richtet sich nicht gegen Ausbildung; im Gegenteil: Mehr Unternehmen bedeuten mehr Ausbildung.

Im Übrigen ist zu beachten, dass neben der hohen Ausbildungsleistung des Handwerks auch in anderen Bereichen, z. B. im Einzelhandel und in vielen technischen Bereichen, hoch qualifiziert ausgebildet wird, und zwar ohne Meisterprüfung, genauso wie es im Handwerk insbesondere durch ausgebildete Gesellen tatsächlich geschieht.

Wir brauchen die Reform. Sie gehört zu den Deregulierungsaufgaben, vor denen wir stehen. Wir sind zum Kompromiss bereit. Wir sind bereit, mit Ihnen in der Arbeitsgruppe zusammenzuwirken. Wir sind bereit, uns zu bewegen. Ich hoffe, das habe ich deutlich gemacht.

Aber auch Sie werden sich bewegen müssen und Ihre Position, wie sie im Gesetzentwurf der Länder Bayern und Hessen zum Ausdruck kommt, zu überprüfen haben. Sonst kommen wir nicht ans Ziel.

Es gibt keineswegs eine einhellige Meinung. Es ist sehr interessant, die unterschiedlichen Positionen, z. B. von Hamburg, Baden-Württemberg und Nordrhein- Westfalen, zur Kenntnis zu nehmen. Ich meine, dass Einigungschancen bestehen. Wir sollten sie im Interesse einer Reform, einer Erneuerung des deutschen Handwerks nutzen. – Ich danke Ihnen.

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